(19.09.2017 – Tag 1.185)
Seit seiner Entdeckung diente Vanuatu den weißen Herrschern in erster Linie als Quelle billiger Ressourcen. Mitte des 19. Jahrhunderts sorgte das Sandelholz von Erromango für einen richtigen Boom im Handel. Bevor die Ureinwohner einen Gedanken über die Nachhaltigkeit des Vorgehens fassen konnten, wurden die Bestände des langsam wachsenden Holzes schnell dezimiert.
Die Händler trauerten dem Holz nicht lange nach, da bald eine neue, viel lukrativere Geldquelle gefunden wurde. Während sich die westliche Welt mit der Niederlage der Südstaaten-Konföderation von der Sklaverei endgültig verabschiedete, erlebte diese im Südpazifik eine Renaissance. Für die Erschließung neuer Länder in dem strapaziösen, tropischen Klima brauchte man robuste Arbeiter in gewaltigen Mengen. Anfang des 19. Jahrhunderts löste Großbritannien das Problem durch die Deportation der Gefangenen nach Australien, wo sie zu Zwangsarbeiten aller Art genötigt worden waren. Die Abschaffung dieser Praxis in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts führte zu einem erheblichen Arbeitskräftemangel.
Um neue Baumwollplantagen in Queensland anzulegen, eröffnete man die Jagd auf die Insulaner. Offiziell hieß der Auftrag „Anwerbung von Arbeitskräften“. In Wirklichkeit wurden die Dorfbewohner durch Täuschung, Drohung und Erpressung auf die Schiffe geholt. Mancher hat sich als Priester verkleidet, um die Männer für einen Gottesdienst auf das Schiff zu locken. Ein anderer brannte ein ganzes Dorf nieder, um die Chiefs zur Herausgabe der Stammesmitglieder zu nötigen. Schlechte Behandlung, mangelnde Hygiene und von den weißen mitgebrachte Infektionskrankheiten führten zum Tod mancher Sklaven noch bevor sie nach der relativ kurzen Seereise in Queensland ankamen.
Während uns ein Guide des Nationalmuseums von Vanuatu die traurige Geschichte über den Menschenraub erzählt, zeichnet er mit seinem Finger ein aufwändiges Muster in einem Sandfeld. Ohne dass er seinen Finger ein einziges Mal anhebt erscheint am Ende der Geschichte eine durch das komplex gestaltete, geometrische Muster durchscheinende Zeichnung eines Schoners. Die Kunst der Sandzeichnung hat auf Vanuatu lange Tradition. Sie halfen den Bewohnern der relativ isolierten Inselgemeinschaften, die mehr als 100 verschiedene Sprachen verwenden, miteinander zu kommunizieren. Vor allem Arvid ist von der Technik fasziniert, so dass wir ihn vom Zeichenfeld kaum wegbekommen. Der Guide zeichnet extra für die Kinder einfachere Muster: eine Schildkröte, eine Blume. Franka versucht sich mit Erfolg im Nachzeichnen. Auch ein kleines Musikstück mit traditionellen Musikinstrumenten wird uns vorgeführt.
Vieles in dem Museum sieht für unsere Augen ganz ungewöhnlich aus. Als traditionelles Geld wurden Ketten aus kleinen feinen Muscheln oder aufwändig gewobene, rot gefärbte Bastmatten genutzt. In einer Vitrine mit Kleidung findet man einen langen Grasrock für Frauen und eine Tasche für den Penis der Männer. Manchen Masken gilt ein menschlicher Schädel als Gerüst, worauf bunte Feder und anderer Schmuck befestigt sind. Viele Gegenstände gehören in das Arsenal eines Magiers. Auch heute noch gehört Magie auf Vanuatu zum Alltag, trotz der hohen Rate an Christianisierung. Man sucht den Schutz der Geister, der Ahnen und fürchtet sich vor bösen Einflüssen. Früher glaubte man hier nicht an den Tod als natürlichen Vorgang. Stirbt jemand oder wird er krank ist böse Magie daran schuld. Demzufolge kann man gegen Krankheit nichts machen, außer sich hinlegen und warten bis der Tod eintritt.
Außer dem Museum bietet Port Vila keine besonderen Sehenswürdigkeiten. Die kleinen Straßen sind geschäftig: Minibusse fahren ohne feste Route und Zeitplan. Am liebsten befördern sie Kreuzfahrtschiffstouristen, von denen der mehrfache Preis verlangt wird. Sie sorgen auch für das Angebot an den Exkursionen wie Schwimmen mit Schildkröten oder einen Helikopterflug über den Vulkan.
Natalya begibt sich auf die Suche nach frischem Gemüse und ist von dem lokalen Markt ganz angetan. Frische zarte, heute früh erst geerntete Salatköpfe werden zu zehnt auf einem Grashalm aufgefädelt verkauft. Beim ersten Kauf ist man noch unsicher, ob der ausgewiesene Preis für einen Salatkopf oder für den ganzen Spieß ist – nach den Preisen auf den sonstigen Pazfikinseln wäre der Zehnerpreis selbst für einen Kopf noch akzeptabel gewesen, für alle zehn zusammen aber spottbillig. Frische Tomaten, Auberginen, tropische Früchte türmen sich auf den Verkaufstischen. In einem separaten Bereich stehen große, aus Palmenblättern geflochtene Körbe mit Grundnahrungsmitteln: Süßkartoffeln, Maniok und Taro. Hinter den Gemüseständen findet man Blumenverkäuferinnen mit einem farbenfrohen Angebot an ungewöhnlichen tropischen Blumen. Nur die Suche nach Fisch gestaltet sich schwierig. Natalya schaut in eine Truhe voll bunter Rifffische hinein und hat nicht die geringste Ahnung, was davon man sicher essen kann und was von Ciguatera verseucht lebensgefährlich sein könnte.
Wir verbringen einige Tage in der Marina an einer Mooring. Während unsere Kinder die Gesellschaft von SY Skylark und einigen anderen Kindern genießen und gerne zum Spielplatz gehen, arbeitet Thomas am Boot. Einige Reparaturen, unter anderem die sehr aufwändige und geruchsintensive Toilettenreinigung, stehen an. Insbesondere aber der Seewasserfilter ist auszuwechseln, damit wir wieder ohne Sorge um den Wassereintritt segeln können. An solchen Tagen ist der Skipper leicht zu reizen. Die Crew geht lieber an Land, wieder zum Spielplatz, der am Nachmittag voll mit einheimischen Kindern aller Farbschattierungen voll ist.
Sobald alle Arbeiten – so gut wie es die lokalen Begebenheiten erlauben – erledigt sind, verlassen wir Port Vila und begeben uns auf die Suche nach dem richtigen, dem authentischen Vanuatu, der Welt, die von Massentourismus und Kreuzfahrtschiffen noch kaum berührt ist.