SY Outer Rim – A Family's Sailing Adventure

Sailing across the world's oceans with four kids

Davongekommen … mit Kratzern und einem blauen Auge

(07.04.2017 – Tag 1.021 – 20.195 sm)

Die Atolle der Tuamotus liegen relativ nah beieinander. Verglichen mit anderen Strecken, sind die gut 50 Meilen von Makemo nach Tahanea ein Katzensprung. Trotzdem überlegen wir lange, ob wir sie am Tag oder doch lieber über Nacht segeln sollen. Auf dem offenen Ozean fühlt man sich in der Nacht fast genauso sicher wie am Tag, doch die Navigation durch die Lagunen ist nur bei gutem Licht möglich. Die Pässe können nur bei Stillwasser und bei Tageslicht sicher passiert werden. Da wir uns nah am Äquator befinden, sind die Tage ziemlich kurz. Schon um 5 Uhr Abends fallen die Sonnenstrahlen so flach, dass man selbst unter der Oberfläche des kristallklaren Wassers kaum was erkennt. Ist man zu spät dran, sollte man lieber eine zusätzliche Nacht auf dem offenen Ozean verbringen als in einem Korallenfeld in der Dämmerung oder gar in der Dunkelheit zu navigieren.

Damit der Skipper nicht eine volle Nacht wach an Deck bleiben muss entscheiden wir uns für das möglichst frühe Ablegen am nächsten Morgen. Um möglichst viel Puffer zu haben, verlegen wir am Tag zuvor bis zum NW-Pass von Makemo und ankern direkt daneben. Thomas und Vsevolod gehen in der Nähe des Passes Schnorcheln und entdecken dabei ein üppiges Leben unter Wasser: unzählige große und kleine, zum Teil sehr exotisch wirkende bunte Rifffische tümmeln sich im frischen, nährstoffreichen Wasser. Auch wenn der Ankerplatz wegen der Nähe zu einem Riff und den vielen Korallenköpfen nicht ideal ist, denken wir, dass es für eine Nacht reicht. Der Wind soll eh schwach bleiben, so jedenfalls die Meinung des Wetterberichtes.

Am Abend treffen wir dann eine im Nachhinein falsche und folgenreiche Entscheidung: Der Wind soll erst am nächsten Abend stärker werden, und außerdem ist das Schnorcheln hier recht nett. Daher verschieben wir das Ablegen doch auf den nächsten Abend, wollen noch den Tag hier bleiben. In der Nacht ist es immer noch so gut wie windstill.

Wir werden geweckt von den ersten Böen, die am Morgen die Outer Rim treffen. Unser Schiff schaukelt schon etwas, und es plätschert am Rumpf, da der Wind von Nordost auf Südost gedreht hat. Erst entspannt vom Salon aus, dann schon etwas nervöser an Deck stehend beobachten wir wie sich der Himmel dramatisch verdüstert. Eine schwarze Wand bewegt sich auf uns zu: mit den ersten heftigen Böen kündet sich ein dicker Squall an. Vor dem Umschlag auf die Passatwinde, die uns zügig zur nächsten Insel bringen sollten, bricht ein Hochdruckgebiet zusammen. Darauf haben wir eigentlich gewartet, auf den Squall sind wir aber nicht wirklich vorbereitet.

Während der Wind auffrischt und bald mit lautem Pfeifen durch das Rigg bläst, steht Thomas auf dem Achterdeck und beobachtet das Geschehen. Der Rest der Crew ist unter Deck mit Vorbereitungen für das Frühstück beschäftigt als vom Achterdeck ein verzweifelter Schrei des Skippers kommt: „Der Anker slippt!“. Sichtbar wandern die Korallen unter und neben uns weiter vorlicher. Mit der Winddrehung durch den Squall liegen wir auf Legerwall und haben keinerlei Manövrierraum nach achtern, haben einen mit unzähligen Korallenköpfen und Riffen gespickten Strand im Rücken. Mittlerweile drückt uns der Wind mit 40 Knoten in Richtung Strand.

Thomas hechtet zum Steuerstand und startet den Motor, versucht das Boot von den Korallen fern zu halten, die jetzt schon links und rechts von uns bedrohlich knapp unter der Wasseroberfläche erscheinen. Wir liegen auf der falschen Seite der Lagune, ein 10 Meilen Fetch sorgt für eine Windwelle, die über den Bug der Outer Rim bricht und das Boot an der Ankerkette ordentlich stampfen lässt. Noch beim ersten Vorwärtsschub hört Thomas hinten einen Schlag gegen das Heck und hofft, dass dieser ebenfalls nur den Wellen zu verdanken ist.

