(31.10.2017 – Tag 1.227)
Tauchen in der einzigartigen Lagune von Neukaledonien war einer der Gründe warum wir hierher kommen wollten. Da wir eh nicht segeln können, bleibt uns genug Zeit um diesen Wunsch zu verwirklichen. Eine Tour ist schnell und unkompliziert am Steg der Marina gebucht. Am nächsten Morgen schlüpfen wir in dicke Neoprenanzüge – das Wasser hier ist nicht mehr so warm wie bei unserem letzen Tauchgang auf Fidschi – und fahren in einem großen Rib mit hoher Geschwindigkeit aus dem geschützten Hafen. Heute bläst der Wind frisch aus Süd und treibt ordentlich Wellen durch die Lagune.
Einige Zeit lang kämpft der Steuermann mit maximaler Power des 200 PS Motors gegen exakt auf die Nase kommenden Wind und Welle. Wir versuchen uns krampfhaft an dem glitschigen, steil in die Luft ragenden Schlauchboot festzuhalten, die überkommende Gischt schlägt bei jeder Welle ins Gesicht. Schnell wird es klar, dass wir so das vereinbarte Ziel, den Leuchtturm von Amedee, nicht erreichen können. Wir fallen ab und fahren statt dessen zu Ila Metre. Wir sind so froh angekommen zu sein, dass wir nicht besonders darauf eingehen, dass unser Boot bei 20 Knoten Wind im Luv der Insel an eine Mooring gebunden wird und im ankommenden Schwell deutlich auf und ab hüpft. BCD an, Masken auf, schnell ins Wasser.
Unter Wasser ist alles ruhig, die Sicht ist zwar nicht hervorragend, aber OK. Es gibt nicht wirklich viel zu sehen. Der Grund ist sandig, keine Korallen. Einige Schildkröten schwimmen an uns vorbei oder ruhen unter Steinen, ein Hai gleitet am Rande des Sichtfeldes an uns vorüber. Ganz kurz erblicken wir einen Delfin. Alles in allem ist das, was wir sehen, die Strapazen der Anfahrt nicht wert. Hoffentlich wird der zweite Tauchgang interessanter.
Damit wir wieder ins Boot einsteigen können, werden am Heck links und rechts des Propellers Leitern ausgeklappt. Mit voller Ausrüstung, einigen Kilogramm Blei am Körper ist man schon unter normalen Bedingungen nicht wirklich grazil und wendig. Bei einem Meter Schwell wird das Einsteigen in das wild tanzende Schlauchboot zu einem Kunststück. So wie wir es gelernt haben geben wir zuerst den Bleigurt und die Flossen ins Boot, bevor wir die Leiter zu erklimmen. Natalya geht zuerst, dadurch bleibt Thomas ein paar Sekunden zu lange im Wasser. Die nächste Wellenbewegung hebt das Schlauchboot in die Höhe, beim abwärts Hüpfen ist Thomas Fuß gerade im Weg des zum massigen Motor gehörenden Edelstahl-Propeller. Dieser trifft mit voller Wucht auf den ungeschützten Fuß und schneidet tief ins Fleisch. Thomas verspürt nur ein kleines Kratzen, weiß aber, das da mehr passiert sein muss. Natalya steht immer noch auf der Treppe und sieht nichts was hinter ihr passiert. Von hinten schreit Thomas verzweifelt, dass sie sich beeilen soll. Als er sich ins Boot zieht, klafft an seiner Fußsohle ein tiefer offener Schnitt. Das vom Blut intensiv rot gefärbte Wasser schwappt im Schlauchboot hin und her.
Unser Tauchlehrer ist der Situation nicht gewachsen. Er kramt zwar schnell die erste Hilfe Kiste heraus, weiß aber nicht richtig, was man mit deren Inhalt anfängt. Thomas nimmt ihm das Verbandsmaterial ab und nutzt die Kenntnisse aus dem Notfallmedizin-Seminar, um sich den Fuß mit einem Druckverband schnell selbst zu verbinden. Den Tauchlehrer beruhigen wir, dass wir hier keinen Hubschrauber brauchen. Wir sammeln schnell die noch im Wasser befindlichen anderen Taucher ein, legen Vollgas ein und düsen mit 25 Knoten zurück in den Hafen. Dort wartet schon der Leiter der Tauchschule, der Natalya und Thomas in seinem Jeep schnell zur Notaufnahme bringt. Hier dauert es wie gewohnt eine Ewigkeit und nicht ohne ausführlichen Papierkram bis sich ein Arzt findet, um die Wunde anzuschauen. Thomas wird zunehmend blasser, der Verband verfärbt sich rot, am Boden sind schon rote Schlieren.
