(05.10.2017 – Tag 1.201 – 23.830 sm)
Pentecost ist eine der bekanntesten Inseln Vanuatus. Das liegt nicht nur an der schönen Landschaft, sondern hauptsächlich an den Lianenspringern, die sich hier jedes Jahr todesmutig von einem bis zu 30 m hohen Sprungturm herabstürzen. Als einzige Sicherung dienen ihnen die an ihren Knöcheln angebundenen Lianen.
Das eigentliche Springen findet in der Regensaison, also April bis Juni statt. Einige Wochen vorher wird der Sprungturm aus Holz und Bambus gebaut und mit Rindenstreifen zusammengebunden, wobei Frauen beim Bau keinesfalls zuschauen dürfen. Bei der eigentlichen Sprung-Veranstaltung ist das natürlich anders. Da springen die Männer unterschiedlichen Alters dann unter den Blicken der restlichen Dorfbevölkerung vom Turm. Angeblich sollen sie dabei möglichst nah an den Boden kommen, diesen im Idealfall sogar beim Sturz berühren.
Man erzählt uns eine Sage, wie es zu diesem Ritual gekommen sei. Dabei läuft es darauf hinaus, dass eine junge Frau vor ihrem eifersüchtigem Liebhaber auf einen hohen Baum flüchtet. Er klettert ihr hinterher und kurz bevor er seine Geliebte erreicht, springt sie vom Baum. Im Glauben sie verloren zu haben stürzt der Mann hinterher. Während des Fluges muss der Eifersüchtiger feststellen, dass seine Geliebte sich Lianen um die Knöchel gebunden hat und somit den Sturz überlebt.
Heute ist das Ritual nur noch teilweise ein Männlichkeitsbeweis, vielmehr geht es jetzt um mögliche Einnahmen durch Touristen. In den Wochen, in denen die Sprünge durchgeführt werden, kommen viele Kreuzfahrtschiffe und andere Touristen auf die Insel und bringen erheblich Devisen mit. Man zahlt wohl 50 bis 100 Euro für die Teilnahme an dem Schauspiel. Eine nicht unerhebliche Geldquelle für die sonst so abgeschieden lebenden Insulaner. Abgeleitet davon ist das Bungee-Jumping entstanden.
Auch wir wollen einen Eindruck von dem Lianenspringen bekommen und steuern die Insel Pentecost an. Uns ist klar, dass im Oktober keine Sprünge mehr stattfinden werden (die Lianen sind zu spröde und unelastisch), aber es gibt ja noch die Sprungtürme zu sehen und sonstige Traditionen zu erleben. So legen wir am Morgen in Ambrym ab und segeln bei schönstem Wetter die paar Meilen weiter bis nach Pentecost. Hinter uns sehen wir noch lange den Gipfel des Vulkans von Ambrym mit seiner langen Rauchfahne.
Nach einer Empfehlung in unserem Revierführer steuern wir die Homo Bay gleich im Süden von Pentecost an. Das Ankern ist recht einfach. Die Bucht ist groß, und der sandige Boden fällt allmählich ab. Auch hier liegen wir wieder mit etwas Abstand zum Ufer auf ca. 11-12 m. Man weiß ja nie, wie viele Fliegen es gibt. Kaum sitzt der Anker paddeln auch schon einige Auslegerkanus zu uns heraus. In einem sitzt ein älterer Mann in etwas schäbigen Klamotten. Er stellt sich als Chief Sam Eric vor und begrüßt uns in seinem Dorf. Er bringt uns später sogar ein paar Papaya und Gemüse vorbei.
