(05.08.2017 – Tag 1.140)
Fidschi ist das erste melanesische Land auf unseren Route. Obwohl uns von Tonga nur wenige Hundert Meilen trennen, treffen wir hier auf ganz anders aussehende Bewohner und auch auf eine ziemlich andere Kultur. Während in Tonga fast alle Frauen ihre langen schwarzen Haare zu aufwändigen Frisuren hochstecken, haben die Melanesier ihre Haare gerne kurz. Kein Wunder, die kleinen Locken kann schon bei moderater Länge kein Mensch durchkämmen. Obwohl ihre Hautfarbe wesentlich dunkler ist, mindestens so dunkel wir die der Westafrikaner, haben manche Kinder fast blonde Haare. Die Kombination sieht ziemlich ungewöhnlich aus. Beim ersten Mal denkt man an Bleichmitteln, bei nächsten an den kaukasischen Blutanteil, spätestens bei der ersten Kinderschar fragt man sich doch, dass sie nicht alle ihre Haare gefärbt haben können.
Die indigenen Fidschianer teilen ihr Land mit einer großen Gruppe Inder. Einst als Gastarbeiter für die Zuckerrohrplantagen aus Indien geholt, wurden sie schnell hier sesshaft. Aus einer relativ kleinen Gruppe von etwa 50 Tausend wurde am Ende der 20. Jahrhundert eine ethnische Mehrheit des Landes. Kein Wunder, dass die Melanesier diese Entwicklung alles andere als willkommen hießen. Die zwei so unterschiedlichen Kulturen vermischen sich kaum. Man sieht keine gemischten Ehen und keine Mischlinge unter den Kindern. Die Inder bleiben in der Nähe der großen Städte und der Plantagen, der indigenen Gruppe gehört das Land. Rasistische Gesetzte führen dazu, dass inzwischen einige Tausend Inder pro Jahr das Land für immer verlassen.
Doch die Bevölkerungsgruppe bleibt trotzdem sehr präsent. Man findet in jedem Supermarkt spezielles Mehl für Roti und eine ganze Palette indischer Gewürze. Wir finden kein Restaurant mit traditioneller Küche, dafür aber indische Restaurants an jeder Ecke. Selbst in den Kleidungsgeschäften gibt es oft zwei getrennte Bereiche: modern, mit traditionellen ozeanischen Elementen und konservativ indisch. Der Unterschied in der Konfektionsgröße ist sehr deutlich. Als wir für Arvid ein Hemd suchen, nehmen wir in der indischen Abteilung eines in Größe 8 (entspricht dem Alter), und eines in Fidschiabteilung in Größe 4. Arvid probiert das indische Hemd, dabei platzen die Knöpfe beinahe auf seinem Bauch. Natalya hätte zwar auch Lust, ein paar Saris anzuprobieren, aber bevor wir Gefahr laufen, einen nach Deutschland schleppen müssen, verlassen wir schnell den Laden.
Diese Woche findet auf einer großen Wiese neben der Schule ein großes Fest statt. Wir schauen neugierig vorbei. Die Palette an Unterhaltung zeigt wie weit die lokalen Kinder von der westlichen Komsumgesellschaft und den elektronischen Spielwelten entfernt sind. Sie stehen Schlange für Zuckerwatte und nehmen mit Begeisterung an dem Sackhüpfwettrennen teil. Am Abend wird das „Riesenrad“ angeschaltet: eine verdächtig klapprige Konstruktion, angeschlossen an einen urig aussehenden Verbrennungsmotor gekoppelt an eine ausrangierte Antriebsachse eines Autos. Das Rad ist zwar klein, dreht sich aber so schnell, dass die Kinder vor Freude quietschen und gleichzeitig vor Schrecken schreien. Die Schlange ist ewig lang.
Am Sonntag zieht ein Umzug durch die Stadt. Es steht die Wahl zur Miss Savusavu an und die fünf Kandidatinen präsentieren sich auf aufwändig geschmückten Wagen. Arvid, der nie einen deutschen Fashing gesehen hat ist begeistert, vor allem von der Tradition, Bonbons in die Menge zu werfen. Er steckt gleich einen der gefangenen Schätze in den Mund, sein Gesicht verzerrt sich und er spuckt angewidert den Bonbon aus: „Pfefferminz!“. Danach probiert er ein anderes, mit gleichem Ergebnis. Arvid beschließt, dass wir hier keine Bonbons kaufen sollen. Den restlichen Fang steckt Natalya ein.