Unser Sonnensegel ist noch draußen und vergrößert zusätzlich den ohnehin schon enormen Winddruck auf das Boot. Als Natalya sich auf den Weg macht es loszubinden, reißt der Wind die Ösen aus dem Stoff schneller als sie die Knoten lösen kann. Egal, Hauptsache schnell weg mit dem Ding.

Der Sturm ist so laut, dass wir uns nur laut schreiend verständigen können. Wir haben keine Sekunde Zeit zum Überlegen. Nur wenige Meter hinter dem Boot scheinen die Korallenköpfe durchs Wasser, sicher weniger als einen Meter unter der Wasseroberfläche. Schnell ankerauf! Wir haben ordentlich Kette gesteckt, es dauert. Es dauert viel zu lange, der Wind bleibt bei Stärke 8-9. Natalya steht vorne an der Ankerwinch und versucht die kurzen Phasen zu erspähen, in denen die Kette weniger straff ist. Immer wieder verhakt sich die Kette in den unzähligen Korallenköpfen am Boden.

Als das erste Bündel an Bojen hochkommt, die unsere Kette vom Verhaken an den Korallen schützen sollten, reißt der Wind ihre Leine ab. Die Bojen schwimmen weg, Natalya holt das Messer um das zweite Bündel, ein Paar Meter Kette weiter, abzuschneiden. Sie steht mit dem Messer in einer Hand, einer anderen Hand fest am Bugkorb geklammert, und winkt Thomas, dass gerade jetzt die Kette weiter hoch soll. Doch es kommt nichts. Von Steuerstand kommt der völlig verzweifelter Schrei des Skippers an: „Was ist mit der Kette?!“ Natalya versteht gar nichts, die Kette hängt doch gerade jetzt günstig und ohne Spannung. Sie rennt durch das wie wild auf den Wellen hüpfendes Boot zum Steuerstand. „Die Winch, die Winch bewegt sich nicht mehr!“

Als ob die Situation vorher nicht schon kritisch genug war … Schnell den Hauptschalter für die Winchen prüfen. Eigentlich alles ok. Aber warum geht die Ankerwinsch nicht? Wertvolle Zeit geht verloren. Kettenstau in der Winsch? Natalya bekommt von Thomas den Befehl das Boot im Wind zu halten. Thomas schnappt sein Werkzeug und nimmt die Ankerwinch auseinander. Die Leine der abgerissenen Bojen hat sich in der Winch verhakt. Gut, dass wir das schnell beheben können. Während Thomas wieder am Ruder steht bekommt Vsevolod den Befehl, die Sicherung für die Ankerwinsch zu prüfen und wieder reinzudrücken. „Papa, erledigt“ Geht aber trotzdem noch nicht. Da muss wohl der Skipper selbst ran. Thomas übergibt Natalya das Ruder und sprintet in die Vorschiffkabine. Die Sicherung ist nicht rein gedrückt, oder wieder raus gesprungen? Jedenfalls geht die Winch jetzt. Die Kinder bekommen ein Befehl die Westen anzuziehen. Die Großen sorgen für die Kleinen. Talora beschwert sich über die Weste: „Ich kann ja schon schwimmen!“

Jede Böe kann uns an den Strand blasen, jetzt haben wir noch weniger Kette als vorher draußen, und selbst sie ist verhakt und zum Zerreißen gespannt. Mit der Auf- und Ab-Bewerung in den Wellen kann das nicht lange gut gehen. Die Wellen brechen über dem Bug und hinter dem Heck. Unserer Motor-Steuerung gefällt die ganze Situation auch überhaupt nicht. Sie ist so programmiert, dass sie potentielle Schäden am Propeller durch Kavitation vermeiden soll und begrenzt automatisch die Drehzahl des Motors. Mehr als 1.150 Umdrehungen/min lässt sie jetzt nicht zu. Eigentlich zu wenig, um gegen 40 Knoten Wind entsprechende Welle anzukommen.

