(06.02.2017 – Tag 961 – 19.270 sm )
Anfang des Jahres ist im Gebiet der Galapagos-Inseln die Zeit der Flauten. Schon seit Tagen bewegt sich die Luft kaum, und der heutige Tag ist keine Ausnahme. Lautlos gleitet die Outer Rim an der Südküste von Isabela vorbei, der bereits untergegangenen Sonne entgegen. Unsere 3.000 Meilen lange Reise Richtung Westen beginnt.
Nie zuvor haben wir auf einem Ozean ein so ruhiges Meer erlebt. Nicht nur die Windwelle ist weg, selbst der Schwell ist verschwunden. Das Wasser ist glatt wie ein Teich bei Windstille. Nach Sonnenuntergang ist auch der letzte thermische Wind weg, so dass wir für einige Stunden den Motor anschalten müssen. Nach 50 Meilen Motorlärms erbarmt sich der Wettergott und schickt uns einen feinen Hauch vom Wind. Bei diesem Hauch bleibt es die nächsten Tage. Wir können Halbwind segeln und fahren mit 3,5 Knoten die mitziehende Strömung mitgerechnet und erinnern uns an die Aussage von Jimmy Cornell in seinem Buch „Segelrouten der Welt“: „Die langsamsten Überfahrten werden zu Beginn des Jahres verzeichnet“. Genau, das ist ja jetzt!
Haben wir auf den Galapagos schon leicht geschwitzt, so wird es unterwegs richtig heiß. Je weiter wir nach Westen vordringen, desto wärmer wird das Wasser. Die Sonne brennt erbarmungslos vom Himmel, keine Wolken weit und breit. Wir spannen Betttücher im Cockpit auf, damit die Sonne draußen bleibt.
In der Nacht leuchten am wolkenlosen Himmel die Sterne. In den früheren Nachtstunden sind zwei Planeten übereinander deutlich zu sehen: Leicht rötlich der Mars und fast blendend hell die Venus. Sie werden uns die ganzen drei Wochen begleiten. Häufig segeln wir zu Beginn der mondlosen Nächte in die Leuchtspur der Venus auf dem Wasser hinein. Auch die Milchstraße ist gestochen scharf zu sehen. Unsere Kinder werden zu begeisterten Himmelbeobachtern. Da sie keine bekannten Sternbilder finden, erfinden sie selber welche.
Etwa 600 Meilen von den Galapagos entfernt sorgt ein Hubschrauber für Abwechslung. Von weitem ist das dröhnende Rotorengeräusch schon zu hören. Er hält direkt auf uns zu. Das wird doch wohl nicht etwa die ecuadorianische Immigration-Behörde sein, die jetzt ihren Ausreisestempel in unseren Pass setzen will? Wir sind auf internationalen Gewässern, also kann uns eigentlich nichts passieren. Aber die Sorge ist auch nicht berechtigt. Die rote, schnuckelige, nagelneu wirkende Maschine geht fast bis auf Meereshöhe herunter, dreht mehrere Kreise um uns und bleibt neben uns in der Luft hängen. Kein Funkspruch, keine Gesten. Was macht der denn hier mitten im großen weiten Nichts? Grenzschutz? Drogensuche? Militär? Kein Schiff weit und breit zu sehen. Unwahrscheinlich dass der Tank des Helikopters von den Inseln bis hierher reicht.
Der Pilot winkt den auf dem Achterdeck hüpfenden Kindern und fliegt wieder weg. Doch der Abschied ist nicht endgültig. Ein paar Stunden später kommt der gleiche Hubschrauber wieder direkt auf uns zu, und das Spektakel wiederholt sich. Wir packen unsere Video-Kamera aus und filmen wie der Pilot ganz tief runter geht und dann seitwärts driftend den Kindern bzw. uns allen eine kleine Flugshow bietet. Dann winken die drei Insassen uns noch zu, lächeln und rasen zurück von wo sie gekommen sind. Wieder kein Funkspruch, kein Anzeichen darauf, was der Zweck des Besuchs ist. Dieses Mal können wir die am Heck aufgemalte ecuadorianische Flagge erkennen. Wir kann denn so ein armes Land sich so einen Hubschrauber mehr als Tausend Kilometer weg von der Küste leisten? Das wird wohl ein Rätsel bleiben.
