(09.10.2017 – Tag 1.205 – 23.868 sm)
Weil sich die Vulkane in Vanuatu nicht beruhigen wollen, überlegt unsere Admiralität lange, bevor sie unsere Weiterfahrt zur nördlichsten von uns besuchten Inseln der Inselgruppe freigibt. Maewo liegt nur wenige Meilen von der Insel Ambae entfernt, die vor kurzem wegen der Vulkanaktivität komplett evakuiert wurde. Am Ende siegt doch der Wunsch, einen der schönsten Ankerplätze Vanuatus zu sehen. Wir ankern in klarem Wasser auf 18 Meter Tiefe. Man könnte sicher näher ans Ufer kommen, aber großer Abstand zum Riff gefällt uns ganz gut.
Beim ersten Anlanden stellen wir fest, dass sich nicht nur Natalya Sorgen wegen des Vulkans macht. Da das offen am flachen Ufer gebaute Dorf Asanvari vor dem nicht einmal 10 Meilen entferntem Vulkan wie auf einem Präsentierteller liegt, ist die ganze Dorfbevölkerung in Erwartung eines Tsunamis in die höher gelegen Teile des Dschungels geflohen. Dort kampieren sie in provisorischen Unterkünften und warten bis die Gefahr vorüber ist. Auch Barry, der Besitzer der Fledermaushöhle, ist gerade dort, so dass wir gleich eine Tour für die nächsten Tage mit ihm vereinbaren können. Er wartet auf uns morgen vor dem Wasserfall.
Zur großen Freude der Kinder taucht am Nachmittag ein französisches Kinderboot auf und ankert neben uns. Sie laden unsere Kinder gleich zu ihrer Geburtstagsparty am nächsten Tag ein. Sie haben zwei Mädchen, 10 und 8 Jahre alt. Das ältere feiert ihren 11. Geburtstag. Zwar verfluchen unsere Großen insgeheim weiterhin die französische Sprache, aber einiges können sie schon kommunizieren, so dass gemeinsames Spielen zwar nicht so entspannt ist, wie mit den englischsprachigen Kindern, aber doch besser geht als ganz ohne gemeinsame Sprache.
Am nächsten Morgen marschieren Natalya und Thomas mit Barry durch den Dschungel zu der Fledermaus-Höhle. Der Weg führt am Anfang steil den Hügel hinauf. Wir machen eine kurze Rast vor Barrys Hütte, um zu verschnaufen. Er stellt uns seine Frau und seine Tochter vor. Auf dem weiteren Weg erzählt er uns, dass er dem Vater seiner Braut 10 Schweine und 10 gewebte Matten zahlen musste, um seine Frau heiraten zu dürfen. Um so viel Geld aufzubringen, muss man mehrere Jahre sparen. In seinem Dorf lebt auch nur eine große Familie. Zum Heiraten sucht man einen Ehepartner woanders. Barry selbst kommt aus dem Norden der Insel, seine Frau aus dem Süden. Ehen zwischen den Bewohner der unterschiedlichen Inseln sind auch nicht selten. Vor allem die Glücklichen, die die als Internat geführte Highschools besuchen dürfen, haben gute Chancen auch Menschen von anderen Inseln kennen zu lernen.
Wir laufen zwei Stunden über Stock und Stein, Hügel rauf und runter, überqueren einige kleine Flüsse. Obwohl es in der letzten Zeit kaum geregnet hat, in der Boden in der Höhle matschig und glitschig. Wir tasten uns vorsichtig hinein. Schon bei den ersten Schritten schwirren Tausende von Fledermäusen um uns herum. So viele haben wir noch nie gesehen: die ganze Decke ist voll! Da die Höhe eher klein und kompakt ist, sieht man die Tiere auch sehr nah. Manche flattern direkt an unseren Köpfen vorbei. Im Licht der Taschenlampe glitzern Wassertropfen an den Stalaktiten wie geschmolzenes Silber. Man muss nur aufpassen, vor lauter Aufregung um die Mäuse nicht auf den glitschigen Steinen auszurutschen oder im tiefem Matsch zu versinken.
