SY Outer Rim – A Family's Sailing Adventure

Sailing across the world's oceans with four kids

Der Abschluss von 25.500 Seemeilen auf See

(13.11.2017 – Tag 1.240 – 25.492 sm)

Wir zögern lange mit der Entscheidung, ob wir wirklich diesen Samstag zu unserer letzten längeren Überfahrt nach Sydney aufbrechen sollen. Das Tief weit im Süden schiebt gerade ordentlich Welle die Tasman See nach Norden. Wenn wir jetzt ablegen, dann trifft uns dieser 4-5 Meter Wellenberg auf halber Strecke der 1.100 Seemeilen. Alternativ könnten wir warten, bis die Wellen durch sind. Da wir aber nicht wissen, ob das folgende Wetter nicht andere Überraschungen für uns bereithält und wir keine Lust haben, länger in Noumea zu bleiben, entscheiden wir uns am Freitagabend, für das Ablegen am nächsten Morgen. Ausklariert hatten wir vorsorglich schon am Donnerstag.

Bei leichtem Wind aus Südost geht der Anker hoch. Hinter uns liegt kein anderer Ankerlieger, so dass wir genügend Platz haben, um gleich Groß und Genua zu setzen. Es ist Wochenende mit prächtigem Wetter, und das heißt, dass gefühlt alle lokalen Boote aus den Marinas und von den Mooringen geholt werden und durch die Lagune von Neukaledonien segeln und motoren. Auf dem Weg zur am Pass liegenden Ile Laregnere sind wir von anderen Seglern mit gleichem Kurs regelrecht umgeben. Das gibt Gelegenheit für so manche kleine Regatta. Vor der Insel selbst sind wir schockiert, wie überfüllt Ankerplätze sein können.

Thomas ist in seiner Bewegungsfreiheit immer noch deutlich eingeschränkt. Der Fuß steckt in einem klobigen Schuh und darf überhaupt nicht belastet werden. So wird jede Bewegung auf dem später dann erheblich schwankenden Schiff zu einem Drahtseilakt. Nur nicht ausrutschen und auf den Fuß fallen. Gut, dass wir viele helfende Hände an Bord haben und in den letzten Jahren viel Erfahrung sammeln konnten.

Wir genießen die ersten zwei Tage schönes Wetter. Die See ist relativ ruhig, der Wind stetig. Das erlaubt uns eine gute Fahrt auf einem moderaten Am-Wind-Kurs. Die Ruhe gibt uns Zeit uns bei ruhigen Bedingungen an den Wellengang zu gewöhnen. Die Hoffnung, dass der hohe Schwell seine Richtung ändert oder sich magischerweise auflöst stirbt zuletzt. Unseren Kurs setzen wir etwas südlicher, damit wir für die zu erwartende Winddrehung einen besseren Winkel auf Sydney steuern können.

Am dritten Abend ist es so weit, die Front ist da: Der Wind dreht erst auf Süd, dann auf West und nimmt nach einer kurzen Pause deutlich an Stärke zu. Kaum haben Franka und Vsevolod gegen 21 Uhr ihre Wache beendet, gibt es die nächste Winddrehung. Dieses Mal wieder zurück auf Süd mit frischerem Wind. Also Bug wechseln und Hart-Am-Wind weiter. Die See ist noch ruhig, wie auch am Nachmittag. So macht das Segeln Spaß und wir düsen mit 8-9 Knoten durch die Nacht. Leider hält so ein Glück nur selten lange an. Am Morgen kommt dann eine weitere Drehung des Winds auf SSE mit sukzessive weiter ansteigender Windgeschwindigkeit. Ein Reff nach dem anderen legen wir in Groß und Genua ein. Irgendwann sind wir mit Genua und Groß jeweils im 3. Reff, die Windstärke bei 6 bis 7.

