(24.09.2017 – Tag 1.190 – 23.749 sm)
In Vanuatu gibt es an vielen Stellen noch Dugongs, die im Westpazifik und Indischen Ozean heimischen Seekühe. Bisher hatten wir noch keine gesehen. Daher steuern wir die Laman Bay an der Westküste der Insel Epi an in der Hoffnung, dort ein Dugong zu sehen. Angeblich kann man sogar mit ihnen schwimmen.
Wir entscheiden uns für eine Nachtfahrt, verlassen kurz nach Sonnenuntergang unsere Ankerbucht auf Nguna. Während der ruhigen Überfahrt mit sternenklarem Himmel sehen wir in der Ferne den Himmel rot leuchten. Das kann nur ein Vulkan sein, aber sicher sind wir uns nicht. Beim Einlaufen in die Laman Bay sehen wir dann die Spitze der Vulkaninseln Ambrym und Lopevi, letztere raucht und dampft von vulkanischer Aktivität.
Gleich nach dem Ankern halten wir Ausschau nach Dugongs. Mehrmals sehen wir einen braunen Fleck im türkisfarbenem Wasser. Bei der näheren Betrachtung ist es aber jeweils nur eine Schildkröte: immer wieder das gleiche richtig massive, große Tier, dass die Unterwasserwiesen in der Nähe unseres Bootes abgrast. Wahrscheinlich müsste man noch viel näher am Ufer ankern oder einfach mehr Glück haben, um ein Dugong zu sehen. Dieses Mal zeigt sich uns keines dieser scheuen Tiere.
Wir gehen an Land. Hier in Laman Bay gibt es deutlich mehr Infrastruktur als auf Erromango, sogar einen kleinen, gut bestückten Laden mit etwas frischem Gemüse. Seit einigen Jahren rekrutieren die neuseeländischen Farmer hier ihre Saisonarbeiter. Nach etwa einem Jahr harter Arbeit kehren die Männer mit gespartem Bargeld zu ihren Familien zurück. Obwohl die Vermittler einen ordentlichen Anteil des Geldes einstecken, bleibt noch genug Geld übrig, um die Lebensqualität der eigenen Familie deutlich zu verbessern. Der Geldfluss sorgt auch für die Verbesserung der allgemeinen Infrastruktur im Dorf.
Im Schatten riesiger Bäume, fast direkt am Wasser, steht der große Gebäudekomplex der Highschool. Die Schule wird als eine der besten in Vanuatu gepriesen. Da die meisten Schüler hier im Internat wohnen, ist auch am Sonntag viel los. Im Hof spielen Kinder Fußball, klettern auf Bäumen oder sitzen einfach nur vor den Gebäuden. Wir schauen in die Klassenzimmer hinein. Die Fenster sind beschädigt, die Klassenzimmerausstattung ist mehr als dürftig. Abgeschlossen wird eh nicht – es gibt hier nichts zu stehlen. Wenn man weiß, wie tief die Eltern in die Tasche greifen müssen, um die Bildung ihrer Kinder zu finanzieren, ist das Preis-Leistungs-Verhältnis sehr ernüchternd.
Laut unserer Information betragen die Schulgebühren für die Senior Highschool (ab der 11. Klasse) hier 75.000 Vatu pro Jahr und Kind, oder umgerechnet fast 600 Euro. Zum Vergleich betrug 2016 das BIP pro Kopf etwa 2000 Euro. Dabei ist Bargeld in einer extrem ausgeprägten Tauschwirtschaft eine Mangelware und kann größtenteils nur durch Verkauf der Ressourcen und Dienstleistungen nach außen angeschafft werden. Die chinesische Lösung mit einem Kind, in das man alle Hoffnungen setzt, kommt hier nicht in Frage. Die meisten Familien sind nach wie vor kinderreich. Zu unserer Freude sehen wir in der Schule auch viele Mädchen.
Ein wenig abseits sind die Wohnräume. Schmutzige, auf dem Boden liegende Matratzen lassen sich durch die offene Türe erspähen. Obwohl die Zimmer der Kinder so gut wie leer sind, sehen sie ziemlich chaotisch aus. Wohin mit dem Zeug, wenn man weder einen Schrank noch ein Regal hat? Vor der Küche steht eine Waschschüssel mit bräunlichem Wasser und ein Schild an der Tür: „Vor dem Betreten Händewaschen!“. Oder anders ausgedrückt: „wenn wir Durchfall haben, dann alle zusammen“. Trotz der dürftigen Verhältnissen machen die Kinder einen glücklichen Eindruck. Die Absolventen erwartet eine deutlich bessere Zukunft als ihre wenig gebildeten Altersgenossen, die meist mangels Alternativen zur Fortsetzung des Subsistenzwirtschaft gezwungen werden.
Wir unterhalten uns mit einer Lehrerin über die Schule und das Leben auf der Insel. Sie ist stolz dass viele ihrer Schüler auch Englisch können, das soll ihnen neue Perspektiven eröffnen. Am Ende des Gesprächs warnt sie uns vor einem Tsunami. Das ist was Neues … und was sollen wir damit in einer breiten offenen Bucht anfangen? Internet, um uns genaue Informationen zu verschaffen, haben wir nicht. Die Lokalen machen auch nicht den Eindruck, dass sie auf der Flucht wären.
Wir setzen uns neben die Einheimischen an den Strand und lassen die Kinder spielen. Während die Kinder aus Plastikfolie aufwändig gestaltete Teiche bauen, beobachtet Natalya etwas nervös das Wasser. Einer der Inselbewohner erzählt uns, dass gestern eine ganze Insel weiter nördlich wegen der stark gestiegenen Vulkanaktivität evakuiert worden ist. Das erklärt das wunderschöne Glühen, das Thomas in der Nacht während des Segeln am Himmel beobachten konnte. Am Abend leuchten tatsächlich wieder zwei Kegelspitzen in der Dunkelheit. Morgen fahren wir weiter … ohne ein Dugong gesehen zu haben und mit etwas mulmigem Gefühl wegen der Tsunami-Warnung.