Die Kette ist immer noch verhakt. Natalya geht der Gedanke durch den Kopf die Kette einfach durchzuflexen. Bis nach Tahiti sind es nur zwei-drei Tage Fahrt, dort können wir eine neue kaufen. Der Wind wird nicht weniger und zieht und zehrt an der Kette. Wir kämpfen um jeden Meter und holen sie mit Gewalt ein: entweder brechen die Korallen oder die Kette. Natalya schaut weiterhin, wie die Kette im Wasser liegt. Franka kontrolliert, dass nichts mehr Falsches mit der Winch passiert. Damit die Winch so wenig wie möglich geschädigt wird, steht Natalya auf der Klinke, die normalerweiße ein Stoppmechanismus für die Kette darstellt. Doch jetzt kann keine Rede von „Stopp“ sein. Die Kette ist so gespannt, dass die ganze ausgeübte Kraft die Klinke nur dazu bringt, den Druck ein wenig zu mindern.

Nach einem zähen, fast aussichtslosen Kampf schreit Natalya endlich nach hinten: „Wir sind frei!“ Der Anker hängt nur lose im Wasser, die letzten 10 Meter Kettte können ohne Probleme eingeholt werden. Thomas gibt Gas, wir fahren aus dieser verhexten kleinen Lücke raus. Wegen der Limitierung durch die Motor-Steuerung ist das allerdings extrem langsam. Wir haben nicht genug Schub, um jetzt – ohne zusätzlichen Zug der Kette – den Bug durch den Wind zu drehen. Auch das Bugstrahlruder funktioniert nicht mehr – später stellen wir fest, dass Vsevolod die Schalter verwechselt hat und nicht die Ankerwinch angeschaltet, sondern das Bugstrahlruder abgeschaltet.

Wir steuern direkt auf ein Korallenriff an unserer Steuerbordseite zu. Von vorne drückt der Wind, seitlich das Riff und hinter uns sind die Korallenköpfe. Da wir nicht genug Power vom Motor bekommen, um durch den Wind drehen zu können, muss eine andere Lösung her, sonst sitzen wir auf dem Riff auf. Thomas schätzt den achterlichen Manövrierraum ab und setzt alles auf eine Karte. Er gibt hart Backbord-Ruder und Vollgas Rückwärts. Rückwärts ist ein Schiff normal wenig manövrierfähig und mit dem wenigen Raum, den wir haben, könnte es passieren, dass wir am Strand landen bevor sich die Outer Rim richtig dreht. Aber der Wind drückt uns nicht nur zum Strand sondern hilft auch bei der Drehung. Im Rückwärtsgang gibt es auch keine Drehzahlbegrenzung durch die Motor-Steuerung. Volle 2.800 Umdrehungen und somit 150 PS werden an die Welle und den Propeller weiter geleitet. Unser Schiff dreht, erst quer zum Wind, dann mit dem Heck in den Wind. Dafür ist das Heck aber nicht gemacht. Die Wellen schlagen ordentlich dagegen, Wasser schießt über das Achterdeck und flutet teilweise das Cockpit. Bis in den Salon schießt die Gischt. Aber das Manöver glückt! Wir drehen durch den ordentlichen Rückwärtsschub mit dem Heck durch den Wind und können die Outer Rim so stellen, dass der Bug direkt in den Wind kommt. Selbst mit verminderter Drehzahl im Vorwärtsgang gelingt es nun, den Bug auch im Wind stehend zu halten. Meter für Meter arbeiten wir uns von unserem Unglücks-Ankerplatz weg. Über eine Stunde hat unser Kampf gedauert.

Zum Glück liegen wir direkt neben dem Pass und sind bald in seinem Einflussgebiet. Die Strömung am Pass bremst die Windwelle. So paradox wie es auch wirken mag: während unsere Seite der Lagune wie ein Hexenkessel aussieht, ist der Pass gespenstisch ruhig: nicht mal Brecher am Eingang sind zu sehen. Es ist auch gerade auslaufendes Wasser, also perfekt für uns.

Während Thomas sich Richtung Pass bewegt, geht Natalya zu den Kindern, um ihre Meinung zu erfragen, wohin jetzt. Sollen wir nach dem erlebten Stress direkt nach Tahiti segeln? Oder doch noch hier auf dem Archipel bleiben? Arvid, der überglücklich ist, dass er seine Stoffweste, mit der er im stickigen Zimmer wahnsinnig schwitzt, jetzt ausziehen darf, schreit, er wolle keine andere Insel. Die hier sei am besten! Talora und Vsevolod ist das egal. Franka muss erstmal verschnaufen. Nachdem wir den Pass hinter uns gelassen haben, schauen die neugierigen Kinder raus, und fragen, warum es hier plötzlich so ruhig ist. Wir sind auf dem offenen Ozean, im Lee der Insel angekommen. Hier ist die See fast völlig glatt. Erst jetzt sind wir wirklich sicher.

