(03.12.2016 – Tag 896 – 16.215 sm)
Ohne eine feste Umarmung will uns Bahia de Caraquez nicht los lassen. Während die Fischer in ihren Booten mit Vollgas an uns vorbei düsen, tasten wir uns mit höchster Vorsicht zwischen den Sandbänken und brechenden Wellen aus der Flussmündung bei Bahia de Caraquez. Obwohl Thomas unserem bei der Einfahrt gespeicherten Track folgt und konzentriert Echolot und Sonar im Auge hat, sitzt Natalya am Bug und hält nach Felsen Ausschau. Zwei der vorbeidüsenden Fischerboote versuchen uns durch die Zeichensprache zu vermitteln, dass wir weiter nach Steuerbord ausholen sollen. Wem sollen sie mehr trauen, der Elektronik oder den Fischer? Es dauert nicht lange bis wir den ersten Schlag des Kiels gegen den Sand hören. Ups… Die Outer Rim hebt etwas das Heck hoch und steckt im Sand fest. Die Tiefe im Wellental hat nicht gereicht. Mit dem nächsten Wellenberg sind wir wieder flott, aber wir werden noch nervöser. Was machen wir jetzt? Zurück können wir keines Falls. Die Tide ist schon bald beim Ablaufen. Hier bleiben geht auch nicht. Es bleibt nur eine Lösung: Augen zu und durch. Der Skipper gibt Gas. So surfen wir höher auf den Wellen. Noch zwei Mal berühren wir den Grund, bleiben zum Glück nicht stecken, treffen auf keine Felsen. Nach einer nervenaufreibenden Viertelstunde und einem mittelgroßen Adrenalinschub lässt uns Bahia endlich los. Das Meer ist ruhig. Kein Vergleich mit chilenischen Verhältnissen. Beim leichten Wind von vorne setzen wir die Segeln und nehmen Kurs auf Galapagos. Trotz des Segelns hart am Wind ist die Abendstimmung friedlich und entspannt.
Mit Einbruch der Dunkelheit geht die Crew in die Kojen – bis auf den Skipper natürlich. Dann geht es erst richtig los. Als erste Vorboten erscheinen vereinzelt weiße Lichter blinkend und auf den Wellen tanzend am Horizont. Dann werden es immer mehr, teilweise sitzen hell erleuchtete Fischerboote mitten drin. Es dauert etwas bis klar wird, dass die Lichter zu großen Stellnetzen gehören. Der Skipper erinnert sich an die letzte Überfahrt: „Also lieber nicht rein fahren!“. Die Fischer scheinen der selben Meinung zu sein und blinken uns mit grellen Scheinwerfern und grünen Laser-Strahlern an. Ja, schon verstanden, aber wo endet das Netz? Wo beginnt das Netz des nächsten Fischers? Gibt es einen Weg dazwischen? Bei jedem Ausweichen kommt ein neues Hindernis dazu. Von Hart am Wind – Abfallen – Ausweichen – Vorwind – Genua rein – auf der anderen Seite raus. Die Fahrt gestaltet sich wie ein Zickzack durch den Lichterwald. So etwas hatten wir noch nie. Es sieht so aus, als wäre das Meer voll mit riesigen Spinnen, die in ihren blinkenden Netzen auf unachtsame Segler warten.
Um 3 Uhr morgens ist der Spuk vorbei … aber nur um von den kleinen Fischer-Schaluppen abgelöst zu werden. Die sind unbeleuchtet und machen nur kurz eine Taschenlampe an, wenn man zu nahe kommt. Dabei sind sie so klein, dass man sie hinter dem nächsten Wellenberg nicht mal auf dem Radar sieht. Auch hier ist permanente Aufmerksamkeit gefordert. Am Morgen nach einer schlaflosen Nacht ist der Skipper fix und fertig und will ein wenig Schlaf nachholen. Franka und Vsevolod treten ihre Wache an. Kaum liegt Thomas in der Koje kommt schon der Ruf: „PAPA – EIN FISCHER!!“. Erster Blick durch die Frontscheibe zeigt ein offenes Fischerboot fast formatfüllend nur 10-20 Meter vor uns. Schnell raus, Autopilot aus und Ruder herumreißen. Gerade noch rechtzeitig weniger als 10 Meter bevor wir im Netz gesessen hätten. Die Fischer leiten uns meilenweit an ihrem fast unsichtbaren Netz entlang bis zur Endfahne. Dann ist der Weg frei. Siebzig Meilen von der Küste entfernt lassen wir das letzte Fischernetz hinter uns.
Am nächsten Tag dreht der Wind mehr auf Süd und weht mit 8 bis 10 Knoten. Wir können etwas abfallen und kommen wider Erwarten gut voran. Mit 8 Knoten über Grund gleitet Outer Rim durch das ruhiges Meer. Während der müde Skipper versucht am Tag ein-zwei Stunden Schlaf nachzuholen, vergnügen sich die Kinder mit Hörspielen und bauen Lego. Am Abend landen zwei Vögel auf unserer Reling. Auf dem offenen Meer nutzen sie die Outer Rim als Taxi oder Gelegenheit sich auszuruhen. Thomas macht schnell zwei Bilder, aber die Vögel sitzen bis tief in die Nacht bei uns. Später entdecken wir auf den Bildern, dass es sich um Rotfußtölpel handelt, die wir hoffen, auch auf den Galapagos-Inseln zu sehen. Es sind die einzigen Tölpel, die auf Bäumen brüten und daher in der Lage sind, Äste mit ihren Füßen zu umklammern – und damit auch die einzigen, die auf einer Reling sitzen können.
