(20.02.2017 – Tag 975 – 19.366 sm)
Nach unserem bewegten Ankerplatz auf Fatu Hiva erscheint uns das sanfte Schaukeln auf dem Weg nach Tahuata als willkommene Erholung. Normalerweise müssen wir vor jedem Ablegen das Boot seeklar machen: alle frei herumliegenden Sachen aufräumen, damit daraus keine herumfliegenden werden können, alle Schübe und Schränke sichern. Doch dieses mal können wir eher ausräumen, was wir am Ankerplatz wegen des wilden Geschaukels zusätzlich verstaut haben. Unterwegs können sich unsere Kinder wieder dem Schulunterricht widmen. Die letzten wilden Tage waren schulfrei. Wir werfen in einer breiten flachen Bucht im Südosten von Tahuata den Anker. Hier kommt so gut wie keine Welle an. Wir freuen uns riesig, dass wir die nächste Nacht wieder durchschlafen können.
Am Ufer stehen zwar einfache Holzbauten, die dem Trocknen von Kopra dienen, jedoch ist die Bucht nicht permanent bewohnt. Unsere Kinder gehen gerne zum Strand. Doch auch hier müssen sie im Wasser bleiben. Unzählige Sandfliegen krabbeln im Sand und warten auf die zarten Kinderbeine. Uns erscheint das stundenlange Baden zu langweilig und wir setzen uns doch am Rande des Sandes hin und basteln uns aus Treibholz und leeren Kokosnussschalen ein kleines Lagerfeuer. Was für ein Fehler! Weder Rauch noch Antimückenspray scheinen die Biester abschrecken zu können. Am nächsten Tag jucken die Stiche wie wahnsinnig. Die Lagerfeuerabende in Patagonien waren deutlich angenehmer.
Am nächsten Tag steigt Thomas auf den Hügel, um die Bucht von oben zu fotografieren. Ein Teil des Weges fährt er per Anhalter mit einem Insulaner, der gerade sein Kopra zu Verladestation fährt. Das getrocknete Fleisch der Kokosnuss ist für die Marquesianer oft die einzige Möglichkeit, in einem Selbstversorgerwirtschaftssystem an Geld zu kommen. Die Ernte erfordert einiges an körperlicher Arbeit. Zuerst müssen die Nüsse gesammelt werden. Auf dem hiesigen Boden schießen die Palmen in die Höhe, die Nüsse hängen in 20 Meter Höhe. Nachdem sie gespaltet und geschält wurden, werden sie 24 Stunden in einer Art Kohlenmeiler erhitzt. Dann wird die Nuss mit einem Machetenschlag geschickt geöffnet und das Fruchtfleisch herausgelöst. So gewonnenes Material wird zum Trocknen in der Sonne ausgebreitet.
Alle zwei Wochen kommt ein Schiff von Tahiti und sammelt die Koprasäcke ein. Der Einkauf erfolgt zu subventionierten Preisen. Bei den geringen Mengen, dem großen Aufwand und den verbundenen Umweltschäden fragt man sich schon, ob die Idee von Grundeinkommen doch nicht weniger schädlich wäre. Als wir selber eine Nuss öffnen wollen – so eine spitze Machete haben wir nicht und würden wir auf unserem Teak-Deck auch nicht einsetzen – dauert es über eine halbe Stunde, bis sie geschält und aufgebrochen ist… und eine weitere halbe Stunde, bis Natalya die Hälfte der Nuss mit einer Reibe zu Kokosraspeln verarbeitet hat. Nur gut, dass diese Arbeit nicht zu unseren alltäglichen Aufgaben gehört. Wir finden im Wald genug Papayas und Mango, die sich einfacher verzehren lassen.
Als wir einige Meilen in die nächste Bucht vor dem kleinen Ort Hapatoni verlegen, treffen wir auch das Versorgungsschiff. Unter laufender Maschine bleibt es in der Bucht ohne Anker zu werfen und wartet, bis alle Koprasäcke mittels eines kleinen Lastkahns, der zwischen dem Schiff und dem Peer hin und her fährt, verladen werden. Wir fahren mit dem Dinghy in den kleinen Hafen hinter dem Wellenbrecher, um das Dorf anzuschauen und in der Hoffnung Internet zu finden. Doch in diesem Dorf findet man nicht nur kein Internet, sondern auch keinen Laden und kein Trinkwasser. Eine Frau fragt uns, ob wir was brauchen. Vielleicht Fisch? Heute am Sonntag sicher nicht, und morgen früh? Vielleicht …
Vor einem Haus sehen wir ein paar Plastiktische stehen. Ein Restaurant? Doch es sieht nicht nach Essen aus. Als wir näher kommen, hören wir Zahlengemurmel auf Französisch. Sonntagnachmittag scheint für Spiele reserviert zu sein. Ein Dutzend Frauen gemischten Alters spielt bei Bingo mit. Zurück im kleinen Hafen beobachtet Arvid begeistert wie die Dorfkinder auf einer vermoosten Slipanlage aus Beton im Stehen mit Karacho auf nakten Füßen ins Wasser rutschen. Das sieht nach viel Spaß aus! Arvid versteht nicht, wie gefährlich der Spaß sein könnte. Als er feststellt, dass Mama ihm diesen Spaß nicht gönnt, bekommt er einen kleinen Wutanfall. „Nie darf ich rutschen!“