Leider lässt auch die Welle nicht lange auf sich warten. Sie nimmt in Höhe schnell zu, erreicht bald die vorhergesagten 4-5 Meter. Immer wieder schießen wir mit 8 Knoten in ein Wellental und bekommen unser Deck von der darauffolgenden Welle überspült. Teilweise schießen die Wassermassen bis weit nach achtern. Es wäre vielleicht nicht so schlimm, wenn die Wellen nur aus einer Richtung kämen. Doch dieses Mal geraten wir in Kreuzseen. Wellen treffen uns auch an Backbord und schwammen bis in das Cockpit hinein. Thomas muss sich während der Nachtwache in einer kleinen Ecke des Cockpits verkriechen, die von Gischt noch nicht nass ist.

Mit der Schaukelei und durch den anstregenden Am-Wind-Kurs werden die ersten Crewmitglieder seekrank. Natalya, die sich vorsorglich schon am ersten Tag ein Pflaster gegen Seekrankheit hinter das Ohr geklebt hat, versucht den Kindern ihr Leben möglichst zu erleichtern. Leider verändert sich die Beständigkeit gegen dieses Übel mit dem Alter. Arvid, der in den vergangenen Jahren kaum ein einziges Mal seekrank war, ist in den letzten Monaten sehr empfindlich geworden. Auch der Skipper, der etwas matt wirkt und das Essen ablehnt, bekommt ein Pflaster.

Die Kinder schnappen sich ihre MP3-Player und verkriechen sich in die Kojen. Als sich am Abend die Welle etwas beruhigt und auf 3-4 Meter abnimmt atmen wir auf. Am Abend setzten wir uns alle gemeinsam ins Cockpit um einen unserer letzten Sonnenuntergänge auf See zu beobachten.

Mit der Front kommen nicht nur Wellen sondern auch kalter Wind aus Süden. Erst packen wir Socken aus. Insbesondere für die Nachtwache ist die Barfußroute zu Ende. Aber es kommt unerwartet noch schlimmer. Der Wind ist so frisch, dass der Skipper sogar humpelnder Weise seine Mütze in den Tiefen der Schränke suchen musste. Für die Nachtwachen sind jetzt wieder zwei Pullover, eine Fleecehose und das volle Ölzeug nötig. Das hatten wir seit unserem Abschied aus Patagonien nicht mehr.

In der Nacht hört Natalya, die in der Achterkabine schläft, quietschende Geräusche hinter dem Bett. Zum Glück ist der Skipper dank des Wunderpflasters wieder so fit, dass er am frühen Morgen die Blende aufschrauben kann um der Ursache des Geräusches nachzugehen. Die Entdeckung haut uns um. Als ob es nicht reichen würde, dass wir keinen Motor haben und Thomas mit seiner Verletzung nicht unwesentlich beeinträchtig ist, stellen wir bekümmert fest, dass 500 Meilen weit weg von der Küste die Schrauben der Ruderhalterung sich gelockert haben. Man fragt sich dann schon, wie das Boot sich verhalten würden, wenn wir im schlimmsten Fall keine Ruderwirkung mehr bei konfuser See und 4 Meter Welle hätten. Es ist fraglich, ob wir unter diesen Bedingungen die Möglichkeit haben im Notfall die Notpinne einzubauen und damit die Outer Rim steuern könnten. Um die Schrauben vor dem weiteren Verschleiß zu schützen, zersägt Thomas eine Kleiderstange und klemmt sie so ein, dass sie den schweren Metallkasten einigermaßen in Position hält. Natalya überprüft spätestens jede Stunde, ob der Spielraum der Schrauben sich vergrößert. Die Stangen zeigen ihre Wirkung. Zwar rutscht der Kasten bei jeder Welle hin und her, doch die Bewegung bleibt minimal. Trotz des Ausnahmezustands auf dem Boot, läuft der Alltag weiter.

Thomas wird während der Überfahrt auch zum Operateur. Zwei Wochen nach der Operation am Fuß müssen die Fäden entfernt werden. Auf hoher See gibt es außer dem Skipper keinen, der das machen kann oder will. Also nimmt sich Thomas kurzerhand ein Teppichmesser und schneidet auf dem schaukelnden Schiff Faden für Faden heraus – zehn an der Zahl. Alles gut zusammengewachsen – Gott sein Dank!