Auf dem Boot erwarten uns vier ungeduldige Kinder. Sie haben Angst die Geburtstagsfeier zu verpassen. Doch wir sind rechtzeitig da, um sie an Land zu bringen. Für Arvid ist das die erste Einladung zu einem Geburtstag überhaupt. Wir lernen die Familie von Mariposa kennen. Sie sind ursprünglich aus der Bretagne und leben nun in Noumea und nutzen die Schulferien der Kinder, um Vanuatu zu bereisen. Weiter soll ihr Weg nach Neuseeland führen. Leider ergibt sich daraus keine gemeinsame Route.
Der Strand vor dem Dorf eignet sich perfekt zum Baden. Arvid in Begleitung einiger Einheimischer seines Altes tobt im flachen Wasser. Die lokalen Jungs sind scheu, gehen zwar ohne Hose baden, bitten aber ihre Spielkameraden vor dem Rausgehen ihnen die Hose zu reichen. Unsere Großen sind mit Basteln von Pfeilen und Bögen beschäftigt und durchkämmen den nah liegenden Wald nach passenden Stöcken. Thomas hilft Arvid und Talora ihre Rüstung zu schnitzen. Eine große Gruppe Schulkinder schaut mit großem Interesse zu.
Wir statten dem Chief des Dorfes einen Höflichkeitsbesuch ab. Interessanterweise treffen wir auf dieser abgelegenen Insel ohne eine einzige Straße den am besten gebildeten Chief mit dem breitesten Horizont. Bevor Justin zum Chief wurde hat er einige Jahre in Port Vila verbracht, wo er unter anderem auch in der Tourismusbranche gearbeitet hat. Er versteht recht gut die Welt der „Weißen“, übt scharfe Kritik an der steigenden Geldgier der Menschen hier, und schont nicht einmal seine Nichte Erika, die seiner Meinung nach in ihrem Yachtclub zu hohe Preise verlangt. Die Zukunft seines Dorfes sieht er in Erhalt der alten Kultur und Lebensweise. Sicherlich kommt es nicht bei allen im Dorf gut an, und es ist abzuwarten, wie er seine Pläne umsetzen kann.
Justin erzählt uns auch einiges über Zeremonien. Um seinen Rang als Chief zu erreichen, musste er im Verlauf der Jahre insgesamt 60 rituelle Schweine schlachten. Die wertvollsten Schweine haben besonders geformte Hauer. Um sie anzuzüchten, werden den jungen Schweinen Teile der Oberkiefer entfernt, so dass die ständig nachwachsenden Eckzähne des Unterkiefers den Oberkiefer durchbrechen. Sie wachsen weiter in einem Bogen, bis sie die Unterkiefer von unten durchstoßen. Die besonders Wertvollen Schweine haben bis zu zwei komplette Windungen der Hauer. Sie können nicht mehr selbstständig essen und müssen sich von den Frauen mit einer Flasche füttern lassen. Die armen Schweine! Alleine kann man niemals so viele Schweine aufbringen. Vor allem für die obere Positionen braucht man so viele Schweine, dass man auf die Unterstützung seiner Familie oder anderer Verbündeter angewiesen ist. Justin zeigt uns einen Bund mit den Kiefern und Hauern der zehn bei der letzten Ernennungszeremonie geschlachteten Schweinen. Für seine Feier wurden mehr als 100 Gäste eingeladen. Für jedes der geschlachteten Schweine muss ein zeremonielles Bäumchen an einer bestimmten Stelle im Dorf gepflanzt werden.
Im Gegensatz zu Sam Eric macht Justin einen sehr guten Eindruck auf uns. Da er erwähnt, dass sein Yamaha Außenborder in letzter Zeit sehr schwergängig ist, schaut sich Thomas diesen an. Doch der Motor ist vollkommen ok. Was dem Chief als Schwergängigkeit erscheint ist ein zu kurzer Hebel bei der Pinne, was die Hand beim Steuern schnell ermüden lässt. Thomas schmiert den Motor und bringt ein Rohr aus unserem Ersatzteillager als Pinnenverlängerung. Da wir wissen, dass Justin seinen Sohn über ein Stück offenes Wasser zwischen Maewo und Pentecost jedes Wochenende zur Schule fährt, lassen wir einige unserer Stoffrettungswesten bei ihm. Justins Frau freut sich sehr, dass die Westen nicht nur sicher, sondern auch warm halten.
Auch wenn uns auf Maewo ganz gut gefällt, müssen wir morgen wieder ankerauf gehen und Richtung Port Villa zum Ausklarieren segeln. Der Saison neigt sich deutlich ihrem Ende zu, und wir haben noch Neukaledonien vor uns.