(06.05.2016 – Tag 715 – 12.877 sm)
Unsere Kinder freuen sich auf den Besuch des Estero Cahuelmo schon seit Langem. Nach Monaten in der Kälte und Jahren ohne Badewanne soll es hier eine Möglichkeit geben, sich ausführlich in heißen Quellen zu baden. Für das erste versprechen wir den Kindern nicht zu viel. Die Beschreibung des Revierführers ist schon sehr vage, und wir sind uns gar nicht so sicher, dass wir die Stelle mit den Quellen überhaupt finden und erreichen können.
In dichtestem Nebel gehen wir am Morgen Anker auf. Vorsichtig tasten wir uns mit Hilfe des Radars an den Salmoneras in der Bucht vorbei. Etwas weiter von der Insel Mechuque entfernt lichtet sich der Nebel und wir sehen die Berge unseres Ziels in der Morgensonne.
Da wir uns schon seit Wochen inmitten eines Hochdruckgebietes befinden, ist auch für heute kein Wind zu erwarten. Wieder Motor an, wie langweilig … die Kinder beschäftigen sich unter Deck mit der Schule bis der Skipper einen riesigen Walblas meldet. Alle stürmen sofort hoch und beobachten gespannt den Horizont. So einen kräftigen Atem hat auf der Erde nur ein Tier – der Blauwal. Was für ein Glück! Wir ändern sofort den Kurs und versuchen dem gewaltigen Wal näher zu kommen. Der Riese ist offensichtlich beschäftigt. Regelmäßig und methodisch taucht er alle paar Minuten auf, wahrscheinlich auf der Suche nach Nahrung. Obwohl die Tiere bis 200 Tonnen schwer wiegen, ernähren sie sich von den klitzekleinen in Wasser schwebenden Lebewesen – dem Plankton. Um seinen Bedarf an Kalorien zu decken, muss ein erwachsenes Tier jeden Tag etwa 3,5 Tonnen Plankton fressen. Dafür muss er gewaltige Menge Wasser durch seinen Maul filtern. Da gehen vom Tag schon einige Stunden darauf, um satt zu werden.
So gerne wir die Fluke gesehen hätten, ist der Wal heute nicht dazu aufgelegt sie uns zu präsentieren. Im Gegensatz zu Buckelwalen, die sehr häufig aus dem Wasser springen und beim Untertauchen häufig mit der Fluke auf das Wasser schlagen, bekommt man eher selten die Gelegenheit die Fluke eines Blauwales zu sehen. Dafür kommt das Tier so nah an uns, dass wir beim nächsten Auftauchen seine feuchte grauschwarze Haut, die wölbenden Wirbeln des Rückgrates, die kleine Finne und sein zweigeteiltes Blasloch ganz gut sehen können. Leider ist der Spaß ziemlich kurz. Der Wal zieht auf der Suche nach Nahrung schnell weiter. Nur seinen Blas können wir noch einige Zeit lang in der Ferne sehen.
Nach der Begegnung mit dem Wal frischt der Wind ein wenig auf, und wir können auch einige Meilen segeln. Am Eingang des Esteros kommt uns eine ziemlich unangenehme steile Welle entgegen. Von vorne, wie immer. Es ist nichts Kritisches, ist aber trotzdem verwunderlich, wie sie bei einem ziemlich kurzen Fetch und kaum nennenswertem Wind zustande kommt. Laut dem Revierführer besitzt der Estero Cahuelmo eine „evil reputation“. Seine steilen Wände bieten im Falle von Starkwind keinen Schutz vor dem Wind. Ganz im Gegenteil führt seine Topographie dazu, dass die Winde noch verstärkt werden, und die daraus resultierenden Fallböen hier beim schlechten Wetter verirrtes Boot von allen Seiten brutal angreifen. Platz ist zwar genug da, aber für freies Ankern ist der Fjord zu tief. Für uns heute kein Problem – das Wetter soll windarm bleiben.