Haben wir uns die ersten Tage langsam bewegt, so bleiben wir am Tag 6 fast ganz stehen. Der Wind ist so gut wie weg. Für die nächsten zwei Tage ist eine ausgedehnte Flaute vorhergesagt. Wir sind resistent und wollen keinen Motor anschalten. Das bringt eh nichts, da es für hunderte von Meilen keinen Wind gibt. Dem Wind hinterherfahren ist also nicht möglich. Die Segel bleiben stehen, zwei Vorsegel in Vorwindstellung ausgebaumt. Ab und zu „frischt“ der Wind auf 3-4 Knoten auf und bringt wenigstens etwas Fahrt. Man erlebt am eigenen Leib, wie der Stille Ozean zu seinem Namen gekommen ist. Zum Glück ist die Strömung günstig und schiebt uns weiter nach Westen. Das wäre ja reichlich frustrierend, wenn wir die mühsam gewonnenen Meilen wieder hätten abgeben müssen.
Nach zwei Tagen des Herumdümpelns versteht man auch, wie Magellan dazu gekommen ist, seine ledernen Takelageteile aufessen zu müssen. Wir haben zwar mehr Proviant als sein Schiff, aber unser Wasser dank des streikenden Wassermachers muss rationiert werden. Strenge Sparmaßnahmen sind angesagt. Die Wasserhähne werden zugeklebt, damit aus Versehen keiner offen gelassen wird. Wasser kann nur unter Betätigung der Fußpumpe in der Küche geholt werden. Duschen und Waschen fallen aus bzw. werden auf Salzwasser an Deck umgestellt. Es ist gut zu wissen, dass wir bessere Seekarten haben als Magellan und nicht erst in Micronesien auf Land stoßen werden.
Bei der Flaute ist das Wasser so ruhig, dass wir einen Einblick in die Tiefe des Ozeans gewinnen können. Zarte durchsichtige Wesen schweben an uns vorbei. Manche sind richtig lang, auch einige Quallen sind dabei. In der Nacht erblickt Thomas im Fahrwasser ein hell grün leuchtendes Ufo, so groß wie ein Suppenteller.
Endlich kommt am nächsten Morgen etwas Wind, dass wir wieder Segel setzen können. Wir segeln Raum mit bis zu 7 Knoten, was für eine Rauschefahrt im Vergleich zu den letzten Tagen. Thomas feiert heute Geburtstag. Die Kinder haben Geschenke vorbereitet, Natalya einen Kuchen gebacken: den ersten auf hoher See. Pünktlich zum Anschneiden des Kuchens taucht keine zehn Meter entfernt eine große schwarze Rückenflosse auf: gefühlt einen halben Meter hoch. Natalya schreit zuerst: „Haie!“ Doch das Meer hat Thomas ein sehr viel selteneres Geschenk geschickt. Es sind kleine Schwertwale, die Verwandten der Orca. Ein Wal kommt so nah, dass wir ihm beim Schwimmen unter Wasser zuschauen können. Einige der Tiere springen vollständig aus dem Wasser. Klar sind ihre abgerundeten Köpfe erkennbar.
Die nächsten Tagen bleibt es bei wenig Wind und meditativen Geschwindigkeit von 3-4 Knoten. Thomas geht in der Nacht trotzdem Wache. Andere uns bekannte Segler schlafen einfach durch und vertrauen auf die Unwahrscheinlichkeit einer Kollision … dann müssten ja beide Kollisionspartner schlafen. Aber wer glaubt, man sei hier draußen, abseits der üblichen Schiffsrouten und so weit von der Küste entfernt ganz alleine, der täscht sich. Fast jeden Tag registriert unsere Technik ein Radar- oder AIS-Signal von anderen Schiffen. Einmal hatten wir drei große Fischer in der Nähe. Ein Frachter passiert uns sogar in 3 Meilen Entfernung.
