(07.12.2016 – Tag 900)
Gut 1.000 km liegen die vulkanisch geprägten Galapagos-Inseln vom Festland entfernt und sind wegen ihrer Abgeschiedenheit und des bisher geringen Einflusses des Menschen zu einem Naturreservat der besonderen Art geworden. Nachdem wir eine dreiteilige BBC-Dokumentation über die einzigartige Inselgruppe gesehen haben, sind alle gespannt, ob man die Tierwelt hier wirklich so intensiv erleben kann wie in diesem Film dargestellt. Als wir zur Siesta das erste Mal am Pier von Baquerizo Moreno ankommen, sind die Straßen wie leer gefegt. Alle Geschäfte sind geschlossen, kaum ein Mensch ist auf den Straßen zu sehen. Die einzigen Lebewesen die wir in Massen treffen sind tonnenförmig und haben ganz kurze Beine, dafür aber große Plattfüße. Sie liegen ganz gemütlich auf den schattigen Bänken, verbreiten einen intensiven Fischgeruch und lassen sich nicht stören. Seelöwen haben die Stadt in Beschlag genommen.
Gleich rechter Hand des Piers entdecken unsere Kinder die ersten Leguane bzw. Meerechsen, die sich auf den schwarzen Lavasteinen in der prallen Sonne aufwärmen. Lägen wir da, wären wir nach einer halben Stunde schon weich gekocht. Arvid gibt der Art einen neuen Namen: ab jetzt heißen sie Drachen. Statt Feuer speien die aber Salz. Die auf allen Inseln verbreiteten Meerechsen sind die einzigen Reptilien, die im Meer fressen. Größere Expemplare der bis zu 1,3m langen Tiere können sogar schwimmen und tauchen, den kleineren bleibt nur das Fressen von ufernahem Seegras bei Ebbe übrig. Davon scheint es aber soviel zu geben, dass man diese urtümlichen Tiere auf allen Inseln der Galapagos in Massen findet. Es gibt sie aber nirgends sonst auf der Welt.
Wir gehen weiter bis zum ersten Sandstrand. Ganz vorsichtig tastet sich Natalya mit den Kindern an den überall herumliegenden Seelöwen vorbei. Sie sehen zwar weich und kuschelig aus, haben jedoch ordentlich scharfe Fangzähne. Wir suchen uns ein Fleckchen möglichst weit von allen Tieren entfernt und setzten uns hin. Lange dauert es nicht, bis wir wieder aufstehen müssen, um aus dem Wasser zurückkehrenden Seelöwen den Weg frei zu räumen. Mit der Zeit gewöhnen wir uns an die Nähe der Tiere. Thomas setzt sich neben die Mütter mit ihren Jungtieren und hört den Säuglingen beim Schmatzen zu.
Am nächsten Tag warten unsere Großen ungeduldig auf die Ankunft einer kanadischen Yacht. Da sollen Kinder in ihrem Alter an Bord sein. Über Facebook und Mail hatten wir bereits im Vorfeld Kontakt. Kurze Zeit nach deren Ankunft vereinbaren sie einen gemeinsamen Ausflug zum Strand gegenüber des Ankerplatzes. Auch dieser Strand befindet sich fest in Besitz der kurzbeinigen Freunde. Damit das auch keiner vergisst schwimmt die ganze Zeit ein Seelöwenmännchen Patrouille und gibt allen durch lautes Brüllen zu verstehen, wer hier der Herr des Hauses ist. Seine Frauen haben aber nichts dagegen, wenn die Badegäste ihre Habseligkeiten zwischen ihnen ausbreiten. Mancher Badegast wird nach dem Baden durch den Anblick eines der Tiere auf seinem Badetuch überrascht. Unsere Kinder genießen das Baden. Arvid bekommt man aus dem Wellen erst dann an Land wenn ihm vor Kälte die Zähne klappern und die Lippen blau angelaufen sind.
Am nächsten Tag packen wir unsere zum letzten Mal irgendwo in Brasilien genutzten Tauchermasken und Flossen und schleppen sie in segnender Hitze zur Fregattvogelbucht. Auf dem Weg machen wir kurz im Informationszentrum Halt und lesen uns in die Geschichte der Inseln ein. Trotz des poetischen Namens „Islas Encantadas“ (die verzauberten Inseln) waren bis zur Mitte der 20. Jahrhunderts alle Versuche der Menschen hier Fuß zu fassen vergeblich. Der offizielle Entdecker – der Bischof von Panama – landete hier vor fast 500 Jahren unfreiwillig. Sein Segelschif geriet in eine Flaute und wurde von starken Strömungen zu den Inseln getragen. Da ihre Wasservorräte zur Neige gingen, kam den Matrosen der Stopp sehr gelegen, jedoch fanden sie keine fließenden Gewässer. Der Versuch einen Brunnen zu graben ergab Wasser, das salziger war als das des Meeres. Es gab kein Gras für die Pferde. Dafür nur Kakteen und Drachen. Der Bishoff kam zum Schluss eine Hölle auf Erden gefunden zu haben. Seine Crew musste Kaktusblätter kauen, um nicht zu verdursten.