Die letzten zwei Tage unseren langen Reise verbringen wir bei schönem Wetter recht entspannt. Mittlerweile hat sich die Welle auf 1 Meter beruhigt. Segeltechnisch ist der Endspurt etwas anspruchsvoller. Da der Wind abflaut und sich in Richtung und Stärke immer wieder ändert, sind häufig Anpassungen an der Segelstellung nötig. Zu Hilfe kommt uns die teilweise mit 2 Knoten südsetzende Strömung an der Ostküste Australiens. So werden wir stetig in Richtung unseres Ziels geschoben.

Je näher wir der Küste kommen desto schwächer wird der Wind. Die beiden Nächte vor unserer Ankunft nehmen wir bei spiegelglatter See die Segel einfach herunter bzw. liegen bei und lassen uns treiben. Der Küstenstrom unterstützt uns dabei deutlich mit bis zu 2,8 Knoten. Thomas wird schon etwas nervös, da der Strom quer zur Küste nach Süden setzt und wir daher lt. Vektorrechnung eine Fahrt von ca. 2 Knoten nach Nordwesten machen müssen, um nicht an der Hafeneinfahrt vorbeizudriften. Motoren geht ja nicht.

Am Montagmorgen schaffen wir selbst die nötigen 2 Knoten nicht. Die Segel hängen einfach schlaff herunter und freuen sich über jeden kleinen Lufthauch. Gut, dass es überhaupt keine Welle gibt, sonst würden die Segel zu schlagen beginnen. Aber so dümpeln wir einfach gemütlich dahin und hoffen, dass der Wind stärker wird. Er „frischt“ tatsächlich auf und erlaubt uns die letzten Meilen Segeln mit voller Besegelung und einer „berauschenden“ Geschwindigkeit von 2-3 Knoten zu segeln. Wir passieren die Felsen an der Einfahrt in den Sydney Harbour.

In der Bucht wird es hektischer. Die Schnellfähren rasen mit Hochgeschwindigkeit im Hafen hin und her. Dazwischen andere Segler, Motorboote, Frachter und kleine Sportfischer. Auf den letzten 2-3 Meilen wird der Wind so schwach, dass wir kaum mehr Fahrt machen. Aber das gibt uns Zeit, die Skyline von Sydney zu genießen. Wir biegen um die letzte Ecke … und dann eröffnet sich uns der Blick auf die beeindruckende Harbour Bridge mit dem markanten Gebäude der Sydney Oper davor.

Wir brauchen einen Ankerplatz und zwar keinen verwinkelten und erst Recht keinen vollen, was in Sydney eigentlich eine unmögliche Sache ist. Während Thomas mit den Hafenbehörden über Satelliten-Telefon über die Möglichkeiten diskutiert, versucht Natalya mit Minimalbesegelung die Outer Rim im Fahrwasser zu halten. Normalerweise muss man zum Einklarieren an den Steg der Quarantäne-Behörde.. Ohne Motor haben wir jedoch keine Chance dort anzulegen. Die Behörden sehen ein, dass wir uns und die anderen nicht unnötig in Gefahr bringen wollen und verordnen uns, dass wir mit kleinem Abstand vor der Behörde in der Neutral Bay ankern sollen. Wieder ein Ankermanöver unter Segel! Dieses Mal aber relativ stressfrei mit sehr wenig Wind. Der Anker fällt, der Anker hält, wir sind da! Wir setzen uns hin, um zu verschnaufen, und stellen fest, dass wir so gut wie mitten im Fahrwasser der lokalen Fähren liegen. Alle paar Minuten düsen sie an unsrem Heck vorbei. Doch keiner beschwert sich.

Die Behörden kommen am Nachmittag in einem Dinghy. Man sieht ihnen schnell an, dass sie nichts mit der See zu tun haben. Das Besteigen der Leiter bereitet ihnen einige Schwierigkeiten. Wir zittern schon vor Aufregung und bangen um unsere Essensvorräte. Wer hat noch nicht gehört, wie streng die australischen Behörden kontrollieren. Auch haben wir das Unterwasserschiff nicht ordentlich putzen können, da Thomas wegen seiner Verletzung nicht mehr ins Wasser durfte. Wir haben noch einige Lebensmittel an Bord, und vor allem haben wir Sorgen, dass unsere gesammelten Muscheln, Sandproben und Souvenire nicht erlaubt sind.

