(11.04.2017 – Tag 1.025 – 20.204 sm)
Auf den Tuamotos steht die Artenarmut der Flora und Fauna an Land im krassen Gegensatz zum Reichtum, den man unter der Wasseroberfläche findet. Im geschützten Inneren der Atolle ist genug Raum für mehr als 600 Fischarten. Leider haben wir keine passende Bestimmungsbücher für die hier vorkommenden Fisch- und Korallenarten. So kommen manche Tierarten zu einem neuen Namen. Ein lila-weiß-orange gestreifter Kaiserfisch wird auf den Namen Pulloverfisch getauft. Nemo kennt ja jeder. Und manche Namen sind gar nicht so falsch: ein Doktorfisch mit einer langen spitzen Nase heißt tatsächlich Nasendoktorfisch. Jedes Mal wenn man schnorcheln geht, entdeckt man mindestens zehn neue Fischearten.
Heute ankern wir direkt am recht breiten Mittel-Pass von Tahanea. Auf die neue Fischart, die es hier geben soll, sind wir gar nicht scharf. Neben unserem Ankerplatz im Zelt hausender Einheimischer warnt uns ausdrücklich: „Vorsicht, passt auf die großen Haie hier auf!“ Unser Französisch reicht nicht aus, um die genannte Haiart zu verstehen, aber „5-6 Meter lang“ können wir klar heraushören. Keiner springt hier von unserem Boot ins Wasser. Nur Thomas schnorchelt schnell das Boot ab, um eventuelle Schäden von dem letzten Ankermanöver auszuschließen. Der Inselbewohner betont, die Gefahr sei nur hier, am breiten Pass. Die Lagune und selbst die anderen zwei Pässe sind ohne Gefahr.
Noch im Revierführer steht, dass Tahanea ein Nationalpark ist und dass ein Ranger hier lebt. Darauf können wir kaum einen Hinweis entdecken. Lediglich an der Passeinfahrt sind einige Steinhaufen aufgeschichtet und ein altes, verrottetes und kaum lesbares Schild ist angebracht. Wir respektieren gerne Parkregeln, aber wenn keiner da ist, dann wissen wir auch nicht, welche Regeln zu beachten sind. Wir verhalten uns also vorsichtig wie sonst auch.
Neben einer Menge Vögel erleben wir noch eine andere Tierart in Massen. Hat uns auf Makemo nur ab und zu mal eine Fliege an Bord besucht, kommen diese Plagegeister auf Tahanea gleich zu Hunderten zu uns an Bord. Nervig ist das vor allem am Morgen, wenn die Insekten bei Sonnenaufgang aktiv werden und einen jeglicher Schlafmöglichkeit berauben. An Land ist man ständig am Verscheuchen der Fliegen, die sich auf die Arme und ins Gesicht setzen. Thomas Kappe hat is wohl besonders attraktiv. Dicht an dicht sitzen die Fliegen darauf. Man sieht, zu welcher Plage eingeschleppte Tierarten werden können. Hier haben sie keine Feinde, können sich uneingeschränkt vermehren. An Bord können wir uns wenigstens durch Fliegengitter an den Fenstern und ein Fliegennetz am Niedergang (seit Villamil auf den Galapagos nicht mehr benötigt) schützen.
Am nächsten Tag bekommen wir Besuch von Joan, einem Einhandsegler. Ganz alleine durch dieses Archipel zu segeln, ist schon eine Leistung. Doch er kennt sich sowohl mit Segeln, als auch mit lokalen Begebenheiten bestens aus. Einige Jahre lebte er auf Rangiroa, eine Zeit lang lag sein Boot in einem falschen Pass von Fakarava. Jetzt lebt er auf Bora-Bora auf einem eigenem Motu und finanziert sich durch Verkauf seiner „Kunstwerke“. In Tahanea macht er nur einen kurzen Stopp auf dem Weg nach Fakarava wo er seine Freundin abholen möchte. So fit und flexibel möchte man selbst sein, wenn man über 70 ist.
