(28.07.2017 – Tag 1.132 – 22.776 sm)
Je weiter man sich im Pazifik nach Westen bewegt, desto anspruchsvoller wird die Navigation durch die Riffe. Waren es im Osten lediglich einzelne durch einen vulkanischen Hotspot entstandene Insel, die für Hunderte, wenn nicht Tausende von Meilen die einzigen Hindernisse im grenzenlosen Ozean darstellten, schieben sich im Westen mehrere tektonische Platten untereinander, was zur Anhebung ganzer Inselgruppen und damit verbundenen Korallenriffen auf einer Seite und einem Tiefseegraben auf der anderen führt. Ein paar Grad südlicher von uns liegt die tiefste Stelle des Tongagrabens, mit unvorstellbaren zehn Tausend Metern Tiefe.
Weil die Seekarten in dem Gebiet nicht immer verlässlich sind und manche Riffe mit ordentlicher Verschiebung andere aber gar nicht anzeigen, wird die Navigation manchmal zum Slalom mit verdeckten Hindernissen. Um von einem Ankerplatz zum nächsten zu gelangen, der auf der Luftlinie vielleicht 10 Meilen entfernt liegt, muss man oft einen langen Umweg in Kauf nehmen und stattdessen 20-30 Meilen fahren. Vor allem die knapp unter der Wasseroberfläche befindlichen, nicht trocken fallenden Riffe sind nur sehr schwer zu entdecken. Selbst bei ordentlichem Wind brechen dort kaum Wellen.
Vor jeder Fahrt durch mit Riffen voll gespicktes Gebiet vergleicht Thomas sorgfältig, Stück für Stück die Seekarte mit dem entsprechenden Satellitenbild und legt für besonders anspruchsvolle Segmente Wegpunkte fest. Da in diesem Jahr im Südpazifik bereits mindestens acht Yachten auf Riffe aufgelaufen sind und sechs davon entweder gesunken sind oder zumindest komplett aufgegeben werden mussten, ist diese Vorbereitung auch wirklich nötig. Glücklicher Weise ist es bei den havarierten Yachten jeweils bei Sachschaden geblieben, und es sind keine Menschen zu Schaden gekommen.
Als wir Tonga verlassen, ist der Himmel vollständig bedeckt. Das Licht ist alles andere als optimal, daher sind die Wegpunkte von großem Nutzen. Manchmal sehen wir das schäumende Wasser erst nachdem das Riff bereits achteraus liegt. Von der Luv-Seite aus sind die Brecher nicht zu sehen.
Sobald wir nach knapp 10 Meilen den Schutz der Riffe verlassen, kommt Schwell. Nach einer langen windarmen Periode ist die See allerdings sehr ruhig, die Wellen sanft und langgezogen. Nach weiteren 25 Meilen passieren wir Tofua, die für uns letzte Insel des Tonga Archipels. Diese Insel war der erste von vielen Stopps von Kapitän Bligh nachdem er nach der berühmten Meuterei auf der Bounty von seiner Mannschaft ausgesetzt wurde. Er betrat mit den 18 ihm loyalen Matrosen die Insel nicht ganz freiwillig. Obwohl es Bligh gelang sich auf der Insel mit Proviant und Frischwasser für die weitere Fahrt in seiner kleinen Barkasse einzudecken, kam es zu schweren Auseinandersetzungen mit den Insulaner, was zum Tod eines der Matrosen führte.
Diese Vulkaninsel mit einer steil abfallenden Caldera, die einen Süßwassersee beherbergt und einigen Spuren von frischem Vulkanismus aus den letzten Jahrzehnten zeigt, gehört sicherlich zu den Naturwundern. Leider ist das Wunder wegen mangelder Ankermöglichkeiten für uns unerreichbar. Und selbst wenn wir ankern könnten – die Dörfer der Insel sind verlassen, seit der Jahrtausendwende ist die Insel unbewohnt. Nur gelegentlich kommen die Tongaer, die auf der Insel Rauschpfeffer anzubauen, aus dessen Wurzel Kava hergestellt wird. Und ohne Führer und ohne sichtbare pfade ist der Weg ins Inselinnere sicherlich nicht zu finden.