Auch wenn wir so weit von jedem Land entfernt sind, bekommen wir immer wieder Vögel zu sehen. So fällt auch der Mythos, dass man den Vögeln auf der Suche nach Land folgen solle. Eine Zeitlang begleiten uns einige Tölpeln und drehen Kreise über uns. Wahrscheinlich sind sie unzufrieden und verstehen die Welt nicht. Warum haben wir vorne zwei Dinge, die wie ausgebaumtes Fischereigeschirr aussehen, aber kein einziges kleines Fischchen?
Der Wind frischt auf. Hat Natalya in den Nächten vorher nicht schlafen können, weil die Segeln ohne Wind geschlagen haben, kommt sie jetzt nicht zur Ruhe, weil sich die bis zu 10 Knoten schnelle Fahrt im Schafzimmer sich wie ein Raketenflug anfühlt. Hinten am Heck, nah an die Wasserlinie, hört man deutlich, wenn das Boot ins Gleiten gekommen ist. Aber das Vergnügen ist von kurzer Dauer. Ein Tag mit gutem Wind muss reichen … für die ganze Überfahrt.
Pünktlich zum Bergfest stirbt der Wassermacher endgültig. Das produzierte Wasser ist nicht mehr als Trinkwasser genießbar. Bisher hatten wir noch 10-20 Liter pro Tag aus den Membranen quetschen können. Jetzt schickt die Automatik das produzierte Wasser direkt wieder ins Meer. Wir koppeln die Automatik ab und füllen das leicht salzige Wasser in alle vorhandenen Töpfe und Schüsseln. Kleine Membranstücke schwimmen im Wasser, scheinbar zersetzen sich die Membrane. Zum Kochen, Kaffeekochen und Brotbacken ist es noch brauchbar. Wir lassen uns die Stimmung nicht vermiesen und feiern am Abend trotzdem. Wir sind genau mitten im Nichts – 1.500 sm vom Land entfernt. Egal in welche Richtung man schaut, das Land ist unglaublich weit weg. Am Abend, kurz vor Sonnenuntergang kommen Delfine und springen hoch in die Luft. Feiern sie mit uns?
In der Nacht kommt eine Wetterfront und begießt uns mit einem sintflutartigen Regenschauer. Es dauert keine fünf Sekunden bis Thomas komplett durchnässt ist. Selbst durch geschlossene und verriegelte Fenster dringt Wasser ins Boot ein. Doch der Spuk ist bald vorbei, genauso wie der Wind. Uns bleibt nur eine aufgewühlte See. Die Wellen spielen mit einem dreißig Tonnen schweren Boot wie mit einem Gummiball. Es wird hin und her geworfen. In der Küche klirrt es, alles was nicht niet- und nagelfest ist, wandert. Das Segel muss weg, zu stark wäre die Beanspruchung durch Schlagen. Wer schlafen will, muss seine Matratze festhalten. Nur die Kinder lassen sich nicht ärgern und schlafen durch und verstehen nicht, warum die Eltern früh am Morgen so hundemüde wirken.
Eine Woche vor dem Ziel ist endlich wieder akzeptabler Wind. Bis jetzt haben wir nicht wirklich mitbekommen, dass wir uns in einem Passatgebiet befinden. Doch ab heute weht der Wind ausreichend stark und stabil. Wir fahren mit um die 7 Knoten. Am Himmel erscheinen typische Passatwolken: kleine, zahme Schäfchen. Ab und zu werden sie durch die ein oder andere Cumulus-Wolke bedroht. Doch große Gewitter bleiben aus. Nur ab und zu können wir in der Nacht ein sehr entferntes Flackern am Horizont sehen.
