SY Outer Rim – A Family's Sailing Adventure

Sailing across the world's oceans with four kids

Auf der Suche nach Kauri-Bäumen auf Erromango

(14.09.2017 – Tag 1.180)

Erromango ist eine der größeren Inseln Vanuatus, ist aber nur von etwa zwei Tausenden Menschen bewohnt. Vor einem der zwei größeren Dörfern liegen wir in der Dillons Bay vor Anker. Wir finden es auch recht angenehm, dass man in Gegensatz zu Fidschi kein Kava mehr zur Begrüßung mitbringen muss. Kaum haben wir den Anker geworfen, bewegt sich schon ein schlichtes, prähistorisch wirkendes Auslegerkanu in unsere Richtung. David, der hier für die Yachtbesuche zuständig ist, bringt ein Paar Papayas zum Tausch und lädt uns zum Besuch seines Yachtclubs ein.

Wir sind aber erst Mal an Bord beschäftigt. Kurz nach der Abfahrt aus Fidschi hat unsere Bilge-Pumpe begonnen immer wieder anzuspringen, um Wasser aus den Tiefen des Rumpfes herauszupumpen. Es ist ganz offensichtlich Salzwasser und mit ca. 100 Litern pro Tag auch nicht wenig, nur können wir die Quelle nicht ermitteln. Wir prüfen alle zugänglichen Schläuche, schließen Seeventile … aber das Wasser scheint einfach im Bilgensumpf aus dem Nichts zu kommen. Nach mehreren Mails mit der Werft kommen wir zum Schluss, dass die Rumpf-Kiel-Verbindung leckt. Das ist nicht gut. In Vanuatu gibt es keinerlei Möglichkeit, ein Schiff unserer Größe aus dem Wasser zu heben. Das nächste ist Noumea in Neukaledonien. Wir versenden schnell Mails an die dortigen Bootswerften, bekommen aber entweder keine Antwort oder den Hinweis, dass alles ausgebucht ist. Da hilft selbst der Verweis auf einen Notfall nichts. Was nun? Mit Wassereintritt im Schiff wird man leicht nervös. Wir überlegen schon, uns Unterwasser-Epoxi aus Europa per Express schicken zu lassen … als Thomas nochmal alle Handbücher durchblättert und auf ein Seeventil stößt, dass wir bisher nicht zum Testen geschossen hatten. Klar, wir kannten das Seeventil, haben es aber jetzt einfach übersehen. Und tatsächlich, im Deckel des am Ventil angeschlossenen Seewasserfilters finden wir einen kleinen Riss. Gerade groß genug, um ein kleines Rinnsal an Wasser fast unbemerkt in die Bilge zu leiten. Da sind wir schon etwas erleichtert, dass es kein strukturelles Problem ist. Einen Seewasserfilter wird man wohl auch in Vanuatu wechseln können, so hoffen wir.

Am frühen Nachmittag folgen wir der Einladung von David. Für seinen Yachtclub hat er ein solides Gebäude errichtet, das noch nicht ganz komplett ist. In Zukunft erhofft er sich, ein paar Touristen eine Übernachtung anbieten zu können. Nicht weit des Yachtsclubs hauen zwei Männer mit einfachen Werkzeugen ein neues Kanu aus einem Baumstamm. Es sieht nach einer Menge Arbeit aus. Gestrichen halten die Boote etwa sechs Jahre aus, ohne Farbe etwas weniger. Die Kunst der Herstellung wird von Generation zur Generation weiter gegeben. Die geeigneten Bäume wachsen nicht weit des Strandes.

Als wir geglaubt haben, Marquesas oder die Gesellschaftsinseln haben ein Versorgungsproblem, kannten wir Vanuatu noch nicht. Hier ist man fast ausschließlich auf die auf der Insel vorhandenen Materialien und eigenes Geschick angewiesen. Westliche Güter bekommt man kaum zur Gesicht. Es gibt auch keinen Strom, um elektrische Geräte anzuschließen, nur kleine Solarpanele zum Aufladen der immerhin vorhandenen Handys.

