(15.07.2017 – Tag 1.119 – 22.330 sm)
Wir fahren an Land, um unser erstes Dorf auf Ha’apai zu erkunden. Die Bucht ist recht flach, Thomas muss mit dem Dinghy im sandigen Wasser durch die vielen Korallenköpfe manövrieren. Am halb zerfallenen Steg werfen Fischer ein kleines Netz aus und treiben Fische hinein. Der Fang ist nicht berauschend: ein paar kleine Rifffische, aber es scheint für die Familie zu reichen.
Vom Pier führt eine kleine staubige Straße ins Dorf. Sobald wir an einem Haus vorbei gehen, werden wir herzlich begrüßt. Vor einem der Häuser hüpft ein halbes Dutzend Kinder auf einem großen Trampolin. Ihr Englisch reicht nur für „hello“ und „bye bye!“, und das üben sie fleißig. Einige Häuser sehen nagelneu aus: sie sind alle identisch, sicherlich als Fertighäuser im Rahmen des Wiederaufbaus nach einem Zyklon von Australien oder Neuseeland geliefert. Es gibt sogar zwei kleine „Supermärkte“: kleine vergitterte Kioske. Einer davon hat Wassermelonen im Angebot. Schade, dass wir kein Geld mitgenommen haben.
Ein Zaun versperrt uns den weiteren Weg in den Wald. Privatgrundstück? Die Bewohner erklären uns, dass der Zaun die im Dorf frei laufenden Schweine von den Obst- und Gemüsefeldern im Wald fern halten soll. Von einem der Felder kommen uns ein paar kleinere Kinder entgegen. Sie haben so große und scharfe Macheten in der Hand, die in Deutschland nicht jeder Mann anfassen würde ohne den Bedenken zu haben, sich mit einem ungeschickten Schlag einen Finger abzuhacken.
Die Insel ist recht schmal, und so gelangen wir schon nach wenigen Minuten zur Luvseite. Das Wasser hier ist glasklar, der ständige Wind hat für große, sanfte Sanddünen gesorgt. Leider wird dabei allerlei Plastikmül angespült: Flaschen, Schlappen, Bojen und sogar eine amerikanische Wettersonde. Sie hat aber einen langen Weg hinter sich …
Am nächsten Tag erkunden wir das nahe gelegene unbewohnte Inselchen Nukunamo. Unsere Kinder finden dort perfekten Sand zum Burgen Bauen und veranstalten einen Wettbewerb für die schönste Burg. Währenddessen gehen Natalya und Thomas am Strand spazieren und finden unzählige Muscheln und Schneckenhäuser, eines schöner als das andere. Nach einem ausgedehnten Spaziergang steht die Sonne schon tief, wir müssen zurück zu Outer Rim, bevor es dunkel wird.
Zum Frühstück gibt es heute einen Wal. Die Mutter liegt innerhalb des Riffes nicht weit von uns schräg im Wasser und säugt ihr Kalb. Leider sind wir so früh viel zu träge um ins Dinghy zu springen und zu ihnen hinauszufahren. Am Vormittag während die Kinder sich mit den Schulaufgaben beschäftigen, versuchen Natalya und Thomas am Riff zu schnorcheln. Doch das Riff entpuppt sich als große Enttäuschung. Die Korallen sind tot und obendrauf ist die Sicht durch aufgewirbelten Sand und Sediment so schlecht, dass man auch die Fische nicht sieht. Das Wasser ist auch richtig kalt. Natalya zittert schon nach wenigen Minuten und klettert frustriert wieder ins Dinghy. Der letzte Zyklon hat den nach Westen offenen Riffen einen großen Schaden zugefügt, von dem sie sich noch nicht erholen konnten. Alles ist unter einer dicken Sandschicht erstickt.
Heute wollen wir nicht die zwei Meilen zu dem tollen Strand von Nukunamo fahren und gehen lieber am alten Steg vor dem Dorf direkt an unserem Ankerplatz an Land. Die Kinder bauen sich im Dickicht am Strandrand einen Verschlag aus Zweigen und Palmenblätter. Wir beobachten die Dorfbewohner, vier Frauen und einen Mann, die mit scharfen Messern und Taschen um die Hüfte durch das flache Wasser waten und nach essbaren Muscheln und Schnecken suchen. Nach etwa zweistündiger Arbeit haben sie einen kleinen Eimer voll gesammelt.
