(11.02.2017 – Tag 966)
Am Morgen nach unserer Ankunft auf der Marquesas Insel Hiva Oa freuen wir uns richtig, dass zum ersten Mal seit drei Wochen das Geschirr auf dem Tisch nicht mehr wandert und festgehalten werden muss. Nach dem Frühstück dürfen wir endlich an Land, das erste Mal seit drei Wochen. Um die Formalitäten zu erledigen, müssen wir zu Polizei. Leider liegt die Anlegestelle für unser Beiboot auf der „falschen“ Seite der Bucht. Um ins Dorf zu gelangen müssen wir zuerst einen drei Kilometer weiten Bogen laufen. Die Sonne brennt, es ist drückend heiß und schwül. Schon nach weniger als einer halbe Stunde ist unser Wasservorrat leer. Vor allem Arvid hat enormen Durst und will dauernd etwas trinken. Seine Beine wollen nicht mehr laufen. Natalya muss ihn einen Teil der Strecke tragen.
Von der Polizeistation sehen wir einen Polizeiwagen wegfahren. Als wir am Tor klingeln, meldet sich keiner. Scheinbar gibt es hier nur einen einzigen Polizisten, und er ist gerade weggefahren. So eine Enttäuschung. Sind wir die ganze Strecke umsonst gelaufen? Wir schauen in einen kleinen Supermarkt nebenan, um das Angebot zu eruieren. Wie es sich für Frankreich gehört, gibt es hier frisches Baguett zu kaufen. Die Grundnahrungsmittel, vor allem Dosen, sind zum Teil günstiger als in Ecuador. Dafür ist der Rest des Angebots um ein Vielfaches teurer als in Südamerika oder gar Europa. Eine Dose Bier für vier Euro, eine winzige Tüte Bonbon für fünf Euro, Kaffee für 20 Euro das Kilogramm, Limo für 4 Euro die Flasche. Die Kinder merken sich ein großes Glas Schokocreme zu noch verkraftbarem Preis vor – mit einem deutschen Etikett drauf. Nur mit frischem Gemüse sieht es nicht so gut aus.
Nach einiger Zeit kommt der Polizist wieder zurück. Wir passen ihn am Tor ab und dürfen in das Gendarmerie-Gebäude eintreten. Er prüft unsere Pässe, lässt uns ein verhältnismäßig kurzes, einseitiges Formular ausfüllen. Dann sind wir schon einklariert. Wie erwartet hat es keinen gestört, dass wir keinen Ausreisestempel aus Ecuador hatten. Da Französisch Polynesien zu Frankreich und damit der EU gehört, bekommen wir nicht mal einen Einreisestempel. So was sind wir gar nicht mehr gewohnt. Keiner fordert von uns einen festen Zeitplan mit der Angabe aller geplanten Ankerplätze. Was für ein Unterschied zu Südamerika…
Wider Erwarten sind in der Ankerbucht bei Atuona gar nicht so viele Boote. Viele sind hier schon seit Jahren und warten auf das Ende der Hurikansaison, um zu den Tuamotus zu segeln. Die Segler aus der Karibik kommen erst Wochen später. Wir haben genug Zeit um die Insel für uns in Ruhe zu entdecken.
In den nächsten Tagen machen wir unsere erste Bekanntschaft mit den Plagegeistern der so attraktiv aussehenden Stränden. Unsere Kinder überreden uns am Nachmittag zu einem Strandbesuch. Während sie vergnügt im warmen flachen Wasser planschen, genießen die Erwachsenen ihre Ruhe im Schatten der Kokospalmen … höchstens fünf Minuten lang. Danach fallen uns Schwärme kleiner, kaum sichtbarer Mücken auf, die auf uns herumkrabbeln. Natalya versucht sich ins flache Wasser zu setzen, doch die Sandfliegen folgen ihr. Das sind klitzekleine Blutsauger, und wie bei den gewöhnlichen Mosquitos sind nur die Weibchen bissig. Doch im Gegensatz zu den Mosquitos sind sie nicht unbedingt auf Blut angewiesen, um Eier legen zu können. Eine Blutmalzeit beschleunigt lediglich das Prozess. Ansonsten kommen die Tierchen auch mit Blütensaft zurecht. Am nächsten Tag jucken die Stiche ziemlich heftig. Natalya kann deswegen kaum schlafen. Nur die Kinder, die die ganze Zeit im Wasser verbracht haben, sind kaum betroffen.
Um die Insel zu erkunden mieten wir für einen Tag ein Auto aus und fahren damit auf der einzigen Straße quer über die Insel. Der größte Teil der Strecke führt durch einen saftig grünen Regenwald. In den oberen Höhenlagen beherrschen die majestätischen Schirmakazien die Landschaft. Diese schlanken, eleganten, feinblättrigen Bäume haben riesige lichte Kronen.
Das Wetter ist wechselhaft und wir geraten ab und zu in einen heftigen Regen. Doch der ist schnell vorbei, die Sonne scheint wieder. Auf der Ostseite der Inseln wollen wir Tikis – alte, zu zeremoniellen Zwecken genutzte Steinfiguren – anschauen. Wenn auch nicht so monumental wie die von der Osterinsel, sind es angeblich die besten und größten in Französisch Polynesien. Im Gegensatz zu vielen anderen Tikis stehen sie nicht tief versteckt im Wald sondern am Rande eines Dorfes. So haben wir keine große Mühe sie zu finden. Bei der Betrachtung der etwa 2,5 Meter hohen Steinkolosse fragt man sich schon, wie man auf die Idee gekommen ist, die wenigen hier vorhandenen Ressourcen in solch monumentale Steinarbeiten zu investieren.