Als die Passatwinde sich beruhigen, verlegen wir zum weniger geschützten Ankerplatz am östlichen Pass. Dieser ist wesentlich schmäler und flacher. Mit einem großen Boot will man hier nicht wirklich durchfahren, aber Schnorcheln im Pass soll fantastisch sein. Doch wir sind immer noch ganz alleine hier, und so viel vertrauen haben wir in unseren Dinghymotor nicht, dass wir alleine in den Pass mit dem Schlauchboot reinfahren. Nach einigen Tagen mit ordentlichem Passatwind sieht das Wasser selbst im Schutz einer kleinen Landzunge an der Seite des Passes nicht wirklich einladend aus. Viel zu unruhig, um mit der Strömung im Pass zu schnorcheln. Wir beschränken uns auf das Schnorcheln in der Nähe des Ufers. Auch hier gibt es viele schöne Korallenköpfe mit vielen Fischen.
Selbst Arvid, der huckepack mit Thomas schwimmt, erlebt Horden von großen, blau schimmernden Papagaeienfischen, schwarz-weiß gestreiften Halfterfischen und jede Menge kleinere, die sich um die Korallenköpfe tummeln. Vor den Korallen hat der kleine Kerl anfangs Angst: wer weiß, ob so was beißen kann? Aber nach einiger Zeit verschwindet die Angst und Arvid kann in Ufernähe auch alleine schnorcheln. Gerne hält er sich jedoch, wenn wir weiter raus schwimmen, an der Badehose von Thomas fest. Die Fische scheinen sehr ortsfest zu sein. Geht man am nächsten Tag an der gleichen Stelle schnorcheln, findet man die selben Fische wie am Vortag.
Wir überqueren die Lagune Richtung Süden, um an einen besonders schönen Ankerplatz zu gelangen. Dieses Mal kein so großer Stress wie in Makemo. Auf gesamten sieben Meilen gibt es nur ein halbes Dutend Korallenpilze, zwei nicht kartographierte allerdings knapp unter Wasser. Am Ziel bekommt Natalya die Krise. Das soll ein Ankerplatz sein? Das ist doch mitten im Nichts! Die nächste Insel ist mehr als eine Meile entfernt. Aber es ist schon Nachmittag, einen neuen Platz bekommen wir heute wohl nicht, so muss Natalya sich mit dem hiesigen abfinden und hat das Gefühl, mitten auf dem Ozean geankert zu haben: gleich viel Fetsch aus allen Richtung ist wohl auch eine Lösung… Doch der Schein trügt. Knapp unter Wasser an der Wind zugewandten Seite befinden sich ein recht ausgedehntes Korallenriff und eine breite Sandbank, die die Welle bremsen. Wir liegen trotz des frischen Ostwindes im Lee des Riffs sehr ruhig. Im Revierführer wir der Ankerplatz als „Nummer 7“ bezeichnet, da das Riff die Form einer 7 hat.
Wir landen auf der ein paar Meter breiten Sandbank direkt neben unserem Ankerplatz, die bei Hochwasser vollständig überspült wird. Der Sand ist angenehm grobkörnig und so sauber und rein wie in einer Apotheke. Unsere Kinder gehen im knietiefen Wasser schnorchel und fördern fantastische Muscheln zu Tage. Hier, wo sie keiner außer ein Paar gelegentlicher Segler sammeln kann, findet man die schönsten Stücke. Arvid ist mächtig stolz auf seine ersten Schnorchelerfolge und hebt eine besonders schöne, selbst gefundene Schnecke für seine Erinnerungskiste auf. Da wir noch am Riff schnorcheln wollen, verschiebt sich das Verlegen auf Übermorgen. Natalya findet sich damit ab, mitten im Nichts noch eine Nacht zu verbringen.
