(17.02.2017 – Tag 972)
Ebenso wie die Galapagos-Inseln sind auch die Marquesas-Inseln vulkanischen Ursprungs, geschaffen durch einen Hotspot. Doch wenn man sich Geographie und Flora der beiden Inselgruppen ansieht, so könnten die Unterschiede kaum größer sein. Auf den Galapagos-Inseln sind große Lava-Felder zu sehen, Basaltbrocken überall unerodiert vorhanden und insbesondere die großen, flach ins Meer laufenden Schildvulkane klar erkennbar. Der Bewuchs ist karg und insbesondere an der Küste ehr spärlich. Die Marquesas-Inseln hingegen ragen steil aus dem Wasser empor, sind tief durchschnitten von Tälern, Felswände gehen teils senkrecht nach oben. Vulkankrater oder -kegel sind nicht sichtbar. Die Vegetation ist üppig grün, tropisch dicht. Kaum ein Fleck ist nicht bewachsen. Dazu kommt eine extrem niedrige Bevölkerungsdichte. Gut 9.000 Menschen verteilen sich auf sechs Inseln. Genau das richtige für uns, um auf ausgedehnte Entdeckungstouren zu gehen.
Fatu Hiva, im äußeren Südosten des Archipels gelegen und damit eine der jüngsten Inseln, hat seine 600 Einwohner auf zwei kleine Ortschaften verteilt. Die einzige Straße auf der Insel verbindet Hanavave, in dessen Bucht wir ankern, mit Omoa und führt über einen hohen Kamm. Von hier aus soll man einen guten Blick auf die tiefen Täler und schroffen Berghänge der Insel haben. Also wollen wir dorthin wandern. Lange und steile Wanderungen in praller Sonne sind für unsere Kleinen nichts. Daher geht Thomas mit Franka und Vsevolod los. Frisches Trinkwasser für die Wanderung gibt es am Wasserhahn im kleinen Hafen. Und schon laufen wir die schmale Straße entlang, aus Hanavave heraus und den Berg hinauf. Die Straße ist wohl gerade so steil, dass Vierrad-getriebene Fahrzeuge noch hochkommen.
Wir schnaufen jedenfalls recht schnell, und die heiße Sonnenstrahlung trägt dazu bei, dass sich die Wasserflaschen schnell leeren. Gut, dass am Straßenrand eine kleine Quelle erscheint. Inmitten des nett angelegten Beckens steht eine kleine Marienstatue. Im Wasser sehen wir kleine Flusskrebse. Wir erfrischen uns und weiter geht’s. Immer höher schlängelt sich die Straße, an jeder Biegung hat man neue tolle Ausblicke auf die Insel und die Buchten im Westen. Ab und zu ist auch die Outer Rim noch zu sehen. Irgendwann geht der Weg von Betonpiste auf eine Schlamm/Stein-Kombination über. Das Fortkommen wird deutlich mühsamer, tragen die Schuhe doch immer wieder Erdbrocken mit sich. Je höher wir kommen desto dünner wird die Vegetation. Bäume werden durch Gräser und niedrige Büsche abgelöst.
Schon recht weit oben am Berg hält ein Auto neben uns. Und es war in den 1,5 Stunden bis hierher das einzige Auto auf dieser Straße! Es ist eine Familie, die von Hanavave zum Einkaufen nach Omoa fährt. Angeblich gibt es dort ein etwas breiteres Warenangebot. Das ist auch leicht zu glauben, gibt es doch in Hanavave nur einen kleinen Krämerladen in einer Handvoll Artikel. Wir bekommen für eine kleine Strecke eine Mitfahrgelegenheit auf der Rücksitzbank. Omoa war ja nicht unser Ziel sondern eigentlich nur die Spitze des Passes, damit wir einen schönen Blick auf die Täler bekommen. Wir steigen also schnell wieder aus und laufen etwas abseits der Straße über eine Wiese. Oder eigentlich ist es keine Wiese sonder ehr mit kniehohen harten Büschen bewachsen. Jedenfalls kommen wir so näher an einen Aussichtspunkt. Wir genießen den Anblick den uns die fast im Halbkreis verlaufende Felswand uns bietet. Steil fällt sie ab, ist durchfurcht von vielen kleinen und großen Schluchten und oben abgeschlossen durch eine zackige Krone. Es lassen sich kleine Höhlen, Überhänge und Kanten erkennen. Alles, außer die steilsten Stellen, ist mit dichter grüner Vegetation bedeckt. Man hat das Gefühl, vor einer grünen Wand zu stehen.
