(04.04.2017 – Tag 1.018 – 20.114 sm)
Wir verbringen zwei Nachmittage an einem traumhaften weißen Sandstrand aus einer Postkartenidylle: flaches warmes Wasser in intensiv leuchtendem Türkis, unendliche Reihen von Kokospalmen, reichlich Kokosnüsse zum Selberknacken. Am dritten Tag wissen wir nicht mehr was wir damit anfangen sollen. Es könnte so entspannend sein, sich auf so einem Strand mit einem Buch für einen ganzen Nachmittag im Schatten einer Palme hinzulegen, dem entfernten Grollen des Schwells zuzuhören und sich in einen spannenden Roman zu vertiefen. Komischerweise halten unsere Kinder nichts von dem Konzept und möchten eine aktivere Unterhaltung.
Wir verlegen daher zuerst zurück zum Dorf und am nächsten Tag weiter nach Westen. Die zweite Etappe ist 17 Meilen lang und erfordert von Natalya, die vorne am Bug steht, volle Konzentration. Sie fühlt sich wie in einem alten Windowsspiel Minesweeper, bei dem man durch logisches Denken die Minen entschärfen muss. Das Feld hier ist deutlich überladen. Die meisten Korallen sind zwar in den elektronischen Seekarten eingezeichnet, doch ausgerechnet die kleinsten und sich tiefer unter Wasser befindenden sind nicht drauf. Heute ist auch noch der Wind optimal zum Segeln. Leichter Wind aus Nordost erlaubt Halbwind-Segeln mit 5-6 Knoten. Und hat man unter Motor mehr Möglichkeiten, auf Hindernisse zu reagieren, so steigert das Segeln deutlisch den Adrenalinspiegel. Am Ende der Strecke holt sich Natalya Franka als Unterstützung. Ein kurzer Augenblick der Unachtsamkeit: Natalya entdeckt den Korallenkopf erst als er schon unter unserem Bug ist. Zum Glück gleiten wir drüber ohne ihn zu berühren. War doch tief genug.
Das Ankern wird wieder zur Herausforderung. Mit vielen mehr oder weniger hohen Korallenköpfen ist die Suche nach einem Sandfleck wie ein Flugzeug zwischen Wolkenkratzern zu landen. Natürlich kommen unsere neuen Bojen zum Floaten der Kette zum Einsatz. Kaum ist der Anker im Wasser, kommen schon die ersten Haie. Sie kreisen neugierig um die Outer Rim herum. Erst zwei, drei Haie, dann zählen wir ein halbes Dutzend. Natalya wirft die Pütz als Test ins Wasser. Die Haie lassen sich vom großen Platsch nicht abschrecken, einer schwimmt fast mit dem Kopf in den Eimer hinein. Wer glaubt, man könnte die Tiere durch ein bisschen Flossenschlagen abschrecken, sollte sich spätestens an der Stelle von dieser Vorstellung verabschieden. Das Wasser ist so durchsichtig und die Haie so nah, dass wir ihnen in die Augen schauen können. Vor ihrem Maul schwimmen oft einige gelbe Fische. So paradox wie das klingen mag: dort verstecken diese sich vor gefährlicheren Räubern. Sie selbst sind so schnell und wendig, dass der Hai, solle er auf die Idee kommen sie zu schnappen, ihnen nicht nachkommt.
Am nächsten Vormittag ist das Schnorcheln am nahe gelegenen Riff angesagt. Thomas, Franka und Vsevolod verbringen eine Stunde am Riff und berichten von einer großen Fischvielfalt und gesunden Korallen. Als eine Stunde später Thomas mit Natalya dort ankommen, sind die Fische immer noch in Hülle und Fülle da, doch diesmal kommen auch die Schwarzspitzenriffhaie dazu. Eines der Tiere kommt Natalya zu nah. Der Hai zeigt kein agressives Verhalten, macht keinen Buckel und gleitet, unserer Präsenz wohl bewusst, tief entspannt an uns vorbei. Doch Natalya ist alles andere als entspannt, traut dem Hai nicht über den Weg und will möglichst bald zurück ins Dinghy. Obwohl man theoretisch weiß, dass diese Art von Haien den Menschen unter normalen Umständen nicht gefährlich ist, hat man trotzdem alles über Haie – egal welcher Art – im Kopf. Filme wie „Der weiße Hai“ lassen grüßen. Im Gegensatz zu Natalya ist Thomas von dem etwa zwei Meter großen Fisch fasziniert und schwimmt mit seiner Kamera fast genauso tief entspannt wie der Hai.
