(18.12.2016 – Tag 911)
Wir gewöhnen uns an die Gesellschaft der Seelöwen. Sie fühlen sich auf unserem Boot auch recht wohl. Gerne ruhen sich die Tiere auf unserer Hecktreppe und auf dem Achterdeck aus. Von der Achterkabine aus hören wir dann in der Nacht angestrengtes Schnaufen und bellenden Husten direkt neben oder über unseren Betten. Nur gut dass sie im Schlaf nicht schnarchen. Was bringt die Tiere überhaupt auf die Idee, auf dem Boot schlafen zu wollen? Es ist ja nicht so, dass am Ufer Schlafplatzmangel herrscht.
Manche Tiere sind so frech, dass sie fast ins Cockpit klettern. Nachdem ein nicht ganz stubenreines Seelöwenjunges unsere ganze Badeplattform als Toilette benutzt hat und sich auch die Kinder nicht ganz wohl fühlen angesichts der teils fauchend gezeigten spitzen Zähne, reichen die großen Glubschaugen nicht mehr als Entschuldigung für die Ruhestörung an Bord. Ab jetzt werden die zum Wasser führenden Stufen mit Fendern und Leinen so verbarrikadiert, dass kein Durchkommen mehr möglich ist. Kurzbeinige Freunde haben ab sofort keinen Zutritt mehr.
Nach Süden führt eine Straße aus Baquerizo Moreno heraus zu einer kleinen Bucht names La Loberia. Während unsere Kinder dort am Strand im feinen weißen Sand spielen, klettern wir über die scharfkantigen, schwarzen Lavasteine am Ufer auf der Suche nach Tieren. Nicht weit vom Wasser liegen große Meerechsen. Sie scheren sich nicht um uns Menschen. Energie fürs Wegrennen zu verbrauchen wäre eine Verschwendung. Die brauchen sie eher um im relativ kaltem Wasser Nahrung zu suchen. Bei Niedrigwasser können wir sie beim Fressen des Seegrases in der Brandung beobachten. Doch nicht nur diese Leguane sind so zutraulich. Selbst ein sonst so scheuer Vogel wie ein Fischreiher lässt uns ganz nah an sich anschleichen. Wobei Schleichen überhaupt nicht nötig wäre. Der elegante graue Vogel kümmert sich ausschließlich um sein Abendessen. Zwei Schritte von ihm entfernt können wir reden und mit der Kamera knipsen solange wir wollen. Das scheint ihn alles nicht im geringsten zu stören. Anschließend gehen Thomas und Vsevolod schnorcheln und sichten mehrere Schildkröten und Rochen.
Der Strand am Punta Carola, den Arvid wegen des samtweichen, tiefen Sandes so ins Herz geschlossen hat, erweist sich als eine Fundgrube an Meeresschildkröten. An den flacheren Stellen, dort wo die Wellen brechen, grasen sie unter Wasser die Steine ab. Bei ruhigem Wetter kommen wir ganz nah an die Tiere. Als sie an uns vorbeiziehen, schwimmen wir ihnen hinterher. Diese am Land so unbeholfen und ungelenk wirkenden Tiere gleiten geräuschlos und elegant durchs Wasser. Nicht mal Thomas mit seinen großen Flossen kann bei der Geschwindigkeit lange mithalten.
Franka hat Glück und sichtet einen großen Rochen. Mit leuchtenden Augen erzählt sie, dass diese majestätischen Tiere durchs Wasser fliegen wie die Vögel durch die Luft. Auf dem Weg zum Ufer kommen uns einige große Papageienfische entgegen und viele kleinere tropisch bunt wirkenden Arten, die wir nicht kennen. Die Seelöwenkolonie erlebt einen Babyboom. Frisch geschlüpfte Säuglinge, kaum größer als eine Katze liegen bei ihren Müttern. Während die Mütter auf die Jagd gehen, scharen sich die ganz jungen in kleinen Gruppen zusammen. Manche rufen laut nach der Mutter. Ganz verzweifelte gehen auf die Suche und fragen bei jedem Weibchen nach. Doch nur das eigene Kind wird gestillt. Fremde Babys werden höflich abgewiesen oder grob angeschnauzt.