In den nächsten Jahrhunderten nutzten Piraten und Walfänger die Inseln als eine sichere und kostenlose Proviantquelle. Sie fanden heraus, dass Schildkröten monatelang ohne Nahrung und Wasser am Leben bleiben und somit auf jeden Fall viel besser schmecken als Zwieback mit Maden. Zehntausende der Landschildkröten wurden erlegt, einige Arten ausgerotten, andere an den Rand des Aussterbens gebracht.
Nachdem im 19. Jahrhundert Ecuador die Inseln für sich beansprucht hat, starteten die Versuche die Inseln zu besiedeln. Doch alles schlug fehl. Eine auf Floreana gegründete Sträflingskolonie rebellierte gegen die Verwaltung. Ein zuerst erfolgreicher Versuch auf San Cristobal ein Musterdorf namens El Progresso aufzubauen scheiterte an der Brutalität des Anführers, dessen versklavte Arbeiter ihn in Rage in Stücke rissen. Erst Mitte des 20. Jahrhundert gelang es Ecuador auf der vier Inseln stationäre Siedlungen aufzubauen. Bis heute bleiben sie vom Festland äußerst abhängig und wären ohne die wöchentliche Belieferung durch Frachtschiffe kaum existenzfähig.
Für heute haben wir genug Geschichte und gehen eilig zum Strand. Die Sonne geht hier ziemlich früh unter, das Wasser ist nicht wirklich tropisch warm. Wenn wir noch was sehen wollen und wenigstens noch ein paar wärmende Sonnenstrahlen beim Schnorcheln auf dem Rücken spüren wollen, müssen wir uns beeilen. Während Natalya und Thomas im Wasser kleine Schwärme der bunten tropischen Fische beobachten, kümmert sich Franka freiwillig um Arvid. Nach einigen Berührungen mit (harmlosen) Quallen im trüben Wasser von Bahia de Caraquez ist sie ziemlich wasserscheu geworden. Heute lässt sie sich mit viel Mühe überreden kurz einen Blick auf die Unterwasserwelt zu werfen. Nach fünf Minuten im Wasser sind die unangenehmen Momente schnell vergessen. Franka ist so von der Unterwasserwelt begeistert, dass sie ohne Bedenken mit Thomas zu einem vorher entdeckten, unter einem Felsen ruhenden Rochen schwimmt, um sich ihn genauer anzuschauen.
Natürlich heißt die Fregattvogelbucht nicht zufällig so. Die Felsen am Ufer der Bucht sind steil aber mit niedrigen Bäumen bewachsen. Hier nisten daher gerne Fregattvögel, die wir schon aus Brasilien kennen. Diese eleganten Segler kreisen in Scharen über der Insel und machen den anderen Vögel das Futter streitig. Was sich Tölpel mühsam aus dem Meer fischen wird ihnen gerne von den wesentlich größeren und schnelleren Fregattvögeln wieder abgenommen. Aber verhungern müssen die Tölpel bei dem Fischreichtum hier nicht. Wir sichten immer wieder Blaufußtölpel, die uns teilweise auch ganz nah an sich herankommen lassen.
Damit jeder mit dem Landgang zufrieden ist, gehen wir nach dem Schnorcheln zu einem ausgedehnten Sandstrand am Punta Carola. Dort können Talora und Arvid im Sand buddeln und in der Brandung in den Wellen spielen. Auch hier hat eine ausgedehnte Seelöwen-Kolonie das Sagen. Doch wir haben uns daran schon gewöhnt und achten nur auf den Inhaber des Harems. Jeder weiß, wie schnell diese tonnenförmigen Tiere durchs Wasser flitzen, jedoch traut man es ihnen nicht unbedingt zu, dass sie auch am Land schnell „laufen“ können. Als Thomas einem der frisch geschlüpften Säuglingen zu nahe kommt, meldet sich sofort sein Vater und „rennt“ mit beeindruckender Geschwindigkeit seinem Kind zur Hilfe. Bis zum Sonnenuntergang bleiben wir am Strand und schauen zu, wie ein großer Feuerball am wolkenfreien Horizont im Meer versinkt.
Doch der Tag ist noch nicht zu Ende. Als es schon dunkel ist, hört Natalya aus der Achterkajute komische Geräusche am Badeplattform. Haben wir Besuch? Natalya kommt ans Deck, geht im Dunkeln zügig durch, in Erwartung des Besuchs auf dem Badeplattform… und tritt noch am Achterdeck völlig unerwartet auf etwas Weiches und Nasses. Daraufhin kommt ein kurzes Fauchen. Fluchend rettet sich Natalya wieder ins Cockpit zurück. Der Rest der Familie schaut neugierig und verständnislos raus. Aber der Besucher hat auch eine ordentliche Portion Schreck abbekommen und die Weite gesucht. Am nächsten Tag machen die Kinder am Strand Witze, welchem der Seelöwen heute sein Fuß nach dem gestrigen Ereignis wehtut.