(15.05.2016 – Tag 725)
Früh am Morgen packen wir unsere Sachen und fahren zum National Park Altos de Lircay. Auf dem Weg sehen wir unzählige Touristenunterkünfte. Obwohl das Wochenende richtig schön und warm wird, steht fast alles verlassen. Wir sind froh über unsere Ruhe in der Nebensaison.
Gegen eine kleine Gebühr kommen wir auf das Gelände des Nationalparks. Die Ranger empfehlen uns, nicht den fast 9 km langen Weg zum Gipfel des Berges zu nehmen, sondern eine kurze Familienwanderung. Sie führt durch einen dichten alten Wald. Plötzlich geben die Bäume die Sicht frei. Wir stehen auf einer Aussichtsplattform und können ganz weit, bis zu einem schneebedeckten Vulkan am Horizont sehen. Tief unter uns ist ein Bergfluss zu hören. Der Himmel ist wolkenfrei, kein Schleier verhüllt die Ferne, die Sicht ist gestochen scharf. Was für ein Glück haben wir mit dem Wetter. Es ist Herbst, es hätte auch ein verregneter, grauer Tag werden können.
Nach etwa einer Stunde Wanderung hat Arvid genug und will nicht wesentlich weiter laufen. Wir lassen die Kinder am Bach spielen und Dämme bauen. Dann probieren wir doch ein kleines Stückchen bergauf zu gehen. Aber für den kleinen Kerl ist es einfach zu viel. In der Hoffnung gute Bildaufnahmen zu ergattern läuft Thomas allein noch weiter. Der Rest der Familie begibt sich langsam auf den Rückweg. Eigentlich hatte Thomas vor, nur etwa zehn Minuten weiter zu laufen. Natalya und die Kinder laufen langsam nach unten, kommen am Haus der Ranger vorbei, warten dort, schlendern langsam Richtung Ausgang und laufen fast zwei Kilometer bis Thomas sie wieder einholt. Wie einen diese zauberhafte Herbststimmung, die Schönheit der Natur und der Lockruf des Unbekannten mitnehmen. Thomas war ohne auf die Uhr zu schauen fest der Meinung, er war nur zehn Minuten unterwegs … Was wäre das für ein Traum, hier einige Tage lang alleine durch die Ruhe und Abgeschiedenheit mit einem Zelt zu wandern und unter dem freien Sternenhimmel zu übernachten. Die Zeit vergeht so schnell.
Als wir unser Auto am Parkplatz vor dem Parkeingang erreichen, ist es erst früher Nachmittag. Laufen können wir heute nicht mehr, dann fahren wir halt Auto. Die Anden haben auch für Autofahrer tolle Eindrücke bereit. Wir überholen mit Kürbissen voll bepackte Lastwagen. Ein Gemüsestand am Rand der Hauptverkehrsstraße eines kleinen Dörfchens scheint mehr Auswahl zu haben als der Viktualienmarkt. Nur 3% der Fläche von Chile können für Ankerbau genutzt werden, 4 weitere als Weideflächen – der Rest ist zu trocken, zu nass, zu steinig, mit Eis bedeckt … Nichtsdestotrotz exportiert Chile beträchtliche Menge Obst und Wein.
An einer der Kreuzungen entdeckt Thomas einen viel versprechendes Schild: Laguna del Maule. Klingt gut, wir fahren in die Richtung. Die Straße führt immer höher in die Berge, bis auch die letzten Vegetationsspuren verschwinden. Die lebensfeindliche Landschaft besteht aus Felsen, Schnee und Geröll. So steht man sich Anden vor. Der Schnee der Gipfeln glitzert in den sanften Strahlen der spätnachmittaglichen Sonne. Viel früher als erwartet kommt das Hinweisschild für den Grenzübergang nach Argentinien. Tatsächlich, da ist schon die Schranke! Aber wo ist die Lagune??? Die sollte doch vor der Grenze sein. Wir halten an, schauen noch mal auf die Karte – die Lagune soll direkt neben der Straße liegen, keine 200 Hundert Meter entfernt. Wir steigen aus – weit und breit ist nicht einmal ein kleiner Tümpel zu sehen.