Den ganzen zweiten Tag auf dem Weg nach Fidschi genießen wir die ruhige Fahrt. Mit halben bis raumen Winden segeln wir bei wenig Welle mit 8-9 Knoten. Aber egal, wie man plant – man erreicht die engste Stelle immer im Dunkeln. Auf dem Weg zu unserem Ziel liegt die Lau-Gruppe im Weg. Die Oneata-Passage zwischen zwei der Lau-Atolle ist in ozeanischen Maßstäben mit seinen 3-4 Meilen Breite ein Nadelöhr. Eigentlich gehören diese Gewässer schon zu Fidschi, sind auch bewohnt, aber es gibt hier keine Möglichkeit einzuklarieren. Jeder Segler weiß, mit den hiesigen Behörden ist nicht zu spaßen. Auch wenn diese Inseln sehr abgelegen sind, verfügen sie über Funkkontakt zu den Haupinseln. Jeder unangemeldete Besucher wird sofort verpetzt. Also dürfen wir hier leider nicht anhalten und müssen weiter bis nach Savusavu.
Während der Rest der Crew friedlich schläft, fährt Thomas in stockfisterer Nacht durch die Passage. In der sicheren Bucht von Oneata macht er ein Ankerlicht aus. Wie schön wäre es hier zu ankern, eine Pause zu machen und die einmalige Schönheit der Lau-Gruppe von hier zu entdecken. Doch die Insel ist vor zu viel Neugier gut geschützt. Wer hierher will, muss die Meilen gegen den Wind nach dem Einklarieren in Savusavu wieder gut machen.
Als ob die Spannung mit den Riffen entlang der Passage nicht an sich schon reichen würde, spielt unser Tiefenmesser mit dem Skipper ein Spielchen und zeigt für einige Minuten beharrlich eine Untiefe von 5 bis 10 Metern an. Wir wissen zwar aus den vorherigen Erfahrungen an Engstellen mit komplexen Strömungsbildern und Schichtbildung, dass es in solchen Situationen zur Bildung eines falschen Echos kommen kann. Dennoch braucht der Skipper starke Nerven, um die Zeit durchzustehen. Nach einer Weile zeigt das Gerät wieder kein Echo mehr.
Der Wind flaut am dritten Tag ab, die Welle wird im Schutz der Laugruppe noch weniger. Wir segeln zwar ganz entspannt, üben uns aber ständig im Rechnen. Heute ist Donnerstag und wer in Fidschi am Wochenende ankommt, muss den Beamten happige Gebühren für Überstunden entrichten. Für zwei Stunden schalten wir den Motor an, um uns doch die Kosten zu sparen.
Bevor wir das Land erreichen, verlegen wir noch unseren Weinvorrat in eines der tiefsten Fächer der Bilge. Die Grenze für steuerfreien Alkoholeinfuhr liegt bei 2 Liter pro Erwachsenen. Doch unsere Sorgen sind unbegründet. Das größte Hindernis beim Einklarieren stellt der Quarantäne-Steg dar, der bei unserer Bootsgröße nicht mal bis zur Mitte des Boots reicht, und da müssen wir längsseits gehen, damit die Beamten trockenen Fußes an Bord gehen können. Das letzte Mal hatten wir so eine Übung in Marokko. Doch heute ist es im Hafen so gut wie windstill und das Manöver geht auch problemlos.
Die Beamten interessieren sich auch nicht für Wein oder frisches Gemüse im Kühlschrank. Nachdem ein Stapel Papiere ausgefüllt ist, sind wir mit Formalitäten fertig und können uns eine Boje im Hafen aussuchen. Wir schauen uns skeptisch eine an, die so voll mit Muscheln bewachsen ist, dass sie sich nicht mehr aus dem Wasser ziehen lässt, nehmen dann die nächste. Stellen fest, dass wir zu nah an dem benachbarten Segler liegen, werfen die Leine los und fahren Kreise. Aber alle der ziemlich chaotisch ausgelegten Bojen erscheinen uns viel zu eng aneinander gedrängt. Nach einigen Kreisen kehren wir doch zur ersten Boje zurück. Wird schon gutgehen …