Endlich ist ein Arzt da, der sich die Geschichte des Unfalls kurz anhört. Als er die Wunde unter lokaler Betäubung untersucht, verfinstert sich sein Gesicht. Thomas wird zum Röntgen geschickt, damit man sicher gehen kann, dass die Knochen unverletzt sind. Dann dauert es wieder eine Ewigkeit bis der Arzt zurück kommt. Er schaut sich die Röntgenbilder an, zum Glück ist nichts gebrochen. Als der Arzt in der Wunde rumstochert um die Tiefe der Verletzung abzuschätzen, verliert Thomas beinahe den Bewusstsein. Nach dieser Untersuchung ist der Arzt definitiv der Meinung, dass er so tiefe Wunden nicht einfach in der Notaufnahme zusammenflicken kann. Sie muss unter Vollnarkose im Krankenhaus operiert werden.
Der Blutdruck fällt ab, Thomas bekommt eine Infusion und darf liegen bleiben. Natalya muss zurück zum Boot und zu den schon eh viel zu lange wartenden Kinder. Die Tauchschule ist unerreichbar, Taxi nicht in Sicht. Natalya marschiert zu Fuß zur Marina und fährt per Anhalter zur Outer Rim. Die Kinder sind wohlauf, haben schon sich selbst um das Mittagessen gekümmert und einer über Funk anrufenden Frau zugesagt, dass sie unsere zum Verkauf stehenden Kanister am Nachmittag haben kann. Die Juniorcrew ist voll selbstständig und souverän.
Am späten Nachmittag packen wir die Sachen für Thomas zusammen. Vsevolod fährt uns in die Marina. Dort verkaufen wir tatsächlich die 10 Dieselkanister, die wir seit Patagonien dabei haben. Der Käufer will mit einer gebrochenen Want nach Neuseeland segeln und zur Reserve so viel Diesel mitnehmen wie es nur geht. Nicht nur wir haben hier Probleme mit anstehenden Reparaturen. Von dort gehen wir zu Fuß zum Krankenhaus. Als wir ankommen, ist Thomas noch im OP-Zimmer. Die Schwestern erklären uns, dass die OP gut verlaufen ist, der Patient aber noch beim Aufwachen sei. Wir wollen warten und finden in diesem irre teuren Krankenhaus weder einen Warteraum noch Stühle zum Hinsetzen. Uns bleibt nichts anderes übrig, als uns zu fünft ins für Thomas vorbereitete Zimmer auf zwei Stühle hinzusetzen. Sein aus dem Elsass stammende Bettnachbar spricht gut Deutsch, hat die Geschichte schon gehört, und hat nichts dagegen, dass die Kinder hier während des Wartens Fernsehschauen.
Nach etwa einer Stunde wird Thomas auf einem Bett ins Zimmer gefahren. Sein Fuß steck in einem massiven Verband. Arvid ist die Situation nicht geheuer, er hat deutlich Angst, und wir müssen auf ihn einreden, dass er Papa ohne Gefahr anfassen kann. Thomas erzählt, der Arzt sagte ihm, er sei ein Glückspilz. Einige Zentimeter weiter wären die Zehen weg, einige Millimeter tiefer wäre der Fußknochen durch. Und sowieso sind zwei Muskel durchtrennt worden, die aber wieder zusammengenäht werden konnten.
Heute Nacht muss Thomas hier übernachten. Die nächsten fünf Wochen darf der Fuß überhaupt nicht belastet werden. Sonst droht, dass die geflickten Muskeln wieder reißen. Am nächsten Tag kommt Skipper mit Krücken und einem festen Stiefel um den verletzten Fuß nach Hause zurück. Natalya macht sich Sorgen, wie wir ohne Motor und mit einem Skipper mit Holzbein nach Australien segeln sollen. Der Skipper bleibt optimistisch, sagt dass es außer seiner hier noch genug Hände an Bord gibt und wir das irgendwie schaffen werden.
