(19.12.2016 – Tag 912)
Wir sind schon seit Wochen auf San Cristobal und haben immer noch keine einzige Landschildkröte gesehen. Leider liegen sie nicht in den Straßen herum wie die Seelöwen und die Echsen. Seit der Entdeckung der Inseln landeten Zehntausende Riesenschildkröten in der Suppe von Piraten und Walfängern. Was die wenig zivilisierten Räuber übrig gelassen haben, nahmen später Pseudowissenschaftler mit, unter dem Vorwand die akut bedrohten Arten so vor dem Aussterben zu schützen und ihr Überleben in der Gefangenschaft zu sichern. So wurden alle auf den Galapagos Inseln endemischen Schildkröten entweder ausgerottet oder an den Rand des Aussterbens gebracht. Prominentes Beispiel dafür ist bzw. war „Lonesome George“, dem letzten Exemplar der Pinta Schildkröte. Nachdem zahllose Paarungsversuche mit verwandten Arten fehlschlugen verstarb das einsame Tier.
Seit dem Ende des letzten Jahrhundert versuchen extra dafür eingerichteten Zuchtstationen die Riesenschildkröten durch systematische Aufzucht mit anschließender Auswilderung der auf der Station groß gezogenen Tiere zu retten. Im Norden der Insel San Cristobal gibt es zum Glück noch eine intakte Schildkrötenpopulation. Doch leider bietet keiner der Agenturen einen Tour dorthin. Man müsste eh 2 Stunden mit dem Boot dorthin fahren, da es nur im Süden der Insel überhaupt eine Straße gibt. Mangels Alternativen steigen wir daher ins Taxi und fahren auf der einzigen Landstraße der Insel etwas außerhalb von Baquerizo Moreno, um die dortige Zuchtstation zu besichtigen.
Wir erwischen einen recht netten und kompetenten Taxifahrer, der zugleich als Guide taugt und uns viel über die Tiere erzählt. Gleich am Eingang der Station will eine riesige Schildkröte den Fußweg überqueren. Sie wartet auf einen passenden Augenblick, macht mutig ein paar Schritte. Als sie einen sich nähenden Touristen hört, bleibt sie sofort stehen, zieht den Kopf ein und versteckt sich in ihrem Panzer. Gleichzeitig mit uns ist eine chinesische Reisegruppe unterwegs, da kann ja die Überquerung des Weges lange dauern. Jeder der Chinesen will möglichst nah an der Schildkröte fotografiert werden … aber auch wir machen natürlich ein Gruppenbild mit Schildkröte.
Die Bedingungen an der Station sind möglich nah an die natürlichen Bedingungen angepasst. Es gibt keine Barriere zwischen Schildkröten und Menschen. Die Tiere dürfen sich überall bewegen. Nur die Menschen sollen die vorgeschriebenen Wege nicht verlassen. Hier und da entdecken wir im Dickicht der trockenen Bäume und Sträucher riesige Exemplare dieser bis zu 300 kg schweren Tiere. Sie bewegen sich langsam, wie in Zeitlupe. Doch wozu die Eile? Zeit haben sie ja genug. Die ersten 8 Monate ihres Lebens verbringen sie unter der Erde vergraben in einem Ei, das etwa doppelt so groß ist wie ein Hühnerei und ungefähr 100 Gram wiegt.
Die frisch geschlüpften Jungen können bis zu einem Monat unter der Erde ohne Futter und Wasser ausharren, bevor sie es schaffen, sich aus ihrem unterirdischen Nest frei zu graben. Klingt hart? Doch in mancher Hinsicht sind sie ganz empfindlich. Wenn die Parkranger die Eier ausgraben, um sie in einem Brutkasten auszubrüten, müssen sie die Eier im Brutkasten genauso hinlegen, wie sie im Nest gelegen haben. Machen sie einen Fehler, stirbt das Küken im Ei. Einige der defekten Eier dürfen wir in die Hand nehmen. Sie fühlen sich seltsam an. In der Schule haben wir im Biologieunterricht gelernt Reptilieneier seien weich. Doch diese hier scheinen außerordentlich hart zu sein. Sie fühlen sich auch eher schwer und kompakt an.
Damit die Schildkröten auf natürliche Weise aufwachsen, werden sie auch auf der Station die ersten 30 Tage ohne Wasser und Futter in einem dunklen Raum gehalten. Danach kommen sie als Schutz vor Räubern in vergitterte Boxen. Wir wundern uns, wie langsam sie wachsen. Im ersten Kasten tippen wir auf ein Alter von wenigen Wochen. Doch unser Fahrer/Guide erklärt, diese kaum 10 cm langen Tiere sind schon ein Jahr alt.
Leider sind sie unter den jetztigen Bedingungen in der freien Natur nicht überlebensfähig. Die Inseln sind voll von verwilderten Katzen und Hunden, von eingeschleppten Ratten, die sich so einen Leckerbissen nicht entgehen lassen. Erst nach fünf Jahren, wenn ihr Panzer hart genug ist, um sie vor den Zähnen der kleinen Räuber zu schützen, ziehen die jungen Schidkröten aus den vergitterten Kästen erstmal in ein Freigehege und nach ein paar weiteren Jahren in die Wildnis. Von jetzt an haben sie keine natürlichen Feinde mehr, ob auf Galapagos heimisch oder nicht.
In voller Sicherheit und ohne Stress steifen sie über die Inseln, kauen an harten Zweigen herum, fressen mit Vorliebe für Menschen giftige Manzanillafrüche. Manche Arten, die in besonders trockenen Regionen heimisch sind, haben sich auf Kaktusblättern spezialisiert. Ein Verdauungszyklus dauert zwei Monate. Daher können sie sehr lange ohne Essen und Wasser ausharren, was ihnen zu Verhängnis wurde. Was für eine paradoxe Entwicklung. Die Natur bringt eine besonders zähe Art hervor, und gerade die wird von Menschen in nur wenigen Jahrzehnten anvden Rand des Aussterbens gebracht.
Einigen Schildkröten können wir ganz nah kommen, ohne, dass sie sich erschrocken oder bedroht fühlen. Angesicht zu Angesicht blendet man den Panzer im Hintergrund aus und hat das Gefühl einer Schlange ins Auge zu schauen. Nach der Erfahrung tauft Franka die Art auf „Schlange im Kasten“ um.
Der nächste Punkt unseren heutigen Programms ist der wunderschöne Sandstrand Puerto Chino. Ein relativ kurzer Sandstreifen am offenen Pazifik, mit türkisblauen sanften Brandungswellen und feinstem weißen Sand, der weicher ist als frischer Puderzucker. Das kühle Wasser wirkt erfrischend. Unsere Jungs hüpfen mit Vergnügen in den Wellen. Zwischen den Steinen laufen Lavamöven und Lavareiher. Aus unerfindlichen Gründen gibt es auf so einem schönen Fleck nur einen Seelöwen. Die anderen finden wohl das Landleben zu öde und sind alle in die Stadt umgezogen?
Zum Abschluss des Tages laufen wir noch zur Laguna el Junco. Das ist die einzige Süßwasserlagune auf der ganzen Inselgruppe. Fregattvögel kommen hierher, um Salz aus ihrem Gefieder zu waschen. Heute liegt die Lagune im Nebel, das Wasser ist kaum auszumachen. Wie durch ein Wunder öffnen sich die Wolken für einen kurzen Augenblick und wir können den Fregattvögeln beim Baden zuschauen. Doch dann schließen sich die Wolken wieder und alles verschwindet im feinen Nebel.