Jeden Tag wird das Tagesetmal und die restliche Strecke gerechnet. Jetzt bleiben „nur“ noch 1000 Meilen. Wir sind schon fast da! Wie sehr sich doch bei so langen Passagen die Relationen verschieben. Doch wir wissen, dass auf den letzten Meilen die Winde wieder schwächer werden. Unsere Genua hat unter den schwachen Winden am meisten gelitten. Haben wir in Brasilien die Schäden reparieren müssen, die ein heftiger, 70 Knoten starker Pampero angerichtet hat, müssen wir dieses Mal uns mit den Schäden abfinden, die ein 7 Knoten starker Passatwind verursacht hat. Seitlich kommende Wellen lassen die Outer Rim immer wieder ins Schaukeln kommen. Ist der Winddruck dann weg, fällt das Segel ein und kommt dann mit Auftauchen aus dem Wellental mit einem Knall wieder straff. Wir haben schon die Schot soweit wie möglich dicht geholt, können das Schlagen aber nicht ganz vermeiden. Deswegen ist ein Teil des Unterlicks an der Genua aufgerissen. Natalya und Thomas versuchen im Dunkeln die Schäden zu reparieren, aber die Reparatur hält keine fünf Minuten. Das Segel auf hoher See abnehmen und per Hand flicken ist keine Option. Wohl oder übel bleibt uns nichts anderes übrig, als mit dem Schaden bis zu den Marquesas zu segeln.
Die Winde auf dem letzten Teil der Strecke sind besser als erwartet. Fast bis zum Ende können wir segeln. Der Motor wird erst für die letzten 20 Meilen angeworfen, damit wir Atuona auf Hiva Oa vor Dunkelheit erreichen können. Wir fahren an der Südküste der Insel entlang, vorbei an schroffen Tälern und grünen Hügeln. Nach drei Wochen in denen wir hauptsächlich blau gesehen haben wirkt das Grün der Insel sicher noch um Größenordnungen saftiger und attraktiver als es eh schon ist. Die tief stehende Sonne tränkt alles mit warmem Licht, kaum eine Wolke ist zu sehen. Mit den letzten Sonnenstrahlen laufen wir ein. Es ist schon so düster, dass wir uns nicht ins Ankerfeld hinein trauen, sondern draußen bleiben. Das Schaukeln sind wir ja gewohnt. Die Luft riecht unglaublich stark nach süßen Blumen. Später kommt noch der Duft des Kokosfeuers dazu. Unsere bis jetzt längste Segelreise ist zu Ende. Nach drei Wochen auf See darf Thomas heute zum ersten Mal wieder durchschlafen.
Und hier noch ein paar Daten für Statisik-Fans: Geplant hatten wir eine Strecke von 2.918 sm, zurückgelegt haben wir insgesamt 2.966 sm. Unterwegs waren wir 21 Tage, 3 Stunden und 54 Minuten. Das ergibt eine Durchschnittsgeschwindigkeit von gut 5,8 Knoten. Der Motor lief nur 12 Stunden bzw. 78 Meilen, worauf wir besonders stolz sind. Als Route haben wir uns einen etwas nördlicheren Bogen als die direkte Strecke ausgewählt und sind zuerst fast 270° West gesegelt. Im Vergleich zu fast zeitgleich ablegenden und südlicher segelnden Freunden hat sich diese Routenwahl wohl ausgezeichnet.
Wieder mal grandios beschrieben. Lasst es Euch gut gehen in der EU ;-)!!!! Liebe Grüße aus Stralsund Steffen und Christine
Liebe Grüße zurück! Und eine gute Saison mit der Ahab wünschen wir.
Wow..herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag…nachträglich…
…ich hab soo lang auf den Blogeintrag gewartet…wuhuu…
…yo, ich freu mich einfach nur mit euch…
…😊😊