(30.03.2017 – Tag 1.013 – 20.086 sm)
Makemo ist eines der größten Atolle des Archipels. Doch was heißt denn groß? Das Atoll ist zwar etwa 70 km lang und im Schnitt 12 km breit, was eine Fläche von mehr als 800 Quadratkilometer ergibt. Doch in Wirklichkeit beschränkt sich die Landfläche auf etwa 50 Quadratkilometer, der Rest ist Wasser. Ein schmales Band aus Korallensand, an der breitesten Stelle nur wenige Hundert Meter breit, umschließt eine riesige Lagune. An vielen Stellen durchschneiden kleine seichte Kanäle das Land und teilen es in viele kleine Inselchen, bei Einheimischen Motus genannt. In Makemo sind zwei dieser Kanäle schiffbar, die sogenannten Pässe.
Fast die ganze Bevölkerung von Makemo lebt in einem Dorf direkt am nordöstlichen Pass. Als wir durch das Dorf spazieren gehen, macht es einen ziemlich aufgeräumten Eindruck. Entlang der Hauptstraße zieht sich ein frisch gestrichenes Geländer in weiß und lila. Auf den gut geteerten Straßen fahren dicke, teils nagelneue Pick-ups. Die Fenster und Türen der Häuser sind breit aufgerissen, viele Betten stehen im Freien unter einem Vordach. Wegen Kriminalität braucht man sich hier scheinbar keine Sorgen zu machen. Manche Häuser besitzen kleine Gärten, doch viel wächst da nicht. Die Bäume, die wir von den Marquesas kennen, wirken wie Zwerge und sind viel kleiner als dort. Der aus dem harten Korallengestein bestehende Boden ist nicht wirklich fruchtbar. Selbst die Kokosnüsse werden hier nicht mal halb so groß wie auf den fruchtbareren Inseln.
Wir schauen in einen der kleinen Läden hinein in der Hoffnung, frische Lebensmitteln zu finden. Immerhin gibt es im Laden frisches Baguette, aber keine Spur von Obst oder Gemüse. Fast alles, was die Insulaner benötigen wird mit einem Versorgungsschiff geliefert, das alle zwei Wochen die Insel besucht. Es kommt zwar während unserer Anwesenheit vorbei, das Angebot in den Läden bessert sich aber leider kaum.
Unter jeder Dachrinne, selbst an verlassenen Häusern, stehen große, mehrere Tonnen Wasser fassende Behälter. Das Atoll, wie alle Insel des Archipels, hat nur eine einzige Trinkwasserquelle: Regenwasser. Die nur 1-2 Meter über dem Meeresniveau liegenden Atolle stauen keine Regenwolken auf, und im Gegensatz zu den regenreichen, bergigen Marquesas regnet es hier eher bescheiden und immer nur für ein paar Minuten. Wasser ist daher rar und kostbar.
Am dem Ozean zugewandten Ufer des Atolls türmen sich Berge von abgebrochenen Korallen. Die unermüdliche Brandung setzt ihr Werk fort und spült immer neue Brocken ans Ufer. Natalya packt eine besonders schönes Bruchstück ein, der fast nach einem Verbrechen aussieht. Wer würde schon glauben, dass so ein schönes großes Stück von alleine abgebrochen ist?
Charles Darwin war der Erste, der eine Theorie über die Entstehung der Atolle zustande brachte – und das bevor er tatsächlich auf einem Atoll angelandet ist. Demzufolge befanden sich im Zentrum der Atolle, an der Stelle der derzeitigen Lagunen, Vulkane. Ihre mineralreichen Hänge und das warme Wasser in Ufernähe begünstigen das Wachstum von Korallen. Ein Saumriff, wie nun auf den Gesellschaftsinseln vorhanden, entstand. Im Laufe der Zeit sank der Vulkan durch Erosion und Bodenabsenkung immer weiter ab. War der Prozess des Absinkens langsam genug, so wuchsen die Korallen nach und erhielten das Riff in der Nähe der Wasseroberfläche. Nachdem die letzten Vulkanreste von Wind und Wasser erodiert wurden, blieben an ihrer Stelle tiefe, von einem Riff umgebene Lagunen übrig. Da die Korallen kein Süßwasser vertragen, blieben an der ehemaligen Flussmündungen mehr oder weniger breite Aussparungen übrig, die heute noch als Schiffpässe dienen. Hinzu kommen Fluktuationen des Meeresspiegel durch Eiszeiten sowie Anhebungen des Ozeanbodens, die dann zu aus dem Wasser ragenden Korallanriffen als Basis für die Motus sorgten. Diese von Darwin ohne experimentelle Befunde aufgestellte Theorie wurde wohl in den letzten zwei Jahrhunderten durch Bohrungen, geologische Studien und andere Befundete bestätigt.