Ein kleiner Trampelpfad ist vor uns erkennbar. Er führt in das vor uns liegende Tal hinein. Wir sehen auch den Wasserfall, den wir am Tag zuvor erwandert haben. Führt der Pfad vielleicht zum Wasserfall? Sollen wir lieber über die Wiese zurück zur Straße laufen oder uns auf ein Abenteuer einlassen? Der Pfad ist steil, abschüssig, schlammig nass und ohne ordentliche Vegetation zum Festhalten. Wenn wir den Weg gehen, dann gibt es wohl kein Zurück, oder jedenfalls nicht ohne größere Probleme. Wir diskutieren kurz, dann setzen wir uns auf den Hosenboden und schlittern den Pfad abwärts. Hie und da gibt es Wurzeln, an denen wir abbremsen können. Ab und zu halten wir uns an einem Ast fest, der aber dann wieder abbricht. Nach einigen Höhenmetern kommen wir in flacheres Gelände, wieder unter Bäumen und mit dichter Vegetation. Der weitere Verlauf des Pfades ist schnell gefunden. Hm, so richtig breit ist der Pfad aber nicht.
Es geht weiter. Jetzt stellt sich uns dichtes Gras und 2-3 Meter hohes Schilf in den Weg. Thomas geht voran und bahnt den beiden Kindern einen Weg. Und plötzlich ist der Pfad zu Ende. Mitten im Schilf ist nichts mehr erkennbar. Wir sondieren die Umgebung links, rechts, gehen etwas zurück, finden aber nichts. Dann kämpft sich Thomas etwas hangabwärts querfeldein und findet dort wieder Spuren eines Pfads. Wir laufen an einem kleinen Bach entlang immer weiter in das Tal hinab … bis plötzlich der Bach und damit der Weg an einer steilen Felskante aufhört. Wir sind auf Höhe des Wasserfalls, kommen aber sicher nicht nach unten. Ohne Klettergeschirr geht es nicht. Wie geht es weiter?
Erst mal erkunden wir eine kleine Felsspitze am Ende eines Grates 100 m weiter. Von dort haben wir einen tollen Blick nach unten und oben. Es wird klar, dass der Weg nach unten definitiv nicht möglich ist. Also nach oben. Zurück woher wir gekommen sind? Umkehren ist nicht so unser Ding. Es muss eine andere Möglichkeit geben. Vsevolod prüft die Lage und klettert auf den Grat. Der Hang ist steil, felsig und mit wenig Bewuchs zum Festhalten. Von oben kommt dann das Okay, dass wir hier vielleicht weiter nach oben laufen können. Also krabbelt Thomas auf allen Vieren den Kindern hinterher bis zum Rücken des Grats. Hier erlaubt die Vegetation ein Vorwärtskommen, wenngleich mühsam. Wir kämpfen uns durch die Büsche immer weiter nach oben. Erschwert wird das noch dadurch, dass die Keen-Sandalen von Thomas eingerissen sind. Damit ist kein ordentlicher Halt mehr auf dem Boden zu bekommen. Immer wieder rutschen die Füße weg. Mit einer Schlammschicht an den Füßen läuft es sich wie auf Eis. Weiter oben ist im Berghang ein Schatten im Gras erkennbar. Scheinbar bzw. hoffentlich verläuft dort ein Weg. Dieser verläuft recht horizontal entlang des Hangs und könnte uns zurück zur Straße bringen.
Irgendwann erreichen wir auch den vermeintlichen Weg und erkennen, dass der Weg wohl schon viele Jahre nicht genutzt wurde. Es ist klar eine Abflachung erkennbar, aber die Vegetation hat sich das Territorium zurückerobert. Büsche, die uns fast überragen, sind zu durchkämpfen. Immer wieder werden die Füße von Ästen und Gräsern festgehalten. Jeder Fußtritt will bewusst gesetzt werden. Rechts von uns fällt der Hang steil ab und geht mehrere 100 Meter in die Tiefe, zwar nicht senkrecht, aber doch beunruhigend steil. Immer wieder müssen wir uns an den Büschen festhalten, um nicht in die Tiefe zu rutschen. Nach einiger Zeit flacht der Hang ab und wir kommen dank niedrigerer Vegetation schneller voran. Wir sind ja schon dankbar, dass wir nicht klettern müssen. Zum Schluss wird es dann noch einmal sehr mühsam. Wir rutschen einen Hang nach unten und landen in 3-4 Meter hohem Schilf umrahmt von hohen Büschen. Aber auch dieses Hindernis ist irgendwann überwunden und mit letzter Kraft schliddern wir einen Erdhang zur Straße hinunter. Wir haben es geschafft! Hinter uns liegt eine aufregende Exkursion durch eine tolle Landschaft mit atemberaubenden Ausblicken. Sicher ein einmalig schöner Weg, der aber schwerlich zu empfehlen ist.
Auf der Straße geht es dann zügig zurück nach Hanavave. Ein Stopp an der Quelle erlaubt eine kurze Erfrischung. Und auf dem Weg finden wir noch ein paar Zitronenbäume und sammeln alle darunter liegenden Früchte auf. Das gibt wieder leckere Limonade an Bord!