Am Nachmittag wollen wir Lagerfeuer am Strand machen. Die Kinder freuen sich riesig auf das Stockbrot. Das letzte Mal haben wir das noch in Patagonien vor fast einem Jahr gemacht. Auch hier ist das Wasser am Strand ziemlich flach. Doch wer glaubt, dort ohne Haie ungestört planschen zu dürfen, auf den wartet eine derbe Überraschung. Die schwarzen Rückflossen sind selbst im knietiefen Wasser zu sehen. Unser Buchwissen sagt uns: gerade hier sind sie gefährlich und können im flachem Wasser watende Menschen beißen. Die Kinder bekommen den Rat, vom Dinghy bis ans Ufer zu schwimmen obwohl sie problemlos im Wasser stehen könnten.
Unsere Großen gehen mit einer Axt bewaffnet auf Holzsuche. Natalya sucht eine Kokosnuss zum sofort Öffnen. Doch die Aufgabe gestaltet sich als schwierig. Jede am Boden liegende Nuss hat ein kleines rundes Loch und ist schon von jemandem anderen verspeist worden. Die Löcher sehen so akkurat und präzise aus, dass Natalya sich zuerst fragt, warum hier die Menschen ihre Kokosnüsse im Vorbeilaufen austrinken und dann gleich liegen lassen. Bis sie einen großen Landeinsiedlerkrebs entdeckt, der mit seiner großen Schere ungestört an einer Kokosnuss arbeitet. Da die Tiere noch grüne Nüsse bevorzugen, finden Natalya endlich eine reife braune, die zwar wenig Kokoswasser, aber dafür leckeres Fruchfleisch enthält.
Während das Feuer langsam vor sich hin glimmt und wir auf den Abend warten, machen die Kinder ein Spiel daraus, Haie möglichst nah ans Ufer zu locken. Sie suchen die aus dem Wasser ragenden schwarzen Flossen in der Nähe des Ufers, platschen am Rande des Wassers möglichst laut mit den Füßen und warten, bis ein neugieriges Tier vor ihren Augen erscheint. Die Haie kommen so nah, dass man sich fragt, warum sie keine Angst haben aus Versehen anzustranden. Einige Tiere sind sehr jung, und messen kaum einen halben Meter. Wenn man berücksichtigt, dass sie erst mit 30-40 Zentimeter Körpergröße zur Welt kommen, sind sie so gut wie neugeboren. Sie sind auch besonders scheu und vorsichtig, und trauen sich im Gegensatz zu den großen Gesellen nicht so nah an die Menschen. Doch auch sie sind neugierig und beobachten aus einiger Entfernung.
Als wir die Stöcke mit dem Brot im Feuer halten und sich in der Bucht ein feiner Duft von frisch gebackenem Brot verteilt, kommen neue Gesellen dazu, die noch aufdringlicher sind als die Haie. Erst huscht etwas relativ scheu durchs Unterholz, dann braucht der Gast ein bisschen Zeit um sich zu orientieren, daraufhin marschiert die Ratte durchs offene Gelände direkt zu unserer Teigschüssel. Wir reißen die Schüssel an uns, werfen mit einer kleinen Nuss nach der Ratte und hoffen, dass sie genug Schreck bekommen hat, um uns in Ruhe zu lassen. Doch die Ratte ist anderer Meinung. Kaum sind ein Paar Minuten vorbei, wiederholt sie ihr Manöver. Es wird hier nicht jeden Tag Brot gebacken! Leider haben die eingeschlepten Tiere auf den Inseln keine natürlichen Feinde und können sich fast uneingeschränkt vermehren. Obwohl manche Inselgemeinden aufwendige Versuche unternehmen, die Rattenplage los zu werden, ist der Kampf mit vielen Mißerfolgen verbunden. Bleiben auch nur ein paar Ratten übrig, vermehren sie sich so schnell, dass schon nach kurzer Zeit ihre Population wieder Tausende von Tieren beträgt.
Am Abend schläft der Wind ganz ein. Wir sitzen vom Feuer und schauen zu, wie nach dem Sonnenuntergang die pastellenen Himmelsfarben immer blasser werden, bis wir von fast vollständiger Dunkelheit eingehüllt werden. So lange haben wir kein Lagerfeuer am Strand mehr gemacht, dass wir beim Einpacken nicht mal an eine Taschenlampe gedacht haben. Wir steigen ins Dinghy und paddeln nach Gefühl durch das Minenfeld der Korallenköpfe zurück zu Outer Rim und stoßen auch nur einmal mit dem Rumpf an.
Einfach nur traumhaft 👍☀️💁