Wir wissen nicht, ob es der Ausnahmesituation zu verdanken ist, dem sich nähenden Feierabend, oder den Kindern ,die so nett und freundlich gucken, dass kaum etwas kontrolliert wird. Ein Beamter schaut mit der Taschenlampe unter das Waschbecken im Kinderbad, ob er dort Termiten findet. Als er Natalya nach Essen fragt, zeigt sie ihm eine Schale mit Biomüll und die Essensbilge, die er auch nur oberflächlich anschaut. Der Biomüll wird in einen schwarzen Sack eingepackt und kostenlos mitgenommen. Nur gut, dass keiner das Unterwasserschiff kontrolliert hat!

Das Erledigen der Papierformalitäten dauert einige Zeit, weil wir die Behörden gleich informieren, dass wir vorhaben, das Boot in Australien zu verkaufen ohne vorher Steuer und Zoll zu zahlen. Zuerst wollen sie uns nicht glauben, dass das erlaubt ist, dann nach einigen Telefonaten geht es doch. Alles erledigt, die Beamten fahren zurück. Wir bekommen die Erlaubnis für die Nacht hier zu bleiben. Ein fantastischer Ankerplatz mit Blick auf Harbour Bridge und Sydney Oper.

Unsere Segelreise ist hier nach 25.500 Meilen und knapp vier Jahren an Bord der Outer Rim zu Ende. Weiter geht es an Land.

4 Kommentare zu “Der Abschluss von 25.500 Seemeilen auf See

  1. Emma
    22. Juli 2018

    Schade das die Reise zu Ende ist. Ich habe alle Berichte immer gerne gelesen.
    Vielen Dank dafür !
    Emma

    • Thomas
      22. Juli 2018

      Danke Emma, dass du uns lesend auf unserer Reise begleitest. Es wird noch viel spannendes zu lesen geben. Wir reisen ja weiter an Land. Und da gibt es einige interesante Länder auf der Route, die man nicht per Boot erreichen kann. So … stay tuned 🙂

  2. Gwendolin Mühlinghaus
    22. Juli 2018

    Liebe Familie,

    als ich vor ca. drei Jahren den Blog von Arved Fuchs verfolgte, wurde dort in einem Nebensatz eine Familie mit vier Kindern erwähnt, die die Welt umsegelt auf der Outer Rim. Danach war es ein leichtes, eure Webseite zu finden. Ich war damals mit meinem dritten und damals noch sehr kleinem Kind Arvid zuhause und habe eure Berichte verschlungen. Es hat mir sehr imponiert, mit vier Kindern und eurem damals noch winzigem Arvid eine solche Reise zu starten. So bin ich mit dem Abschluss Eurer Seereise fast ein bisschen wehmütig, dass damit ein Kapitel zuende gegangen ist. Für die weitere Tour wünsche ich euch alles Gute. Ich erwarte in Kürze mein viertes Kind und werde auch dann eure weiteren Einträge mit Sehnsucht erwarten.
    Ganz herzliche Grüße von Gwendolin aus Berlin

    • Thomas
      23. Juli 2018

      Hallo Gwendolin,
      schön zu wissen, dass du mit deinem kleinen Arvid unsere Reise verfolgt hat! Und an die Zeit, die wir in Puerto Williams neben Arved lagen, haben wir noch sehr gut in Erinnerung. War toll, und Patagonien ohne Frage der schönste Teil unserer Reise.
      Auch wir sind etwas wehmütig, dass die Seereise in Sydney zu Ende war. Eigentlich sind wir eh schon länger als geplant unterwegs, und das Ende ist irgendwie absehbar. Jetzt tingeln wir gerade noch etwas durch Asien. Da gibt es sicher noch einige interessante Artikel. Auch ohne Segelboot kann man Abenteuer erleben, die wir gerne teilen.
      Und für die Geburt eures jüngsten wünschen wir euch alles Gute!
      Grüße aus Japan nach Berlin
      Thomas

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