Wir wissen zwar, dass wir mit unserem Mietwagen ohne Sondererlaubnis nicht nach Argentinien dürfen, aber wir probieren es trotzdem – wenn wir jetzt schon mal hier sind. Die Pässe sind mehr oder weniger schnell für die Ausreise aus Chile abgestempelt. Geht das doch, oder? Nein, jetzt muss man noch zum Zoll wegen des Fahrzeuges. Tja, und das geht tatsächlich nicht. Wir diskutieren ein wenig, ob der Grenzbeamte uns einfach einen neuen Einreisestempel gibt. Nein, er streicht den Ausreisestempel einfach durch, einen neuen darf er uns nicht geben. Genau genommen hat er Recht, wir waren ja nicht im Ausland. Wir haben trotzdem gehofft, dass wir auf diese Weise das Problem mit dem auslaufenden Visum leicht lösen können. Aber so einfach ist es dann doch nicht.
Die Sonne steht schon sehr tief am Himmel. Wir müssen noch den ganzen Weg wieder zurück fahren und eine Übernachtungsmöglichkeit suchen. Obwohl die Zeit drängt, steigen wir noch mal aus, klettern auf einen kleinen Bergrücken um wenigstens von Oben die schöne Lagune betrachten zu können. Verhext! Es ist einfach keine Lagune da! Auch wenn wir wegen des misslungenes Teil des Planes ein wenig frustriert sind, war dieser Andenpass absolut sehenswert. Wie wir später erfahren, ist die Grenzkontrolle viele Kilometer vor der eigentlichen Grenze und die gesuchte Lagune befindet sich somit zwischen der chilenischen und der argentischen Kontrollstelle.
Auf dem Rückweg blättert Natalya wieder im Reiseführer. Unten im Tal in der Nahe des Dörfchens Amarillo liegt ein weiterer National Park, der einige nette Wanderwege bietet. Schon in der Dämmerung halten wir vor einem Refugio an und erkundigen uns, ob was frei ist. Für unsere Kinder ist das die erste Erfahrung mit einem Refugio. Es wird von einem Belgier geführt, und alles sieht so aus, wie man sich das von Alpenwanderungen mit Hüttenübernachtung vorstellt. Harte Holzbetten mit groben Wolldecken, eine spartanische Gemeinschaftsküche. Unsere Nachbarn – ein nettes junges Ehepaar aus Chile – freuen sich sicherlich über den ganzen Krach, den vier Kinder veranstalten können. Sie kommen aus Concepcion, sind fürs Wochenende hier und empfehlen uns wärmstens ihr Heimatsstädtchen. Schade, dass man dort mit dem Boot nicht liegen kann.
Unsere Planung geht wieder nicht ganz auf. Wir haben uns die Gegen viel bewohnter vorgestellt. Natalya kocht zwar Spagetti mit Tomatensoße fürs Abendessen, aber zum Frühstück haben wir kein Brot. Schon in der Dunkelheit fahren wir drei Kilometer bis zum nächsten Dorf. Dorf gibt es sogar einen kleinen Laden. Der ist aber schon geschlossen! Wir fragen nach, die Besitzerin wird angerufen und kaum sind fünf Minuten vergangen, macht sie extra für uns ihren Laden auf. Was wollen wir denn haben? Brot gibt es keins, und sonst ist die Auswahl nicht berauschend – auf zwei Quadratmeter Ladenfläche passt ja nicht viel. Außer Eier finden wir nichts brauchbares zum Frühstück.
Wenn wir morgen erst mal ein Frühstück suchen, ist ein halber Tag schnell vorbei! Wir wollten das schöne Wetter ausnutzen und wandern gehen. Natalya durchforstet die Vorräte in Refugio, die die anderen Gäste beim Ausziehen dort gelassen haben. Schnell ist im Regal eine Lösung gefunden. Aus einer angefangenen Tüte Reis und Milch aus den Tiefen des Autos wird Milchreis gezaubert. Die Kinder sind begeistert und Papa macht auch mehr oder weniger mürrisch mit.