David führt uns weiter durch das Dorf und zeigt uns eine Baustelle. Ein neues Haus wird gebaut. Mehrere Männer mischen Beton für die Bausteine zusammen und füllen damit Formen aus. Gemischt wird auf dem Boden und jede einzelne Form von Hand befüllt. Die Dächer sind mit Wellblech gedeckt. Eigentlich eignet sich diese Bauweise nicht wirklich für die von Zyklonen so oft heimgesuchte Gegend. Wirbelstürme reißen als erstes das Dach ab und lassen es mit atemberaubender Geschwindigkeit durch die Gegend fliegen. Obwohl Betonwände und Metalldach für den Alltag mehr Komfort bringen, flüchten die Insulaner bei starken Stürmen aus ihren Häusern und harren in den traditionellen, aus leichtem Bambus gebauten und mit Pflanzenmaterial überdachten Häusern oder unter freiem Himmel aus. Und das selbst bei den Winden um die 300 Stundenkilometern …

Kurz nach der Baustelle gibt uns David an Joseph weiter. Joseph erzählt uns bereitwillig über das Leben auf der Insel. Früher gab es auf Erromango viel mehr Menschen. Vor allem das Innere der Insel war ziemlich dicht besiedelt. Die Invasion der Weißen und vor allem die eingeschleppten Infektionskrankheiten führten fast zu einer vollständigen Vernichtung der lokalen Stämme. Das Land gehört heute einigen wenigen hier ansässigen Familien und kann nur mit Einschränkungen veräußert werden. Die Dorfbewohner hoffen auf mehr Tourismus, schlagen eine Straße durch den Wald bis zu dem alten Kauri-Wald, bauen einige einfache Unterkünfte für Touristen auf. Aber bis jetzt bleibt der Touristenboom aus.

Es ist schwer zu definieren, ob diese Menschen arm sind. So wie wir Joseph verstanden haben, gehört das Land hier im Gegensatz zu Fidschi nicht mehr den Kommunen, sondern den einzelnen Familien. Die meisten Nahrungsmitteln werden auf den eigenen kleinen Felder nicht weit des Dorfes angebaut oder aus dem Meer gefischt. Die Mahlzeiten bestehen aus dem was der Gemüsegarten zur Zeit liefert. Nur für besondere Anlässe werden Tiere geschlachtet. Doch das Land der Familien ist viel größer als ein Gemüsegarten, dazu gehört noch viel Wald in dem unter anderem sehr wertvolles Sandelholz wächst. Für eine Kiste Sandelholz bekommt man mehrere Hundert Euro. Ist jemand, der so einen Wald besitzt reich? Um an Geld zu kommen, muss man den gefällten Baum erstmal aus dem Wald schaffen, was ohne Autos und Straßen schon aufwendig genug ist. Dann muss man das geschlagene Holz zum Großhändler bringen. Meistens findet sich in solchen Situationen ein Mittelsmann, der die Lage ausnutzt, um den größtmöglichen Profit aus der Vermittlung zu schlagen. Da bleibt oft nicht viel vom Verkaufserlös übrig.

Der Löwenteil des durch Holzverkauf erlösten Geldes geht für die Bezahlung des Schulgeldes drauf. Vergleicht man die Schulgebühren mit dem mittleren Geldeinkommen der Bevölkerung, ist Vanuatu gefühlt mit Abstand der Führer. Während die meisten Menschen sich in Lumpen kleiden, und damit sind wirklich zerfallene und verschlissene Kleidungsstücke gemeint, kostet die Schule ab der Sekundarstufe etwa 300 Euro pro Halbjahr. Dabei hat eine durchschnittliche Familie nicht zwei oder drei, sondern fünf und mehr Kinder. Wie auch in Afrika, spart man an der Ausbildung für Mädchen. Während der Schulzeit sehen wir ältere Mädchen am Fluss Wäsche waschen. Arm oder reich, David und Joseph überraschen uns mit ihrem Horizont, der deutlich über ein einfaches Leben hinaus reicht.

Natalya, die sich überall gerne ein Stück primären Waldes zum Anfassen sucht, ist von Kauribäumen ganz angetan und will unbedingt einen alten Baum sehen. Viele Bäume wurden in den letzten Jahrzehnten gefällt, um ans Geld zu kommen, und die Straße zum neu geschaffenen Reservat ist noch nicht fertig. Joseph schlägt vor, dass wir morgen ein Auto mieten und durch den Regenwald fahren bis zu dem Dorf, in dem seine Familie lebt. Der Tag fängt damit an, dass wir ewig auf das Auto warten. Der Fahrer scheint etwas Wichtigeres zu tun haben, als Touristen durch die Gegend zu fahren. Dabei gibt es eh nur eine Straße und zwei Autos weit und breit. Arvid und Talora verbringen die Zeit, in dem sie mit einem Papierball mit den einheimischen Kindern spielen.