Hochseetaugliche Boote, um nach großen Fischen im offenen Meer zu jagen, scheinen die Dorfbewohnern nicht zu haben. Zumindest liegt keines am Strand. Wir würden uns gerne mehr mit ihnen unterhalten, um mehr von ihrem Leben zu erfahren und sie hätten auch nichts dagegen, unseren Geschichten zuzuhören, doch ihr Englisch reicht gerade mal für die einfachsten Sätze. Mehr Englisch lernt man nur auf der Highschool, und dafür muss man die Insel verlassen und in einem Internat leben. Dass können sich nicht alle Eltern leisten.
Wenn man auf Tonga von einer Inselgruppe zur nächsten segelt, muss man eigentlich aus- und wieder einklarieren. Wir wissen zwar, dass viele Segler es eher locker betrachten und keiner hat bis jetzt richtig Ärger bekommen, weil er innerhalb Tongas nicht aus- und einklariert hat, aber wir wollen die Geduld der Behörden nicht überstrapazieren. So legen wir an einem sonnigen Morgen Richtung Pangai, der Hauptstadt der Ha’apai-Gruppe, ab. Die Ansteuerung des kleinen Hafens ist mühsam. Die Einfahrt ist lang, flach und korallig. Zum Glück ist die Karte einigermaßen genau. Doch bei all den kleinen breit verstreuten Korallenköpfe kann man nie sicher sein, dass tatsächlich nichts im Weg ist. Natalya steht am Bug und hält Ausschau. Wir finden einen großen sandigen Fleck etwas südlich des Hafens und liegen auf vier Meter Tiefe und sehen von Bord jede kleine Bodenwelle im Sand.
Das kleine Städtchen, hauptsächlich aus einer breiten Straße bestehend, ist verstaubt und verschlafen. Doch es gibt sogar eine Eisdiele! Dort wird Eis aus uns gut bekannten 2 Liter großen Eimer in die Hörnchen gefüllt. Nach dieser Beobachtung kaufen wir uns lieber selber gleich einen Eimer in einem kleinen Supermarkt. Auch hier – wie schon in Neiafu – scheint der Handel fest in chinesischen Händen zu liegen.
Während Thomas mit den Kindern Schockoladeneis unter einer Palme genießt, läuft Natalya im Ort herum auf der Suche nach einem Tauchershop, um sich nach einer Walexkursion zu erkundigen. Doch keiner der Einheimischen scheint von einem Taucherunternehmen was gehört zu haben. Erst eine nette Dame von der Fischereibehörde schickt uns zum Resort drei Kilometer außerhalb des Ortes. Das seichte Wasser ist so voll mit Korallen, dass wir mit unserem Dinghy nicht zum Resort durchkommen. Natyla fährt zurück an Land und will die drei Kilometer entlang der Straße laufen. Das erste Auto hält an, noch bevor sie auf der Hauptstraße ist. Die Mutter schickt ihre Kinder vom Beifahrersitz nach hinten, damit Natalya einsteigen kann. Bevor sie vor dem Hotel anhält, erkundigt sie sich, ob sich Natalya sicher ist, dass sie alleine wieder zurück kommt. Die Befragung im Tauchershop ergibt einen recht hohen Preis für Whalewatching, außerdem noch 6 Stunden Bootsfahrt, alles natürlich ohne Garantie, dass man einen Wal überhaupt sieht, geschweige denn mit ihm schwimmen kann. Darauf verzichten wir dann und wollen selbst unser Glück versuchen.
Um nicht zurück nach Pangai segeln zu müssen, klarieren wir in Pangai gleich komplett aus Tonga aus. Die Behörden sind darüber nicht ganz glücklich, bringen es aber nicht übers Herz dem Familienvater von vier Kindern, der ihnen Schwierigkeiten es am Wind-Segelns beschreibt, die Bitte zu verweigern. Sie erlauben uns nach dem Ausklarieren noch ein paar der äußeren Inseln zu besuchen und bitten uns jedoch, nicht zu lange in Tonga zu bleiben. Das ist genau das, was wir wollen.