Die Wunde verheilt in den nächsten Tagen gut. Thomas wird schnell übermütig und hüpft mit den Krücken bis zum Stadtpark. Die Ärzte haben erstklassige Arbeit geleistet. Allerdings haben zwei Tage im Krankenhaus mehrere Tausend Euro gekostet. Nur gut, dass wir eine Krankenversicherung haben. Für den Fall, dass unsere Versicherung sich gegen die hohen Kosten sträubt klären wir den Leiter der Tauchschule auf, die Verletzung sei definitiv der an Fahrlässigkeit grenzenden Inkompetenz des Tauchlehrers zuzuschreiben. Er solle seine Versicherung über den Fall informieren.
Mit Krach und Streit bekommt Natalya ihren zweiten Tauchgang, der ja wegen der Verletzung ausfallen musste. Dieses Mal ist das Wetter optimal. Fast windstill, die See glatt, kein Vergleich zu dem ersten Ausflug. Bei diesen Bedingungen kann das Rib gefahrlos bis zum Saumriff fahren. Allerdings wird noch auf der Innenseite auf einem Art Hochplateau getaucht. Mit vielen Anfängern im Boot ist Passtauchen bei viel Strömung keine gute Idee. Hier gibt es mehr Fische und Korallen als bei Ila Metre, allerdings ist die Szenerie nicht so spektakulär wie in Fidschi. Natalya beobachtet ganz genau, wie die Tauchlehrer wieder ins Boot einsteigen. Trotz des Unfalls klappen sie beide Heckleitern aus, eine Seite befindet sich wieder in gefährlicher Nähe zur Schiffsschraube. Die Tauchlehrer sprechen darüber nicht mit den ihnen anvertrauten Tauchern, steigen aber selber auf die Leiter ohne die Flossen auszuziehen, damit im Falle des Schlags die Füße wenigstens durch sie geschützt werden.
Als kleinen Ausgleich für die sonst so fehlenden Highlights bekommen wir direkt neben der Outer Rim Dugongs zu sehen. Auch ein kleines Baby ist dabei. Wir haben diese scheuen Tiere überall in den abgeschiedensten Ecken gesucht, haben sie aber im geschäftigen Hafen von Noumea deutlich zu sehen bekommen.
Uns wird es in Noumea immer langweiliger. Die gemeinsamen Nachmittage mit StopWorkOrder sorgen für ein bisschen Abwechselung, aber ansonsten gibt es hier überhaupt nichts zu tun. Einmal fragt uns (am Vormittag!) auf der Straße ein Kreuzfahrtschifftourist nach einem guten Pub zum Bier trinken. Er hat noch viel Landaufenthalt bis sein Schiff wieder ausläuft, aber weder was zum Angucken noch eine Bar zum Hinsetzen gefunden. Wir können da sehr gut mitfühlen.
In den nächsten Tagen verspricht der Wetterbericht kein passendes Wetterfenster. Die Tiefs kommen eines nach dem anderen. Die Perioden dazwischen würden zwar für den Weg nach Brisbane gerade so reichen, bis nach Sydney sind sie definitiv zu kurz. Wir feiern Halloween. Die Kinder verkleiden sich und gehen in der Marina durch die Stege, sind aber schnell gefrustet. Die Süßigkeiten sind hier so teuer, dass kaum jemand was ausgibt. Beim Anklopfen geht das Licht aus, die Leute verstellen sich, sie seien nicht zu Hause. Doch es hat auch was Gutes. Wir finden die Franzosen wieder, denen wir in Vanuatu unseren Autopilot anvertraut haben, damit sie das Teil unseren Freunden nach Neuseeland mitnehmen. Ihr Boot ist so beschädigt, dass sie die Route ändern und nach Noumea zurück kehren mussten. Nach Neuseeland wollen sie immer noch, aber jetzt mit dem Flugzeug. Sie sind überglücklich, dass sie das schwere Teil nicht im Flugzeug mittransportieren müssen.
Halbherzig versuchen wir jemanden zu finden, der uns auf der Überfahrt nach Sydney helfen könnte. Es findet sich aber trotz Aushang in der Marina und Inserat auf CrewFinder keine sinnvolle Crew-Ergänzung. Das Wetter ist immer noch nicht perfekt. Wir ziehen manche verrückte Alternativen wie z.B. einen Zwischenstopp am Chesterfield Riff in Erwägung, um die Passage in zwei kürzere Etappen zu spalten. Am Ende haben aber Noumea so satt, dass wir beim ersten halbwegs passenden Wetterfenster ablegen und die auf uns zurollende, durch die Front weiter südlich verursachten 4 Meter Welle in Kauf nehmen. Wenn alles nach Plan läuft reicht das Wetter sogar, um Sydney zu erreichen, ohne dabei eine Front abwettern zu müssen.