Schon gegen Mittag, als die Kinder kurz davor sind, nach dem Mittagessen zu fragen, kommt der Jeep, in den wir einsteigen dürfen. Eine gewundene Piste führt weg von der Küste ins Landesinnere. Der Wald ist ziemlich dezimiert, große Bäume gibt es nicht mehr. Aber am Ende der Piste sehen wir das ursprünglichste Dorf überhaupt. Hier wohnt nur eine Familie, mitten im Nichts. Bis zur nächsten Siedlung sind es Dutzende Kilometer auf dem Waldweg – zu Fuß versteht sich. Während Joseph sich mit seinen Verwandten unterhält, schauen wir uns um. Zwei kleine Kinder löffeln am Boden sitzend ihr aus Reis bestehendes Mittagessen aus einer Metallschüssel. Die Mutter beschwert sich bei uns, die Kinder sind wählerisch und mögen das lokale Essen nicht. Um die Hütten herum liegt die Handarbeit der Frauen. Sie sammeln Blätter des Schraubenbaums, eines nach einer kleinen Palme aussehenden Baumes, schneiden den dornigen Rand ab und hängen sie zum Trocknen auf. Daraus werden allerlei Alltagsgegenstände geflochten: Körbe, Taschen, Kisten, Matten.

Gekocht wird in einem Küchenhäuschen über dem offenen Feuer. Zu Arvids Freude liegt neben der fast kalten Feuerstelle ein Wurf junger Welpen. Die Dorfkinder schauen uns neugierig an, es ist schon deutlich zu sehen, dass hier nicht jeden Tag ein Auto aus dem Tiefland ankommt. Um die Schule müssen sie sich hier wahrscheinlich auch nicht kümmern. Sie sind noch schlechter angezogen als sonst wo. Wer Schuhe hat, hat schon gewonnen. Aber was für Schuhe: Schlappen, die fünf Größen zu klein sind, wer zwei gleiche hat, hat eher Glück gehabt. Eine sehr alte Frau verdeckt ihr Gesicht, wenn wir in ihre Richtung schauen. Hinter der vorgehaltenen Hand glauben wir irgendwelche absichtlich zugefügten Gesichtsveränderungen zu erahnen. Wer weiß, welche Traditionen hier noch praktiziert wurden, als sie noch jung war.

Um sein Versprechen zu halten führt uns Joseph an einen Kauribaum, der etwa 150 Jahre alt ist. Unsere Kinder bekommen einen Kranz aus seinen Zweigen geschenkt. Besonders beeindruckend ist der Baum nicht, dafür war das Dorf ein Erlebnis. Unser Fahrer hat es eilig, er muss vom Flughafen Leute abholen. Arvid wird es auch zu viel, er schläft wähend der Rückfahrt auf der holprigen Piste ein. Am Ende des Tages will Joseph kein Geld nehmen. Thomas drückt ihm nach einer langen Diskussion einen Schein in die Hand. Eigentlich will er nach Port Villa und fragt uns nach einer Mitfahrgelegenheit. Wir stimmen nach einer kurzen Überlegung zu. Ganz wohl ist uns dabei nicht, aber man will nicht undankbar oder unhöflich sein. Wir verabreden uns für acht Uhr abends, dabei weiß Joseph noch nicht, ob er wirklich kommt. Wenn er um acht nicht da ist, sollen wir ohne ihn ablegen.

Wir bereiten uns auf eine entspannte Nachtfahrt vor. Um viertel nach Acht ist Joseph immer noch nicht da. Wir leuchten mit einer Taschenlampe die Bucht aus: kein Kanu weit und breit. Danach geht der Anker hoch. Aus der entspannten Fahrt wird nichts. Kurz nach dem Verlassen des Ankerplatzes frischt der Wind auf 20, in Böen 30 Knoten auf, was von einer recht unangenehmer Welle begleitet wird. Während Thomas Wache hält, rollen die anderen in ihren Betten hin und her. Da sind wir froh, dass wir Joseph bei dem Wetter nicht mitgenommen haben. Schräglage mit viel Welle in der Dunkelheit der Nacht ist kein perfekter Einstieg ins Segeln. Der Wind beruhigt sich nach einigen Meilen, es kommen keine starken Böen mehr. Die raue See begleitet uns die ganze Nacht. Am frühen Morgen sehen wir Efate vor uns. Es dauert noch einige Zeit bis wir in die geschützten Gewässer von Port Villa kommen.

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