Der Ankerplatz vor dem Dorf ist nicht wirklich gut geschützt und es soll stärkerer Ostwind kommen. Mit 10 Meilen Fetch könnte das unangenehm werden. Daher verlegen wir nach zwei Tagen Aufenthalt in die äußerste östliche Ecke der Lagune und machen unsere ersten Erfahrungen mit Navigation zwischen den Korallenköpfen und kleinen Riffen, die das Innere der Lagune zu einem Minenfeld machen. Während Thomas das Boot steuert, steht Natalya im Bugkorb und hält Ausschau nach Hindernissen. Die größeren und ganz knapp unter Wasser liegenden Korallen stellen bei gutem Licht kein Problem dar. In ihrer Nähe schimmert das Wasser in leuchtenden Türkistönen. Am gefährlichsten sind die etwas tiefer liegenden kleinen Korallenköpfe. Man muss sich schon sehr konzentrieren, um die Unterschiede in der Wasserfarbe festzustellen. Versteckt sich die Sonne gerade hinter einer Wolke, fühlt Natalya sich blind, und kann nur darauf vertrauen, was sie schon in der Entfernung gesehen hat und hoffen, dass die Sonne bald wieder scheint.
Als wir uns unserem Ziel nähern wird das Wasser flacher. Es ist so klar, dass man das Gefühl dafür verliert, wie tief es hier ist. Natalya schreit von vorne: „Korallen überall!“ Thomas fährt vorsichtig vor, in der Hoffnung die auf dem Sandgrund reichlich verteilten Korallenköpfe per Echolot abmessen zu können. Doch sie erscheinen nicht auf dem Bildschirm. Das Gerät kann nur die Tiefe bis zum Sand abmessen, jedoch nicht die einzelne Korallenklumpen. Mit viel Gefühl und viel Gebrüll von Bug zum Heck und umgekehrt versuchen wir unser erstes Ankermanöver im flachen Korallenwasser. Wir fahren vorsichtig den Kreis ab, suchen einen möglichst großen freien Sandffleck und versuchen genau darauf unser Anker zu werfen. Anschließend schnorchelt Thomas noch zum Anker, um sicher zu stellen, dass er tatsächlich auf Sand liegt.
Damit ist es aber nicht getan. Wenn die Kette einfach nur am Grund liegt, dann besteht die Gefahr, dass sie sich bei Winddrehungen um Korallenköpfe wickelt. Das ist einerseits schädlich für die Korallen und andererseits ein Sicherheitsrisiko, da sich damit die freie Kettenlänge dramatisch verkürzen kann und mit etwas Welle ein Kettenbruch droht. Daher rät der Revierführer, die Kette mit angebundenen Fendern vom Boden frei zu halten. Wir versuchen das heute auch und binden zwei Fender bei 15 m und 30 m Kette an. Funktioniert einwandfrei. Die Kette schwebt mit etwas Abstand über dem Sandgrund und ist somit frei von den Korallen.
Die Bucht sieht idyllisch aus. Flaches, türkisfarbenes Wasser säumt einen ewig langen weißen Strand. Es dauert nicht lange bis die ersten Haie kommen. Wir wissen nicht, was sie sich davon versprechen, aber sie kreisen tagelang um die Outer Rim herum. Ab und zu kommen Schwärme von Nasendoktorfischen vorbei. Beim Schnorcheln entdecken wir einige Schiffshalter, die unter unserem Kiel hängen. Offensichtlich sind sie Allesfresser und freuen sich vor allem über die Reste von Brotteig, die beim Spülen ins Wasser geraten. Doch ganz geheuer ist ihnen das offenen Wasser nicht und sie verstecken sich schnell wieder unter dem Boot.
Wir steigen ins Dinghy und suchen eine passende Stelle zum Anlanden. Während die Kinder am Strand spielen, kämpfen Natalya und Thomas gegen die dichte Vegetation quer durch die Insel auf die Ozeanseite. Der dünne Vegetationsstreifen besteht zum großen Teil aus Kokospalmen. Auch hier leben die Einheimischen davon, dass sie aus Kokosnüssen gewonnene Kopra verkaufen. Schaut man genauer, findet man auch andere – im Gegensatz zur eingeschleppten Palme – hier ursprünglich heimische Pflanzen, die trotz des steinigen Bodens gut gedeihen.
Nicht weit des Ankerplatzes, an der Lufseite der Lagune brechen ordentliche Wellen in die Lagune ein. Dort gibt es kaum Land oberhalb der Wasserlinie, nur Sandbänke und Korallenriffe. Wir laufen in die Richtung so weit es möglich ist, um uns das Spiel der Wellen anzuschauen. Auf dem Rückweg entlang der Ozeanseite müssen wir leider entdecken, die ganze Idylle doch ihre Schattenseite hat, die durch moderne Zivilisation geprägt ist. Das ganze Ufer ist mit Plastikmüll und vor allem unterschiedlichen Plastikflaschen voll. Wie sauber musste doch die Welt ausgesehen haben, bevor man Plastik entdeckt hat … Unter anderem finden wir zwei Bojen, die wir statt der Fender für den Auftrieb unserer Ankerkette nutzen können und schleppen die schweren Teile zum Dinghy.
Wunderbarer Bericht, tolle Bilder..😊
Vielen Dank
Handbreit
Thorsten