Da in unserer Zarpe das Verbot, Muscheln zu sammeln, nur bis zum 41. Breitengrad gilt und wir diesen schon vor Tagen nach Norden überschritten haben, geht Natalya Miesmuscheln sammeln. Weiter südlich gedeiht eine giftige Alge durch die der Verzehr von Miesmuscheln lebensgefährlich werden kann. Nicht weit vom Ankerplatz entfernt wachsen davon große Mengen. Der Rest der Crew schaut eher skeptisch zu, wie Natalya frisch gekochte Muscheln isst. Misstrauisch beobachten alle, ob Natalya irgendwelche Anzeichen einer Vergiftung zeigt. Es geht gut … unsere Bordfrau überlebt die Nacht. Später erfahren wir, dass sich die Algen tatsächlich mittlerweile deutlich nach Norden ausgebreitet haben. Mit dem Wissen hätten wir die Muscheln dann doch nicht verzehrt.
Der nächste Tag beginnt mit der Suche nach Badeklamotten. Wer weiß noch, in welcher Bilge sie seit einem halben Jahr begraben liegen? FKK ist in Chilie nicht üblich. Ehrlich gesagt haben wir bis jetzt Badende nur in einem Neoprenanzug gesehen. Wir fahren mit dem Dinghy gut zwei Meilen zum Kopf des Fjordes. Es dauert ein wenig, bis wir die Stelle mit den Quellen finden. Der Wasserstand ist so hoch, dass Gras bei Hochwasser zwei Meter unter Wasser wächst.
Wir lassen das Dighy vor Anker schwimmen und laufen dem Pfad nach, der durch einen alten Regenwald führt. Die Vegetation wächst in mehreren Etagen. Von riesigen Bäumen hängen Bromelien und Lianen herunter. Im Gebüsch hüpfen am Boden relativ große braune Vögel. Nach einer ziemlich kurzen Strecke endet der Pfad. Wir kehren zurück und suchen ohne Erfolg weiter. Die Kinder entdecken einen kleinen Steg, aber auch der ist vollkommen überflutetet. Schließlich steigt Natalya ins Dinghy und rudert herum, so schnell wollen wir nicht aufgeben. Endlich, tief im Gras versteckt entdeckt sie ein kleines Holzschild: „Termas“.
Kein anderer Mensch ist da. Wir freuen uns, dass kein Wärter von uns Eintrittsgeld verlangt. Termen sind in Chile nicht wirklich billig. Man zahlt an anderen Stellen für eine Person 15-20 Euro am Tag. Unsere Kinder testen die Wassertemperatur. Die Quelle an sich ist so heiß, dass man dort eher kochen als baden kann. Im Uferfels sind mehrere Becken gehauen, die durch Zu- und Abflüsse miteinander verbunden sind. Durch Regulation der Wasserzufuhr kann die Temperatur der Becken geändert werden.
Da keiner sich am Vortag darum gekümmert hat, sind die vorderen Becken zu heiß und die hinteren zu kalt. Vsevolod geht sofort ans Werk und versucht optimale Badetemperatur zu erreichen. Dafür positioniert er die Sperren um. Schnell ist eines der kleineren Becken so weit, dass man einsteigen kann. Als Kontrast zur eher kühlen Luft, fühlt sich das Wasser sehr heiß an, mit der Zeit gewöhnt man sich daran.
Arvid erscheint die Sache zu suspekt, er hat zwar seine Schwimmhilfe an, traut sich aber nicht ins Wasser. Lieber beobachtet er erstmal, was mit denjenigen passiert, die in dieses komisch dampfende, nach Schwefel riechende undurchsichtige Wasser so unvorsichtig eingestiegen sind. Erst nach mehr als einer halben Stunde, die er nur in Badeanzug gekleidet an der frischen Luft verbringt, lässt sich der kleiner Kerl zum Baden überreden. Die anderen sind bis jetzt schon lachsfarben und suchen im kalten Meerwasser eine Abkühlung.
Unsere Wasser liebenden Kinder kriegen gar nicht genug von Baden. Seit dem letzten Badespaß im warmen Gewässern ist fast ein Jahr vergangen. Mit dem sich zurückziehnden Hochwasser müssen wir auch hier weg. Sonst bleibt unser schweres Schlauchboot im Schlamm liegen und es wird eine ewige Schlepperei mit wenig Aussicht auf Erfolg. Der Tidenhub beträgt über sechs Meter, das Wasser zieht sich deutlich zurück und hinterlässt eine ausgedehnte Schlammebene.