(Tag 480)
Wenn es in Urugway etwas im Überfluss gibt, dann ist das Wind. Wir sind nicht einmal eine ganze Woche hier, schon zieht der nächste Pampero durch. Kalte Luft aus der argentinischen Pampa bahnt sich den Weg nach Norden und fegt alles was nicht niet- und nagelfest ist weg. Laut unserem Windmessgerät erreicht die kräftigste Böe 68 Knoten. Wir liegen gut geschützt im Hafen und beobachten wie der sonst so sanfte Ententeich vor Piriapolis sich in eine wütende See verwandelt. Riesige Brecher rollen zum Ufer. Da wo es gestern ein breiter Sandstrand war, sind heute nur Gischt und Schaum zu sehen. Der Wind pfeift in den Masten und peitscht die Gischt über den Steg. Zwei große schwarze Sturmvögel schweben über der kochendem See. Es sieht so aus, als ob sie sich des Wetters erfreuen würden. Es dauert fast einen ganzen Tag, bis das Pfeifen des Windes wieder verstummt und die wütende See sanfter wird. Als wir am Abend entlang der Strandpromenade spazieren gehen, schafft es immer noch die eine oder andere Welle uns nass zu spritzen.
Die Menschen hier erscheinen uns viel reservierter und zurückhaltender als die in Brasilien. Keinesfalls unfreundlich, aber es dauert ein wenig, bis sie auftauen. In Südbrasilien schießen die Hochhäuser wie Pilze aus dem Boden. Hier ist der Reich der kleinen Einfamilienhäuser, mit gepflegten Gärten und viel Privatsphäre. Als wir die Stadt erkunden, haben wir das Gefühl, dass sie deutlich bessere Zeiten gesehen hat. Die Straßen sind geradlinig und breit angelegt, es könnten locker vier Autos nebeneinander passen, aber es fährt vielleicht ein Wagen alle 10 Minuten durch. Manche Schrottwagen sind an Straßenrändern geparkt. Die Zeit nagt an den Fußwegen und verschlingt langsam die Pflastersteine. Die Fahrt mit Arvids Kinderwagen wird zu einer Rally um die Straßenlöchern. Das Angebot im Supermarkt zeigt, dass die Menschen hier mehr Wert auf gutes Essen legen. Die Auswahl an Käse, Wein und anderen Lebensmitteln ist viel besser als in Brasilien. Zur Freude der Kinder finden wir auch Erdbeeren und Äpfel auf dem Gemüsemarkt. Den Kindern sind sie viel lieber als die tropische Vielfalt. Mit Maracujas und Ananas hat sich nur Arvid angefreundet.
An einem sonnigen Tag, mit einer mäßig frischen Brise, steigen wir auf den „Berg“ hinter dem Hafen. Von dort aus öffnet sich der Blick bis nach Punta del Este. Am Wochenende ist hier viel los, nur fahren die meisten mit einem Sessellift hoch. Laufen ist wenig in, die Auswirkungen auf die Konfektionsgröße sind auch nicht zu übersehen. Die Vegetation erinnert an Europa, aber beim genauen Hinschauen stellt man doch fest, dass die meisten Pflanzen doch anders sind. Unsere Kinder finden einen Löwenzahn, „wie zuhause“.
Zur lokalen Kultur gehört es auch, dass man beim Spazieren gehen immer eine Thermoskanne und eine spezielle Tasse für ein lokales Getränk dabei hat. Diese Tasse wird mit einer Art Grass vollgestopft und immer wieder mit heißem Wasser übergossen. Dann trinkt man den Tee langsam über den Strohhalm mit eingebautem Sieb. Passt ideal zum lokalen Wetter. Der Brauch ist vom Alter und Sozialstand unabhängig – jugendliche Skater wie auch Rentner, gehen scheinbar nicht aus dem Haus ohne ihre Isolierkanne.
Am Abend besuchen uns Daniel und Beate von der SY Santa Maria Australis. Sie waren schon überall – auf den Falklandinseln, in Feuerland und in der Antarktis und versuchen alle unsere neugierigen Fragen zu beantworten. Die Kinder haben es gehört, dass es auf Santa Maria Australis bei jedem Wetter donnerstags und samstags einen Kuchen gibt. Franka ist begeistert und versucht den Brauch auch bei uns durchzusetzen.
Unsere Kinder vermissen ihre Freunde von der Kalibu und hoffen, dass die Winde bald günstiger werden und die Kalibu demnächst auch in Piriapolis ankommt.