Wir sind schon zwar einige Tage her, kommen aber nicht wirklich aus der Stadt raus. Unsere Kinder gehen lieber zum Spielplatz mit einer Schaukel und einer Mörderrutsche als irgendwohin in die Natur. Am Abend liest Natalya entschlossen im Reiseführer und findet ein kleines Waldreservat, nicht weit der Stadt. Mit einem Taxi fahren wir auf einer Straße mit poetischem Namen – Hibiscus Highway. Sobald wir das Meer verlassen, wird die Landschaft hügelig und saftig grün.
Nach gut 20 Kilometern hält das Taxi an einem Zaun an. Das Tor ist geschlossen, trotz der Öffnungszeiten ist keiner da. Nach einem kurzen Telefonat erklärt sich der Taxifahrer bereit gegen eine kleine Zusatzgebühr den Parkranger aus dem naheliegenden Dorf zu holen. Vorher wird natürlich über das Telefon erst mal die Eintrittsgebühr ausgehandelt. Zu unserer Überraschung bringt er statt einen Ranger einen etwa 10-jährigen Jungen mit. Der Junge öffnet uns das Tor und begleitet uns auf der Wanderung. Im Gegensatz zu den Kindern in der Stadt versteht er kein Wort Englisch. Kein Wunder, eigentlich ist ja jetzt am Vormittag Schulzeit. Heute früh sind uns viele Kinder in Schuluniform entgegen gekommen. Offensichtlich geht der Junge nicht zur Schule. Entweder haben die Eltern kein Geld oder keine Lust seine Schulgebühren zu bezahlen.
Wir wandern auf einem schmalen aber gut angelegtem Pfad, der in ein tiefes Tal führt. Der Wald ist angenehm schattig und schützt uns vor der Hitze des Tages. Das Grün wächst in mehreren Etagen übereinander. Unten im Tal plätschert ein kleiner Bach. Zum Glück hat es in den letzten Tagen nicht geregnet. Der Weg ist an manchen Stellen steil und lehmig. Nach etwa 1,5 Stunden sind wir mit unserem Rundgang fertig. Zurück in der Stadt steigen wir aus dem Taxi aus und werden von der feuchten Mittagshitze fast erdrückt. Ohne Schatten ist die Sonne kaum zu ertragen.
In den letzten Monaten war unser Zeitplan ziemlich voll. Wir haben so viele Länder, Kulturen, Landschaften gesehen haben, dass wir dieses Mal Schwierigkeiten haben, uns auf das neue Land einzulassen. Wir werden mit Fidschi einfach nicht warm. Der Angestellte der Marina weist Arvid drauf hin, dass er in dem Copra Shed nicht mit seinem Laufrad fahren darf. Andere Segler klagen, dass unser Dinghy zu schnell und zu laut ist. Man hat das Gefühl, man sei in ein Paradies für Rentner und Kinderlose hineingeraten. In einer der hochpreisigen Hotelanlagen, auf dem Weg zu den besonders schick aussehenden Bungalows entdeckt Natalya eine Holztafel: „Kids past this point will be eaten“, kein Smiley drunter. Sicherlich geht diese Stimmung nicht von der Mehrheit der Einheimischen aus. Sie grinsen über beide Ohren, wenn sie Arvid auf seinem für sie ungewöhnlichen Gefährt rasen sehen. Die weißen Betreiber mehr oder weniger luxuriosen Hotelanlagen machen die Stimmung. Schreiende, herum tollende Kinder scheinen nicht dem gewünschten Urlaubskonzept zu entsprechen. Man hat oft das Gefühl, es geht ums große Geld.
Die Plänen für die neue Marina sind gewaltig. Die Tage des Moorngsfeldes in dem wir liegen sind gezählt. Stattdessen soll hier eine neue, zyklonsichere Marina entstehen. Dafür muss nur eine halbe Insel weggebaggert werden, ein großes Mangrovenfeld inklusive. Die angrenzenden Grundstücke für Geschäfte sind noch zu haben. Wahrscheinlich gar keine schlechte Investition, abgesehen von immensen Schaden für die Natur. Denn die Insel hat nicht nur Ruhe und Entspannung zu bieten. Beim Tauchen direkt vor einem hochpreisigen Resort entdecken wir eine phantastische Unterwasserwelt. Aus den Tiefen des Ozeans ragen hier so genannte Pinnackels aus. Diese relativ kompakte Unterwasserberge befinden sich mitten im unendlichen blauen Nichts und ziehen große Mengen an Meeresbewohnern an. Haben wir auf den Tuamotus und in Tonga viele Steinkorallen gesehen, entdecken wir hier für uns neue Arten von Weichkorallen. Manche sind ledrig und erinnern an Kopfsalat, andere wachsen wie kleine zarte Bäumchen auf den Steinen. Ihre Zweige bewegen sich sanft in der Strömung. Die Farben sind prächtig: intensives rot, gelb, blau, violett. Vor allem nah an der Spitze in 10-15 Metern Tiefe tummeln sich die meisten Fische. Taucht man tiefer, findet man die fäszinierenden großen filigranen Fächer der Gorgonien.