Am nächsten Morgen, bei strahlendem Sonnenschein wirkt der Platz fantastisch. Die Intensität des Türkis kennt keine Grenzen. Da man diese Farbe in der Natur kaum woanders findet, wirkt sie anziehend. Während sich die Kinder am Vormittag mit ihrer Schule beschäftigen, fahren Natalya und Thomas zum Riff. Die Vorderseite des Riffs entpuppt sich als Enttäuschung: alles tot, versandet, begraben. Doch auf der Rückseite, im Tiefem wachsen meterhohe Korallensäulen. Die Fische hier sind auch größer als anders wo. Ein metallisch schimmernder, silberner, mindestens einen Meter langer Tunfisch gleitet an uns vorbei, ohne besonders scheu zu sein. Bunte Rifffische aller Art schweben über den Korallen. Zu großen Freude von Natalya ist heute kein einziger Hai unterwegs. Oder doch? Als sie hundemüde nach einer Stunde im Wasser ins Dinghy klettert, guckt ihr ein neugieriger Schwarzspitzenriffhai gespannt zu.
Thomas werden nur ein paar Minuten der Erholung gegönnt, dann geht es mit Franka und Vsevolod zum Riff. Für die Kinder ist es auf der Luvseite des Riffs wegen der teilweise über uns brechenden Wellen nicht einfach zu schwimmen. Es lohnt sich aber auch dieses Mal. Im Gegensatz zum vorangegagenen Schnorchelgang jetzt einige sehr neugierige Schwarzspitzenriffhaie unterwegs. Schon beim Einstieg ins Wasser sind sie da und folgen uns teilweise in nur ein paar Metern Entfernung über die ganze Strecke. Auch wenn wir wissen, dass die Tiere für Menschen ungefährlich sind, so versucht Thomas sich immer zwischen die Räuber und die Kinder zu stellen … sicher ist sicher. Aber natürlich passiert nichts, die Tiere sind zwar neugierig aber sehen sich weder bedroht noch uns als Nahrung. Je länger der Schnorchelgang dauert desto mehr genießen wir den Anblick und die Nähe der wunderbar anmutigen Raubfische.
Am Nachmittag gesellt ein anderes Boot zu uns. Natalya denkt sich, wenn die anderen mitten im Nichts ankern, wird es wohl nicht so gefährlich sein und entscheidet sich dafür, noch eine weitere Nacht zu bleiben. Dadurch haben wir die Möglichkeit, eines der umliegenden Motus zu besichtigen. Das ist zwar mit über 1 km eine lange Dinghyfahrt in ungeschütztem Wasser bei der das Schlauchboot durch eine ordentliche Welle brettert, aber es lohnt sich auf jeden Fall. Im Gegensatz zu den vielen von Menschen stark veränderten Inseln, hat diese hier so gut wie keine Palmen sondern ist mit grünen Pfanzen aller Art dschungelartig bewachsen. Die Vegetation ist so dicht, dass Badehose und Schlappen die Bewegungsfreiheit sehr einschränken. Dieser Dschungel beherrbergt auch einige Vogelarten. Sie haben vor Menschen keine Angst und lassen sich gerne photographieren.
Unsere Kinder macht die Strömung zwischen Ufer und einem kleinen Riff in der nähe enormen Spass: sie springen an einer Stelle rein, und lassen sich einige Meter mit rasender Geschwindigkeit durch den Kanal ziehen, bevor sie wieder zum rettenden Ufer paddeln. Das interessante an dieser Stelle ist auch, dass die Richtung der Strömung alle paar Minuten wechselt. Wie das zustande kommt ist uns unklar. Arvid würde auch gerne bei der Wildwasserfahrt mitmachen. So müssen Mama und Papa sich abwechseln und ihn rechtzeitig an der Schlaufe seiner Rettungfeste aus dem Wasser rausziehen.
Nach einem der Durchgänge kommen besorgte Kinder ans Ufer und fragen: „Mama, können große Thunfische beißen?“ Natalya fragt nach, wie groß wohl der Fisch war, der an ihnen so nah vorbei geschwommen ist? Die zu beiden Seiten ausgestreckten Kinderarme reichen nicht aus, um die wahre Größe des Tieres darzustellen. Bevor es wieder dunkel wird, packen wir unsere sieben Sachen und fahren zurück an Bord. Das Licht blendet uns so, dass wir lieber einen weiten Bogen um das Riff fahren, als die passende Stelle zum Überqueren zu suchen. Bevor wir uns zum Abendessen ins Cockpit setzen, schauen wir einem fantastischen Sonnenuntergang zu, der den Himmel und die am Tag so grelle Lagune in sanfte Pastellfarben taucht.