Wer sich französisch Polynesien als ein friedliches Paradies der Liebe und Harmonie vorstellt, so etwa wie auf den Traumweltbildern von Paul Gaugin, darf sich bei näherer Betrachtung von den Illusionen befreien. Obwohl die Inseln schon Ende der 16. Jahrhunderts entdeckt wurden, dauerte es mehrere Jahrhunderte bis zur erfolgreichen Kolonisierung. Der kriegerische Geist der Polynesier machte jeden Versuch die „Wilden“ in braven Untertanen zu verwandeln zunichte. Außer hart gesottene Walfänger und entlaufene Matrosen wollte kaum jemand Gefahr laufen, bei den Kannibalen als Mahlzeit zu landen.
Auch der Umgang der Insulaner miteinader war wohl kaum von Liebe und Harmonie geprägt. Einzelne Stämme lebten verhältnismäßig isoliert in den kleinen Dörfern und trafen sich gelegentlich zu einem kleinen Gemetzel, um frische rituelle Opfer zu beschaffen. Steinkolosse mögen ja beeindruckend sein, man bekommt aber ein flaues Gefühl im Magen beim Versuch sich vorzustellen, was auf diesen rituellen Plätzen abgelaufen ist.
Die Inseln scheinen unglaublich fruchtbar zu sein. Obwohl die Inseln verhältnismäßig jung sind, gibt es kein unberührtes Lavagestein wie auf den Galapagos. Die Erde hat eine meterdicke Humusschicht. Es scheint hier alles zu wachsen, und zwar größer, saftiger und süßer als woanders auf der Welt. Wir pflücken von einem Baum am Rande des rituellen Platzes zwei Pampelmusen, jede so groß wie ein Handball. Im Gegensatz zu uns bekannten Pampelmusen sind sie überhaupt nicht bitter, sondern süß und saftig. Als wir durch einen Wald spazieren gehen, müssen wir auf die Kokospalmen acht geben. Links und rechts des Weges liegen alte Kokosnüsse. Vor allem junge grüne Nüsse sind ziemlich schwer. Und eine solche möchte man dann nicht auf dem Kopf bekommen. Leider wurde der ursprüngliche Urwald stark durch die Menschen verändert. Vor allem der Anbau von Kokospalmen hat viele einheimische Pflanzen verdrängt.
Auf dem Rückweg geraten wir mehrmals in heftigen Regen. Thomas kämpft gegen die kleine, gewundene, mit unzähligen Löchern voll gespickte Schotter-/Schlammpiste. Währenddessen bewundern wir die Landschaft. Auf der Straße jede Woche zum Einkaufen nach Atuona zu fahren, ist sicherlich ein (Alb)Traum jeder Hausfrau. Nach dem Regen ist die Sicht besonders klar. Unsere Jungs möchten unbedingt auf einem verlassenen Grader spielen, der auf einer Bergkuppe steht. Währenddessen bewurdern wir die Landschaft. Rechts und links von uns liegen zwei malerische Buchten. Die Sonne lässt die an den Felsen brechenden Wellen in fantastischen Farben aufleuchten. Bei ruhigem Wetter ist das sicher ein spektakulärer Ankerplatz. Aber heute donnert Schwell aus Nord ungehindert hinein.
Wir unternehmen den Versuch, alte, im Lonely-Planet erwähnte Petroglyphen zu finden. Unsere Karte zeigt zwei Abzweigungen von der Hauptstraße. Wir entscheiden uns für die zweite, da die erste zwei Kilometer vor dem Ort zu enden scheint. Ein Fehler! Die zweite gibt es gar nicht. Wir fahren an der vermutlichen Stelle vorbei, drehen um, probieren noch mal. Keine Spur einer Abzweigung! Ein späterer Blick auf das Satellitenbild zeigt, dass die Karte ein Phantasieprodukt ist.
Der Versuch, Reste einer alten Siedlung hinter Atuona zu finden, fällt erfolgreicher aus. Eigentlich wissen wir gar nicht recht, wonach wir suchen. Unser Reiseführer spricht von mehr als tausend Paepae, die unbedingt besichtigt werden müssen. Doch was ein Paepae ist, wird einem nicht erklärt. Ist doch selbstverständlich, oder? Nach wenigen Kilometern auf einer engen Waldpiste halten wir an einer alten Mauer. Ein Schild für uns Touristen beschreibt ziemlich genau, was man sich wo unter den mehr oder weniger losen Anhäufungen von schwarzen Steinen vorstellen soll. Ein Bereich fürs Tanzen, ein Wohnort des Häuptlings, der obligatorische Opferplatz. Letzerer ist mit einem Tiki im hinteren Teil des Areals, ziemlich weit im Wald versteckt.
Nach der Besichtigung beschäftigen sich Natalya und Franka mit Sammeln von Papayas. Die Bäume wachsen freunlicherweiser direkt an den alten Mauern, so dass man leicht an die Früchte kommt. Auch ein paar extra scharfe rote Chilis aus dem Wald werden für die Küche eingepackt.
Am frühen Abend kommen wir zurück zur Outer Rim. Es gibt auf der Insel keinen Platz mehr, zu dem wir mit dem Auto noch hätten fahren können. Eine kleine Welt.
Hallo Leute,
Schön, dass ihr gut angekommen seid😊.
Sonnige Grüße aus Griechenland
Thorsten