(20.10.2017 – Tag 1.216)
Seit fast vier Jahren segeln wir um die Welt und werden immer wieder mit logistischen Herausforderungen konfrontiert. Auf den Kapverden warteten wir etwa einen Monat in dem windreichen Hafen von Mindelo auf die ersehnten Ersatzteile aus England. In Gambia ging Thomas in Begleitung einiger Einheimischer durch die Märkte und wurde einen halben Tag lang von einem Stand zum nächsten geführt auf der Suche nach einem passenden Ventil für unseren Wassermacher. Kaum jemand verstand, was genau gesucht wurde, aber sie versuchten ihr Bestes.
In Brasilien waren die Zölle so horrend hoch und der Versand so unzuverlässig, dass wir eine Menge Ersatzteile selbst vom Deutschland mitgebracht haben. Was für eine Ironie: selbst Teakplanken für das Deck mussten wir aus Europa importieren. Handwerker fand man meist genügend – nur wie sie arbeiteten ist eine andere Geschichte … Aber trotz mancher Ärgernisse verließen wir Brasilien mit einem sehr positiven Gefühl. Nicht die unfähigen Handwerker, sondern die lokalen Segler von Niteroi, die uns zu einem Bier zwischendurch eingeladen haben, oder ein Luxusmotoryacht-Besitzer auf Ilha Grande, der uns fragte, ob er uns aus der Stadt was mitbringen könnte und viele andere herzliche Brasilianer blieben uns in Erinnerung.
Dann waren es die Chilenen. Die etwas reservierten, aber beeindruckend hilfsbereiten Menschen, die sich um einen kümmerten, als ob man einer der ihren wäre. Wir werden nie vergessen, wie eine Stunde nach einem aus Missverständnissen und schlechter Übertragung abgebrochenen Funkkontakt, zwei in orangen Überlebensanzügen gekleidete Männer in einem offenen Aluminiumboot bei uns in einer einsamen Caleta in Patagonien anklopften und fragten, ob uns etwas fehlte. Sie fuhren 30 Meilen bis zu unserem Ankerplatz gegen Wind und Strömung und zur falschen Zeit durch eine der berühmt berüchtigsten Engstellen, nur weil sie den Verdacht hatten, es hätte was passieren sein können. Nachdem wir mit wenig Spanisch erklären konnten, es gehe uns gut, wir wollten nur unsere Position melden wie es die Zarpe verschreibt, waren die Männer kein bisschen sauer, haben freundlich gelächelt und weiterhin alles Gute gewünscht.
Was wir hingegen in Noumea erleben wirft einen großen Schatten auf diese paradisische Lagune. Die wenigen Marinas sind rappelvoll, die Plätze für Gäste sind sehr limitiert. Ohne Motor dürfen wir ohnehin nicht rein, egal was für Probleme und Bedürfnisse wir haben: nicht erlaubt, Ende der Diskussion. Schiff aus dem Wasser kranen geht auch nicht. Alle Termine sind voll, und mehr als einige wenige Boote am Tag heraus zu heben erlaubt angeblich das französische Arbeitsrecht nicht. Selbst unsere Freunde, deren Boot am Rumpf so beschädigt ist, dass es mit Wasser volläuft und unterzugehen droht, müssen einige Tage auf einen Krantermin warten.