Aber wir sind immer noch unschlüssig, wohin weiter. Wir setzen erstmal etwas Segel und frühstücken gemütlich im Cockpit. Wir müssen wieder zur Ruhe kommen. Tahanea, das nächste Atoll, liegt direkt auf dem Weg nach Tahiti. Nach einigen ruhigen Stunden auf dem offenen Meer kommen wir doch zum Schluss, dass es schade wäre, an Tahanea einfach vorbei zu segeln, zumal dieses Atoll auch ein Nationalpark ist. Jetzt sind wir jedoch so spät dran, dass wir nicht sicher vor 17 Uhr abends am Pass ankommen würden. Sollen wir das Risiko eingehen und so spät noch nach einem Ankerplatz suchen? Natalya legt ihr Veto ein. Nicht, dass sich die Kette der unglücklichen Ereignissen fortsetzt.

Obwohl wir gerade die Nacht auf See vermeiden wollten, reduzieren wir die Segelfläche und kriechen langsam vorwärts. Für die 50 Meilen haben wir gut 20 Stunden Zeit, und draußen weht ein mäßiger aber stetiger Passat. Wir luven so weit wie möglich an, segeln mit wenig Segelfläche so hart am Wind wie gerade noch möglich. So machen wir bei wenig Geschwindigkeit Raum nach Osten gut. Für die Nacht wenden wir und liegen wir bei, d.h. wir lassen uns mit äußerst dicht geholten Segeln quer zum Wind treiben. Durch die Segel liegt das Schiff äußerst ruhig im leichten Schwell, die Crew kann einigermaßen gut schlafen.

Am nächsten Morgen, nach einer unkomplizierten Passage durch den breiten Pass, werfen wir den Anker in der Lagune von Tahanea. Jetzt können wir uns richtig entspannen und ausruhen. Wer hätte gedacht, dass Ankern in der Südsee mit viel mehr Risiko verbunden ist als das Ankern in den engen chilenischen Caletas… Als Thomas in den nächsten Tagen das Boot abtaucht, entdeckt er etwa 1 m unter der Wasserlinie ordentliche Kratzer an Backbord-Seite des Ruders und vor allem an der vorderen Kante des Ruders ein ordentliches Loch, was nur eines heißen kann: der Schlag, den er gehört hat, kam nicht von der Welle, sondern von einem Korallenkopf, der genau in den Zwischenraum zwischen dem Ruder und dem Propeller eingeschlagen hat, exakt auf der Höhe der Propeller-Blätter. Hätten wir im Kampf einen weiteren halben Meter verloren oder hätte Thomas auch nur ein paar Sekunden später Gas gegeben, wäre der Propeller unwiderbringlich verloren gegangen. Manövrierunfähig hätten wir dann nur noch zusehen können, wie sich die Outer Rim an den Korallen aufreibt. Da sind wir also haarscharf an einem Unglück vorbei geschrammt. Da ist man wegen eines zerrissenen Sonnensegels, ein paar verloren gegangener Bojen und ein paar blauer Flecken nicht traurig.

4 Kommentare zu “Davongekommen … mit Kratzern und einem blauen Auge

  1. Thorsten Traut
    24. Mai 2017

    Puh, was für ein Krimi…😲

  2. Monien Bernd
    24. Mai 2017

    Da hattet Ihr echt nochmal Glück gehabt. Hier sieht man erstmal, wie schnell der Segelspass zum Fiasko werden könnte.

  3. Eva
    25. Mai 2017

    Oh Ihr Armen! Nur gut, dass die Manöver funktioniert haben!
    Liebe Grüße Eva, die heute 7,5 Std das Boot geputzt hat.

    • Thomas
      26. Mai 2017

      Boot putzen … dann doch lieber Starkwind auf die Nase 😉

      Apropos Manöver: Im Nachhinein würde ich jetzt einfach 2-3 Fender an die Kette binden und die Kette einfach ausrauschen lassen. Nach 1 Stunde ist so ein Squall ja zu Ende und man kann in Ruhe den Anker holen. Aber in der Hitze des Gefechts kommen einem solche Gedanken nicht.

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Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 7. April 2017 von in Uncategorized.
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