Ganz besonders eindrücklich sind unsere Schorchelgänge mit Seelöwen. Meist beachten Sie die um sie schwimmenden Menschen gar nicht. Manchmal hat man Glück und ein Seelöwe ist zum Spielen aufgelegt. Dann tollen die Tiere um einen herum, schwimmen weg und wieder her, machen Saltos und Kunststücke im Wasser. Ein besonders übermutiger Seelöwe macht sich sogar einen Spaß daraus, immer wieder auf uns zuzuschwimmen und nach uns zu schnappen, jedoch immer eine Handbreit Abstand zu halten. Auch Arvid schnallt da seine Flossen an und schwimmt mit dem recht großen Tier.
Natalya ist mit ihren Flossen nicht zufrieden und wünscht sich vom Christkind ein neues Paar. Um sicher zu gehen, dass das Christkind sie in der richtigen Größe bringt, gehen wir in einen Taucherladen zur Anprobe. An der Stelle kommen wir dann auf die Idee, warum nicht gleich einen Tauchkurs buchen? Der Anfängerkurs dauert nur drei Tage und ist an die lokale Umgebung angepasst. Die ersten zwei Tauchgänge absolvieren wir im Schwimmingpool, der vielleicht gerade mal 15 Quadratmeter groß ist und weniger als 1,5 Meter tief ist. Wie übt man da kontrolliertes Auftauchen aus der Tiefe? Man schwimmt von einer Wand zur anderen und stellt sich das eigentliche Auftauchen vor.
Beim ersten freien Tauchgang dürfen wir am Pier für die Versorgungsschiffe tauchen. Das ist schon realistischer. Thomas, der viel Erfahrung mit Schnorcheln hat, bekommt alle Übungen problemlos hin. Natalya dagegen muss sich abmühen. Bei dem Versuch die Maske in 8 Meter Tiefe aus- und wieder anzuziehen, atmet sie Wasser ein und schwimmt panisch nach oben. Unseren Tauchlehrer bringt nichts aus der Ruhe. Nachdem er Natalya wieder beruhigt hat, tauchen wir wieder unter, um die Übungen vorzusetzen. Morgen müssen wir sie in 18 Metern Tiefe wiederholen, da ist panisches Auftauchen nicht mehr angesagt. Während des Übens hocken wir fast bewegungslos am Grund. Die untere Wasserschicht ist so kalt, dass Natalya nach einer Weile friert und zittert, trotz der zwei übereinander angezogenen Neoprenanzüge. Leider müssen wir daher früher auftauchen als erhofft.
Am dritten Tag dürfen wir endlich an einem Ort tauchen, an dem man wirklich was sehen kann. Es kostet Überwindung, zum ersten Mal in voller Montur von Rand des Tauchboots eine Rolle rückwärts zu machen. Nach einem kurzen Übungsprogramm dürfen wir die Umgebung erkunden. Unser Tauchlehrer zeigt uns einen in seiner Höhle schlafenden Octopus. Thomas entdeckt am Grund einen ungewöhnlichen, sehr urtümlich wirkenden Fisch, einen Batfish. Viele bunte Fische schwimmen um uns herum. Manche haben wir schon beim Schnorcheln gesehen, andere sind neu für uns. Heute kommen wir jedoch viel näher an sie heran und schwimmen einige Zeit mitten in einem Schwarm, ohne dass die Fische sich gestört fühlen.
Beim zweiten Tauchgang dürfen wir an einem Wrack eines vor mehr als hundert Jahren versunkenen Dampfschiff tauchen. Für ein tropisches Korallenriff ist das Wasser hier zu kalt. Daher suchen die Fische gern Schutz bei den Überresten des Dampfers und tümmeln sich in großen Mengen herum. Dieses Mal müssen wir nichts mehr zur Übung die Brille extra voll mit Wasser laufen lassen oder absichtlich das Atemgerät verlieren. Auch das Wasser ist heute bei ausreichenden Bewegung nicht mehr so kalt. Die neue Perspektive ist überwältigend. Selten sieht man im Leben als Erwachsener so was derart Neues – eine fremde Welt. Einem ist sehr wohl bewusst, hier nur ein Gast zu sein – so lange der Luft in der Flasche reicht.