Im Gemüse-Pack ist auch Island-Cabbage dabei, die lokale und wohl auch die häufigste Gemüseart auf Vanuatu. Dabei handelt sich um Blätter des Maniok-Strauchs. Davon hatten wir bereits gehört und gelesen, jedoch noch keinen an Bord gehabt oder gegessen. Also probieren wir es gleich mal aus. Der „Salat“ erinnert etwas an Spinat, hat nur wesentlich größere Blätter. Diese enthalten eine fast durchsichtige, zähe Milch, die vor der Zubereitung erst ausgewaschen werden muss. Unerfahren wie wir sind nehmen wir uns etwas zu wenig Zeit und Wasser für diese Vorbereitung des Gemüses. Wasser ist ja an Bord kostbar, und so waschen wir die Blätter zwei oder dreimal aus und gut ist. Das Resultat des Koch-Experiments ist dann weniger überzeugend. In unserer Pfanne schwimmt eine bräunlich-grüne, klebrige Masse die ehr an Melasse als eine leckerer Soße erinnert. Ok, der Hunger treibt es rein, aber ein Vergnügen ist es nicht. Ein paar Tage später probieren wir es nochmals mit wesentlich mehr Wasser … Die schon klein gehackten Blätter überstehen mindestens ein Dutzend Spülgänge mit viel Wasser. Doch egal wie oft man wäscht, bleibt das Wasser nach dem Waschvorgang schleimig. Wir geben auf und schmeißen sie in die Pfanne. Dieses Mal ist die Konsistenz befriedigender, jedoch entscheidet die Crew, dass dieses Gemüse nur im äußersten Notfall wieder an Bord kommt.
Thomas erkundet mit den Kindern das Dorf. Chief Sam Eric benimmt sich sehr aufdringlich und fordernd. Etwas, was wir bisher auf Vanuatu nicht erlebt haben, jedoch noch sehr gut aus Afrika kennen. Vorher wurden wir immer freundlich begrüßt und respektvoll behandelt, hier in Homo Bay haben wir das Gefühl, wir werden nur als Geldquelle gesehen. Einerseits tun uns ein paar Euro nicht weh, andererseits hat man aber ein schlechtes Gefühl, wenn man nicht als Gast gesehen wird. Trotzdem vereinbaren wir für den nächsten Tag eine Führung zum Sprungturm des Dorfes. Chief will 1.000 Vatu dafür haben, etwa 8 Euro. Das ist viel für die Besichtigung eines Turmes, aber wir gehen trotzdem auf den Deal ein.
Etwas komisch kommt uns vor, dass sich Sam Eric zu uns aufs Schiff einlädt. Er sagt, er hätte schon seit Jahren (!) kein Bier mehr getrunken und ob er zwei Bier bei uns haben könnte. Wieder so eine zweischneidige Sache … einerseits sind wir dankbar, dass wir uns das Dorf und die Gegend ansehen können und wollen eigentlich die Gastfreundschaft nicht unerwidert lassen, andererseits ist die Abgabe von Alkohol an Einheimische nicht wirklich eine gute Sache. Aber Thomas geht trotzdem darauf ein. Am Nachmittag kommt Sam Eric dann tatsächlich bei uns vorbei, hat aber seinen Sohn dabei. Wir verteilen die zwei Bier einfach auf die beiden und geben jedem eines. Das gefällt dem Chief natürlich gar nicht und er macht ein ganz böses Gesicht. Er will zwei Dosen für sich haben. Erpressen lassen wollen wir uns aber auch nicht. Als er merkt, dass es nicht mehr zu holen gibt, schlägt er einfach vor, dass wir ihm drei Bier mitgeben und er verzichtet auf die Besichtigungsgebühr für den Turm. So teuer haben wir noch nie Bier verkauft. Am nächsten Tag werden wir uns wieder des Müllproblems auf den pazifischen Inseln bewusst. Wir finden alle drei Bierdosen im Dorf an der Seite des Weges.
