(27.09.2017 – Tag 1.193 – 23.780 sm)
Eigentlich wollte Thomas nicht in die trübe, flache und von Mangroven gesäumte Bucht von Gaspard Bay einfahren. Erstens haben wir in Afrika und Südamerika schon so viele Mangroven gesehen. Zweitens vermuten wir, dass die Mangrovensümpfe von Vanuatu reichlich Moskitos beherbergen. Doch was macht man nicht alles, um Dugongs sehen zu können.
Auf dem kurzen Weg von unserem letzten Ankerplatz bei Awei sehen wir mehrmals Rücken und Schwanzflossen einiger Seekühe. Allerdings tauchen die scheuen Tiere sofort wieder spurlos unter bevor wir auch nur auf den Gedanken kommen können, den Foto in die Hand zu nehmen. In der Bucht angekommen, halten wir nach ihnen weiter Ausschau. Eigentlich soll es hier mehrere dieser Tiere geben. Ein ganzer Schwarm an silbernen kleinen Fischen kreist neben dem Boot und springt bei der kleinsten Wasserbewegung erschrocken in die Luft. Einige Reiher schauen interessiert zu, aber weit und breit kein Dugong. Natalya setzt sich am späten Nachmittag ins Dinghy in der Hoffnung, sich auf die leise Art an die Tiere anschleichen zu können. Das Wasser ist so undurchsichtig, dass sie nicht einmal die Seegraswiesen findet, wo sich die Tiere verpflegen sollen.
Da die Bucht von Gaspard Bay ringsum dicht mit Mangroven bewachsen ist und somit keinen richtigen Platz zum Anlanden bietet, gibt es hier auch kein Dorf. Wir sehen allerdings aus dem Wald Rauch aufsteigen, hören eine Axt schlagen. Ab und zu bringt der Wind Kinderstimmen und Lachen bis zu uns. Da unseren Kindern das Leben ohne Landgang auf die Dauer langweilig erscheint, versuchen wir am flachen Ufern der Bucht eine wenigstens einigermaßen geeignete Stelle zum Anlanden zu finden. An einer Stelle sehen wir eine kleine Lücke in den Mangroven und erspähen dort ein kleines Fischerkanu angebunden. Unser Dinghy ist für solche Verhältnisse viel zu schwer. Wir können es weder schwimmend zum Ufer bringen noch durch den Schlamm höher schleppen. Weiter als knietief kommen wir nicht durch. Natalya setzt vorsichtig einen Fuß ins Wasser um zu prüfen, wie tief man im Schlamm versinkt. Der Grund ist einigermaßen fest und man versinkt nur bis etwas oberhalb der Knöchel. Die Kinder folgen, Thomas überlegt sich lange ob der Spaß es wert ist, die Füße in weichem, tiefschwarzen Matsch wer weiß wie tief versinken zu lassen, kommt aber dann doch nach.
Unsere Kinder sind mit der ersten Waldlichtung zufrieden und spielen dort Indianer mit selbst gebastelten Pfeil und Bogen. Wir folgen den Stimmen im Wald und treffen eine junge Frau mit zwei Kindern. Sie sind mit der Ernte von Kokosnüssen beschäftigt. Als wir nach einer Siedlung fragen, erklärt uns die Frau, die nächste sei in zwei Stunden zu Fuß zu erreichen. Als wir ihr eine kleine Tüte an Kinderkleidung als Geschenk übergeben, pfeift sie ihre Jungs zusammen, damit sie uns als Dankeschön einen Bund Island-Cabbage ernten. Wir lehnen dankend ab. Solange wir nicht akut unter Skorbut leiden, müssen wir das nicht essen. Warum, das lest ihr in einem der folgenden Beiträge.
Auf einem gut erkennbaren Pfad laufen wir weiter ins Inselinnere, durch schönen tropischen Wald. Manche Bäume sind recht massiv. Wir erhoffen uns einen offenen Blick auf die Bucht und die Umgebung. Doch jedes Mal wenn wir höher kommen, versperren uns neue Äste die Sicht. Obwohl der Pfad uns noch weiter nach oben lockt, wollen wir unsere Kinder nicht zu lange warten lassen und kehren um.
Zweimal die gleiche Strecke laufen ist doof. Wir wählen einen anderen Weg und unter vielen Abzweigungen eine, die ungefähr in Richtung unseres Dinghys geht. Es riecht immer stärker nach Rauch, bis wir einige qualmende Stellen erreichen. Wir müssen besonders aufpassen, dass wir an den glühenden Kohlen nicht unsere dünnen Schlappen versengen. Da nur Holzabfälle und unerwünschte Lianen langsam in einer Art Schwelbrand glühen, gehen wir davon aus, dass die Insulaner auf diese Art ihren Wald reinigen.
Der Weg weicht doch mehr als gedacht von der gewünschten Richtung ab und führt uns in Richtung Kopf der Bucht. Da wollen wir gar nicht hin, aber es kommt keine Abzweigung. Jetzt das Ganze bergauf noch mal zurück? Dazu haben wir gar keine Lust. Wir gehen durch Felder von Island-Cabbage und Taro in Richtung menschlicher Stimmen. Sie werden und schon helfen, unseren Weg zum Boot wieder zu finden. Wir treffen auf eine größere Gruppe: Männer, Frauen, Kinder, auch der ein oder andere Hund ist dabei. Waren auf den anderen Inseln Kinder nur spärlich bekleidet, herrscht hier bittere Not. Nicht jedes Kind hat eine Unterhose, und das selbst bei älteren Kindern.
Es ist schon Feierabend. Die Arbeiter kommen von Feldern zurück und sammeln sich im Schatten unter den Bäumen. Uns ist es nicht klar, ob sie hier übernachten wollen, oder noch zwei Stunden Marsch vor sich haben, bis zum nächsten Dorf. Wir sprechen mit einem Mann, ohne eine gemeinsame Sprache zu haben. Er versteht sofort, dass wir mit dem Boot gekommen sind, will uns aber erstmal zu der falschen Anlandestelle schicken. Wir zeigen mit Händen und Füßen, dass wir in die andere Richtung müssen, und erklären dass dort auch unsere Kinder auf uns warten. Dann schlägt er einen anderen Pfad ein und begleitet uns ein Stück des Weges bis er sicher ist, dass wir uns auf dem richtigen Weg befinden.
In der Zeit unserer Abwesenheit ist die Flut zurückgekommen, so dass unser Dinghy jetzt in tieferem Wasser liegt. Wir werden beim Durchwaten des Schlamms nass, dafür lässt sich das schwere Boot leichter aus dem Wirrwar der Mangrovenwurzeln herausmanövrieren. Nur gut, dass wir nicht zu lange gewartet haben. Sonst wären wir unter den tief hängenden Zweigen der Mangroven nicht mehr durch gekommen.