Da wir das letzte Mal vor mehr als einem Jahr tauchen waren, ist Natalya ein wenig aus der Übung und muss sich erst mit der Ausrüstung zurecht finden. Gegen Ende des Tauchgangs, als die Gruppe in 30 Metern Tiefe durch einen engen Unterwassertunnel schwimmen möchte, kommt sie gar nicht mehr so tief. Die Luft aus dem Tank ist schon fast weg, und ihr fehlt ein Kilo Gewicht. Unser Tauchlehrer ist auch zu entspannt um nach hinten zu schauen und bis 6 zu zählen. So bleibt Natalya nichts anderes übrig, als über dem Riff den Luftblasen, die aus dem Tunnel aufsteigen, zu folgen, um die Gruppe nicht aus den Augen zu verlieren.
Thomas fährt noch zu einem zweiten Tauchgang, um Hammerhaie zu suchen. Angeblich gibt es hier große Schulen davon. Natalya ist von der Idee nicht begeistert und bleibt lieber an Land, um eine Tasse Kaffee zu trinken. Doch wie die Zeit zeigt, umsonst! Thomas ist enttäuscht: kein einziger Hai in Sicht! Dafür große Menge an Fischen bei guter Sicht. Einer der Männer, der mit uns gemeinsam taucht erzählt von seinem Tauchgang vor Viti Levu mit großen Haien. In einem der Marine Sanctuaries werden sie von einem einheimischen Tauchführer aus der Hand gefüttert. Bullenhaie und, wenn man Glück hat, ein Tigerhai greifen gerne zu. Die Einheimischen sind deutlich entspannt, während die Riesenhaie mit großem Appetit um sie herum kreisen. Die Touristen schauen gebannt zu und hoffen, dass die Götter, die laut Glauben und Tradition die hiesigen Dorfbewohner schützen, ihren Schutz auch auf die Touristen ausweiten.
Bevor wir Savusavu verlassen, gehen wir noch mal auf den Markt einkaufen. Am Samstag ist hier besonders viel los: aus dem Umland kommen auch die Dorfbewohner, mit der ganzen Familien, um die Ernte aus dem Gemüsegarten zu verkaufen und die Lebensmittel wie Mehl, Zucker und Öl einzukaufen. Die ganze Woche lang haben wir uns durch frische reife Tomaten, verführerisch duftende Ananas, knackige Gurken und allerlei andere Frucht und Gemüse durchprobiert. Alles frisch vom Feld, insetktizidfrei und zu günstigen Preisen.
Heute ist Natalya auf die Jagd nach exotischen Lebensmitteln. An einem Stand kauft sie einen großen Bund von Farnblättern und lässt sich auch eine Anleitung geben, wie man sie kocht. Was für ein tolles Gefühl, wenn die Einheimischen gut Englisch sprechen, und man sich gegenseitig verständigen kann. Am nächsten Stand werden riesige Bündeln von Brunnenkresse verkauft: haben wir seit England nicht mehr gesehen. Wir packen ein großes, in ein Bananenblatt eingewicheltes Bündel mit ein. Die Kresse hat einen scharfen Geschmack, der ein wenig an Knoblauch erinnert: eignet sich gut für Salat. Eine Marktfrau hat etwas ganz ungewöhnliches, was an Trauben erinnert, jedoch viel kleiner ist. Auf die Nachfrage stellt sich heraus, dass es sich um Algen handelt (Seagrapes). Im Gegensatz zu vielen anderen Algen schmecken sie nicht schleimig, sondern knackig und gelten als besonders gesund. Für die frischen und getrockneten Oktopuse haben wir keine Verwendung. Vor allem die Kinder freuen sich, dass Mama keinen gekauft hat.
So ist unser Kühlschrank vor dem Ablegen zum Bersten voll. Doch wir müssen noch eine Aufgabe erledigen: Kavawurzeln kaufen. Ohne die kann man sich auf Fidschi gar nicht bewegen. Besucht man ein Dorf, muss man ein Bündel dieser Wurzeln dem Chief des Ortes in einer traditionellen Zeremonie überreichen. Die Strände und Gewässer vor den Dörfern gehören den dort lebenden Menschen und man bekommt erst durch die Kava-Zeremonie die Erlaubnis sie zu nutzen.