Die nächsten Tage verbringen wir vor dem traumhaften Strand von Uoleva. Die Bucht ist relativ rein, so können wir unweit des Strandes ankern und liegen sehr ruhig. Während die Kinder Sandburgen fast in Lebensgröße bauen, laufen Natalya und Thomas am Strand entlang. Die Füße versinken tief im weichem weißen Sand. Das Wetter verschlechtert sich, aber bevor die Sonne endgültig hinter dem gräulichen Wolkenschleier verschwindet, bleibt uns noch Zeit ein paar schöne Bilder von der Insel zu machen. Die dicken Wolken am Horizont verschaffen Kontrast und lassen das türkisfarbene Wasser im Sonnenlicht noch intensiver aufleuchten.
Die Wanderung quer durch die Insel zum anderen Ufer ist nicht so spannend. Die Vegetation ist stark verändert: unzählige Kokospalmen, kaum andere Bäume. Die Insel gilt zwar – bis auf ein Resort – als unbewohnt, wird aber offensichtlich landwirtschaftlich benutzt. Einige Tierpfade führen durchs Unterholz: Schweine und Ziegen werden sich selbst überlassen. Erst wenn die Familie Fleisch zu einem festlichen Anlass braucht, werden die Tiere eingefangen und nach Hause gebracht.
Eine neuseeländische Familie – Mutter und Tochter – hat hier im letzten Jahr das kleine Resort übernommen und versucht ihm zu einem neuen Leben zu verhelfen. Versteckt im Gebüsch, aber doch sehr nah am Strand wurden Holzhütten gebaut, die so weit auseinander stehen, dass man sich regelrecht einsam fühlen könnte. Die Bar bietet auch Seglern gern Getränke oder Dinner an und nennt sich sogar „Uoleva Yacht Club“. Als wir mit den Hotelbesitzerinnen sprechen, sind sie ganz aufgeregt. Bis jetzt war die Anlage weniger ausgelastet, aber morgen sind sie voll ausgebucht. Die in diesem Jahr sehr früh angefangene Walsaison bringt die ersten Touristenwelle mit. Auch von hier kann man ein Walewatching buchen, doch mit Blick auf das Wetter überlegen wir es uns doch anders. Es sollte in den nächsten zwei Tagen windig und regnerisch werden.
Trotz des ungemühtliches Wetters versuchen wir noch einen Schnorchelversuch im Pass. Natalya friert zwar schon bevor sie ins Wasser springt, will aber nicht so einfach aufgeben. Nach einer Viertelstunde unter Wasser kehren wir enttäuscht zurück. Hier sieht es genauso aus wie in Fao: die Korallen sind tot und versandet, die Fische sind durch den aufgewirbelten Sand kaum zu sehen. Der Zustand der Riffe in Ha’apai ist besorgniserregend. Es ist zwar üblich, dass die schweren Zyklone die nach Westen offenen Korallenriffe schwer in Mitleidenschaft ziehen. Jedoch sind seit dem letzten schweren Ereignis im Jahre 2014 schon fast drei Jahre vergangen. Die Riffe hätten schon längst von frischen Korallen besiedelt werden sollen – zwar nicht lückenlos und nicht so prächtig wie vor dem Zyklon, aber doch leuchtend in Farbe und Vielfalt. Hier im versandeten Pass erblickt man hauptsächlich nur die alten Skelette. Wer weiß, ob diese Pracht für immer verloren gegangen ist. Im Gegensatz zu den Gesellschaftsinsel kann man die Situation hier nicht auf den lokalen Einfluss der Menschheit wie Wasserverschmutzung oder Bauaktivität zurückführen. Auf Ha’apai leben so wenige Menschen, kaum Touristen und es gibt hier so wenige und meist recht primitive Hotelanlagen, dass man ihnen nicht die Schuld geben kann.