Am Abend sehen wir am Strand reges Treiben. Es werden Säcke mit Wasser-Taro und anderem Gemüse angeschleppt und aufgestapelt. Wir sprechen mit den Leuten und sie erzählen, dass sie ihre Produkte in Port Villa verkaufen. Dort lebt eine Frau aus ihrem Dorf und erwartet die Waren per Schiff. Für jeden Sack zahlen sie 1.000 Vatu für den Transport. Dann kommen noch Standgebühren und Unterkunft für die Frau dazu. Da bleibt dann kein großer Erlös mehr übrig. Aber eine andere Alternative haben sie nicht.
Am zweiten Tag wollen wir uns dann den Turm und etwas der Traditionen ansehen. Chief Sam Eric und zwei junge Männer führen uns zu dem rituellen Platz des Dorfes, der etwas außerhalb liegt. In einen Banjan-Baum integriert ist eine Sitzgruppe, und ein Gang führt bis in das Herz des Baums. Diese Bäume sind eigentlich Parasiten. Sie wachsen aus durch Vögel in obere Äste eines größeren Baums getragene Samen nach unten bis sie Wurzeln schlagen. Dann umwickeln sie den Wirtsbaum so lange, bis dieser irgendwann abstirbt. In dem hier stehenden Baum war der innere Baum sicher über einen Meter dick und hat nur einen entsprechend großen Hohlraum hinterlassen.
Im Halbkreis sitzend erwarten wir eine große Show. Es kommen tatsächlich die drei Männer, gekleidet in eine traditionelle, aus Bananenblättern gefertigte „Unterhose“. Sonst sind sie nackt. Etwas bizarr von so etwas Bilder zu machen, aber dafür wurden sie ja im Vorfeld von uns bezahlt. Nach einer Viertelstunde ist das Schauspiel zu Ende und wir sind um 20 Euro ärmer. Etwas teuer für das Gebotene, aber wohl einmalig für uns.
Zum Schluss geht es noch zum Sprungturm. Dieser steht an einem Hang auf einer Wiese. Wahrscheinlich ist es ein kleineres Exemplar, da wir seine Höhe auf etwa 10-12 Meter schätzen. Es hängen noch ein paar Lianen runter, aber natürlich springt keiner für uns. Dazu sind die Lianen jetzt viel zu spröde. Aber wir können uns wenigstens einen Eindruck von dem Ritual machen.
Während die Kinder am letzten Tag am Strand spielen, unterhält sich Natalya mit einer Frau am Strand, die auch Kinder hat. Da wir noch einige Tüten an Kinderkleidung an Bord haben, holt Natalya eine für sie. Eigentlich wollten wir die Sachen, die wirklich nicht im besten Zusand sind, nur verschenken, aber die Judith bittet uns, auf sie zu warten, und verschwindet im Dorf. Als sie zurückkommt, hat sie eine riesige Tüte mit frisch gepflückten Mangos in einer Hand und ein Bündel bohnenähnlichen Gurken in der anderen womit sie sich bei uns für die Kleidung bedankt. Scheinbar kommt vom Geld der ganzen Events um die Türme nicht viel bei der einfachen Bevölkerung an, wenn sie sich über ein Paar alte Schuhe und einige Jeans für ihre Kinder so freuen können. Als wir noch mit dem Obst und Gemüse in der Hand weiter mit Judith unterhalten, stellt sich uns eine weitere lokale Frau mit gutem English vor. Sie wohne einige Hundert Meter weiter entfernt am Strand und organisiere Führungen für Touristen. Direkt sagt sie uns das nicht, aber in ihrem Blick liest man es schon deutlich, dass eigentlich sie gerne unsere Tüte hätte. Was für eine Insel der korrupten Sitten!
Insgesamt haben wir etwas gemischte Gefühle, als wir am nächsten Tag die Insel verlassen. Einerseits sind die Traditionen der Insulaner durchaus interessant. Andererseits ist man uns nirgends sonst so fordernd und geldgierig entgegengetreten. Bleibt zu hoffen, dass man einen Weg findet, damit in Zukunft anderes umzugehen.