Knapp 250 Meilen vor dem Ziel rechnen wir: Mit den aktuell erreichbaren 7,5 bis 8 Knoten Fahrt werden wir nicht vor Einbruch der Dunkelheit am darauffolgenden Tag ankommen. Die Ansteuerung von Baquerizo Moreno auf San Cristobal ist zwar nicht allzu schwierig, aber wir wollen in einem unbekannten Hafen keine zusätzlichen Risiken eingehen. Wir drosseln also die Geschwindigkeit, um erst einen Morgen später anzukommen. Mit wenig Genua und mit Groß im 3. Reff ist der neue Zielkorridor für die Geschwindigkeit 5 bis 5,5 Knoten. Dem Skipper fällt es nicht immer einfach, bewusst langsam zu segeln. Die Crew freut sich über wenig Schräglage.
Thomas macht sich Sorgen um die Seepocken am Rumpf. Man weiß ja nicht, wie gut ein Ecuadorianer im trüben Wasser der Flussmündung den Rumpf gereinigt hat. Sind alle weg, oder laufen wir Gefahr beim Einklarieren Probleme zu bekommen? Thomas will mitten im offenen Ozean ins Wasser springen und den Rumpf zur Sicherheit selber untersuchen. Doch da legt Natalya ihr Veto ein. Alleine die Idee, dass der Kapitän freiwillig über Bord geht, ist ihr zuwider. Der Skipper probiert es anders und versucht das Beiboot zu Wasser zu lassen. Bis dorthin erschien uns das Meer ganz ruhig. Die Realität sieht viel angespannter aus. Selbst ein Meter Schwell, den man auf der Outer Rim kaum spürt, ist für das kleine Beiboot eine Wildwasserfahrt. Das Boot hängt noch an den Davit-Leinen und tanzt ganz wild in den Wellen. Bei der Idee, dass man die Haken, an denen mehr als 100 kg Gewicht hängen, bei diesem wilden Tanz erst aus- und dann wieder einhaken muss, entscheiden wir uns, doch das Risiko einzugehen beim Einklarieren zum Putzen wieder auf den offenen Ozean geschickt zu werden und brechen die Aktion ab.
Der Wind begleitet uns bis kurz vor dem Ziel. Im Morgengrauen und mit Blick auf die Südküste von San Cristobal schläft er dann ein, so dass wir die letzten 10 Meilen unter Motor zurück legen mussten. Aber nach fast 600 Meilen unter Segel kann man das auch verschmerzen. An der Südwestecke der Insel beobachten wir beeindruckende Brecher. An den flachen Stellen erheben sich aus dem sonst so ruhigen Wasser türkis blaue Wellenkronen, rasen mit beeindruckender Geschwindigkeit Richtung Land und verwandeln sich in dem Moment des Bruchs in einen Ozean von Schaum. Später hören wir, dass hier hunderte von Surfern herkommen, um auf dieser besonderen Welle zu reiten. Dann fällt der Anker in der Bucht von Baquerizo Moreno … nach 592 Meilen und 3 Tagen und 18 Stunden.
Kaum ist der Anker gefallen, kommt schon unser Agent (den braucht man hier, um einzuklarieren) an Bord und kündigt den Besuch der Offiziellen an. Eine Stunde später ist unser Cockpit mit Mitarbeitern der Armada, der Gesundheitsbehörde, der Immigration und einigen mehr bevölkert. Wir hatten so viele Schreckensgeschichten über die Probleme anderer Segler beim Einklarieren gehört. Unser Rumpf wird gründlich abgetaucht und keine „gefährlichen“ Organismen gefunden. Thumbs up! Auch der Rest der Prozedur erfolgt schnell und unkompliziert. Unsere für 5 Dollar gekaufte Bescheinigung, die bestätigt, dass unser Schiff in Bahia de Caraquez ausgeräuchert wurde, wurde anstandslos akzeptiert (typisch Südamerika). Keine Bilge wurde kontrolliert, nur der Kühlschrank kurz geöffnet. Alles kein Problem. Schnell wird noch ein Bild des mit Beamten gefüllten Cockpits gemacht (scheinbar als Nachweis, dass diese tatsächlich an Bord waren), und schon erhalten wir unsere Papiere zurück und sind einklariert.
Jetzt dürfen wir die Natur der Galapagos-Inseln hautnah für 2 Monate erleben. Gleich am ersten Tag schon schwimmen Seelöwen um unser Boot, sind Schildkröten in der Nähe zu sehen und versammeln sich unzählige Fische unter unserem Rumpf. Auch die Wolken, die bei unserer Ankunft etwas Tristes verbreitet haben, verziehen sich und die Insel San Cristobal lächelt uns zur Begrüßung an. Gleich werden die Badehosen ausgepackt und alle springen ins klare und warme Wasser.