(11.09.2017 – Tag 1.177)
Im Gegensatz zu Kapitän Cook dürfen wir auf den Vulkan von Tanna steigen und in den Krater hineinschauen. Am eindrucksvollsten wirkt der Vulkan auf Mount Yasur in der Dunkelheit, daher brechen wir erst am späten Nachmittag auf. Für unsere Kinder ist die Fahrt auf der Ladefläche eines Pick-ups bereits ein Abenteuer. In Deutschland wäre so etwas nicht erlaubt, aber in Vanuatu findet jeder Personentransport in offenen Wagen statt.
Die Dorfeinwohner haben schon Feierabend. Während unserer 40-minütigen Fahrt sehen wir sie entlang der Straße von ihren Feldern zurück ins Dorf laufen oder auf den Dorfplätzen in Gruppen sitzend den Abend ausklingen lassen. Die Männer trinken die eine oder andere Runde Kava. Da es im Dorf keinen Strom gibt, scheint keiner sonderlich interessiert daran zu sein, bei Tageslicht zurück in seine dunkle Hütte zu gehen.
Vanuatu gehört zu den ärmsten und rückständigsten Ländern der Welt. Es gibt im Land keine Industrie, keine Rohstoffförderung, keinen Massentourismus und somit so gut wie keine Arbeitsplätze und erst recht keine Devisen für den Einkauf westlicher Güter. Die meisten Gemeinden haben kein Geld, um selbst die nötigste Infrastruktur zu bauen. So gibt es meist weder Strom noch fließendes Wasser. Doch die Stämme, zu deren Gebiet der Mount Yasur gehört, haben eine nicht versickernde Geldquelle. Für den Eintritt zum leicht zugänglichen, meist nicht gefährlichen und zuverlässig alle paar Minuten Lava spukenden Vulkan kann man so viel verlangen wie man möchte, es kommen trotzdem genug Touristen. Die Preise steigen jedes Jahr. Aktuell kostet der Besuch von Vulkan für einen Erwachsenen etwa 70 Euro, für Kinder kaum weniger. Wenigstens für Arvid und Talora konnten wir freien Eintritt aushandeln – auch wenn sie offiziell hätten zahlen müssen. Die meisten Besucher kommen von den Kreuzfahrtschiffen. Man hofft, dass dieses Geld der Gemeinde zugute kommt, und nicht in einer großen privaten Tasche landet.
Schon in der Dämmerung steigen wir am Fuße des Vulkankraters in einen anderen Jeep um, und werden direkt bis zum Kraterrand gefahren. Nur die letzten Hundert Meter müssen wir hoch laufen. Schon von weitem steigt uns beißender Schwefelgeruch in die Nase. Auf den ersten Blick macht der Berg einen sehr unspektakulären Eindruck: es ist kein perfekt runder Kegel mit einer Schneekappe, sondern ein relativ flacher loser Schutthaufen. Es dauert nicht lange bis vor unseren Augen die ersten glühenden Lavabrocken hoch in die Luft fliegen. Die Touristen können ihr Glück kaum fassen, alle Kameras werden sofort auf den Krater gerichtet. Mehrere kleine Eruptionen folgen kurz auf einander. Des Stehens müde setzten wir uns an den Kraterrand und spähen gespannt in den Krater hinunter. Obwohl uns ein eiskalter Wind um die Ohren pfeift, ist der Boden angenehm warm. Während es unten, die nächste Explosion ankündigend, rumort, fängt der Boden unter uns zu vibrieren an. Immer wieder fliegen glühende Felsbrocken in die Höhe begleitet von lauten Verpuffungen.
Mit Einbruch der Dunkelheit wird das unglaubliche Naturschauspiel noch spektakulärer. Wir sehen, wie der glühende Regen aus riesigen Lavatropfen zuerst hoch in die Luft geschleudert wird und dann auf der uns entgegengesetzten Kraterwand direkt vor unseren Augen abregnet. Große Brocken glühen noch einige Zeit nach und rollen krachend nach unten. In den letzten Tagen hat es auf der Insel besonders viel geregnet, was zu etwas erhöhter Vulkanaktivität führt. Unsere Führer passen sehr aufmerksam auf, dass wir die von ihnen bestimmte und zur Verdeutlichung tatsächlich auf dem Boden gezeichnete Linie nicht überschreiten, um uns nicht in den Bereich der abregnenden Vulkanasche zu begeben. Eines unser Kinder versucht einen Stein in den Krater zurück zu werfen, was sofort bemerkt und unterbrochen wird. Auch wenn die alten Tabus nicht mehr so unverändert gelten, scheint der Berg für die Einheimischen nicht seine spirituelle Bedeutung verloren zu haben und wird mit höchstem Respekt behandelt. Außerdem ist die Vorsicht durchaus gerechtfertigt. In den Vorjahren sind immer mal wieder Touristen durch herabregnende Lavabrocken oder beim Sturz in den Krater getötet worden.
Nach einiger Zeit sind wir trotz Jacken und Mützen komplett durchgefroren und begeben uns auf den Rückweg. Auf der Rückfahrt will Arvid unbedingt auf der Ladefläche des Pick-ups sitzen, und erkämpft sich mit seiner Hartnäckigkeit auch das Recht dazu. Wir fahren auf der ausgebeulten, mit tiefen Löchern übersäte Piste im Licht der Sterne durch den dichten Wald. Der Wald schließt sich knapp über unseren Köpfen und nach hinten sieht man keine zehn Meter weit. Die Nächte in Vanuatu sind immer noch so schwarz wie in der Zeiten vor den ersten Siedler.