Mechaniker sind nicht auffindbar, nicht erreichbar, sie antworten nicht auf unsere Emails und SMS. Es dauert drei Tage bis an Bord zwei verrauchte unmotivierte Mechaniker erscheinen, kurz den Motor angucken, eine schnelle Diagnose stellen ohne den Deckel aufzumachen, uns vorschlagen ein Teil aus Australien zu bestellen. Wenn alles da ist, können wir das Boot aus dem Wasser nehmen und den Schaden reparieren. Wieso aus dem Wasser nehmen?? Thomas erklärt den Experten nochmal den Aufbau unseres Getriebes und Welle und wie eine Demontage des Getriebes ausgeführt werden könne. Ok, kommt die Bestätigung, dass das wirklich im Wasser erledigt werden kann. Also bitten wir um schnelle Zusendung des Angebots. Es dauert wieder ewig – über eine Woche! – mit vielen Nachfragen, bis die Mechaniker sich noch mal melden und uns einen Kostenvoranschlag senden. So wird das nichts! Angenervt von dem ganzen Stress entscheiden wir uns doch nach Australien zu segeln – ohne Motor. Später stellt sich heraus, dass die „Fachleute“ eh ein falsches Ersatzteil bestellen wollten. Was wäre das für ein Ärger…
Aber es sind nicht nur Reparaturen, die so ein unangenehmes Klima verschaffen. Geht man an Land, bekommt man schnell das Gefühl, selbst die Luft kostet hier was. Es gibt keinen öffentlichen Dinghysteg. Liegt man nicht in der Marina, muss man für das Anlanden zahlen. Man braucht dafür sogar einen Vertrag, für den man das Schiffszertifikat anschleppen muss. Die lokale Seglercommutity kämpft um jeden Zentimeter freien Platz und würde am liebsten die ganzen Langstreckensegler irgendwohin verwünschen. Man wird angeschrien, man sei zu schnell mit dem Dinghy gewesen… und wenn man nach dem französischen Geschrei nicht antwortet, wird man noch mal auf Englisch angeschrien. Als unsere Freunde den Auszug aus ihrem Boot nach einem erfolgreichen Verkauf feiern, kommt um 8 Uhr abends die Beschwerde, die Gesellschaft sei zu laut. Man käme nach einem anstregenden Arbeitstag nicht zu Ruhe… und überhaupt sind die Kinder immer laut, fahren mit ihren Rollern rum und machen Lärm. Klar sind sie laut, wenn sich an einem Steg bis zu zehn Kinder treffen. Aber wo sollen sie sonst hin? Auch für diejenigen, die in der Marina liegen, gibt es keinen Aufenthaltsraum, keinen Spielplatz, nicht mal eine Wiese, um Ball zu kicken. Irgendwie wird man das Gefühl nicht los, hier in Noumea leben nur unzufriedene Menschen. Liegt das an den extrem hohen Preisen für alles hier oder an dem Frust, in einer langweiligen Stadt auf einer kargen Insel irgendwo in den Weiten des Pazifiks zu leben?
Überraschenderweise sind die freundlichsten Menschen, die uns in maritimen Noumea begegnen, die französischen Marineoffiziere. Unser Schiff liegt in ihrem Sperrgebiet und beansprucht ein nicht unerhebliches Stück ihres Manövrierraums. Sie haben selbst einen großes manövrierunfähiges Schiff, das sie fast jeden Tag mit Hilfe von zwei Schleppern aus dem Hafen bringen. Jeden Morgen verjagen sie routinemäßig alle Segelyachten die außerhalb der erlaubten Grenzen liegen. Unsere Situation kennen sie, kommen jeden Tag bei uns vorbei und fragen freundlich und mit einem Lächeln wie es mit den Reparaturen läuft, haben aber volles Verständnis, dass wir bei dem zurzeit herrschenden Starkwind nicht uns selbst und die Anderen durch Verlegen ohne Motor ins Gefahr bringen wollen. Inzwischen sind einige Plätze in der Marina frei geworden, und so haben Boote neben uns das Ankerfeld verlassen. An dem ersten fast windstillen Morgen bittet Thomas einen unserer Nachbarn um Hilfe beim Umankern unseres Schiffes. Wir binden unser Dinghy an das Heck der Outer Rim, Vsevolod steigt ein und schleppt uns langsam etwas näher an die anderen Ankerlieger heran. Wir liegen zwar immer noch im verbotenen Bereich, sind aber nicht mehr so ein prominentes Hindernis. Mehr können wir zur Zeit nicht machen.
Auch der neue Platz ist alles andere als ruhig und bequem. Der Wind bläst weiterhin stark. Die Vorhersage für die nächsten Tagen verspricht bis zu 50 Knoten und wir haben Land im Lee. Da stecken wir mehr Kette und warten erst mal ab. Fast jeden Tag fahren die Jollen der Segelschule raus, und nutzen unser Schiff als Wendeboje. Oft bestehen die Crews aus Teenagern, und nicht alle scheinen versierte Segler zu sein. Uns wird jedes Mal unwohl, wenn wir das Schlagen der Vorsegels beim Wenden der Boote hören. Ein Team bekommt ihr Schiff nicht rechtzeitig genug gewendet und droht uns in der nächsten Sekunde in die Seite zu rammen. Ein schwarzes Begleitboot düst mit Hochgeschwindigkeit in unsere Richtung, quetsch sich im letzten Augenblick zwischen uns und die Jolle und fängt somit den Schlag auf. Gut reagiert! Außer einer verbogenen Antenne am Begleitschiff und ein paar Gummistreifen an unserer Seite ist nichts kaputt gegangen. Ab heute sind wir noch nervöser, wenn wir die Boote in der Nähe sehen.
Wir brauchen eine Abwechselung. Für die nächsten zwei Tage haben wir ein Auto gemietet und wollen damit das Inselinnere entdecken.