(20.10.2016 – Tag 852)
Nach einigen Wochen Entspannung wird uns Bahia de Caraquez zu eng und wir begeben uns wieder auf Landreise. Als erstes fahren wir mit dem Bus nach Quito. Nach Luxusfahrten in Chile müssen wir uns erstmal umstellen. Ein chilenischer Bus fährt von einem Busbahnhof ab und kommt einige Stunden später am Zielbahnhof an, auf dem Weg sitz man in luxuriösen Sitzen und bekommt sogar ein warmes Essen serviert. Ein ecuadorianischer Bus hingegen fährt ab und hält beinahe bei jeder Straßenlaterne an, um weitere Gäste einzusammeln. Die meisten fahren nur kurze Strecken mit, so dass der Bus nach einigen Minuten wieder anhalten muss, um sie wieder aussteigen zu lassen. Etwa eine halbe Stunde nach der Abfahrt ist eine längere Pause angesagt: ein Rad muss ausgewechselt werden. Das kann ja was werden. Kaum ist das Rad dran, müssen wir zur Tankstelle. Toilette ist unnötiges Luxus, daher ist sie auch abgesperrt. Nur gut, dass keiner von uns nach dem Magen-Darm-Virus, den wir irgendwo aufgeschnappt haben, Durchfall bekommen hat. Und Essen gibt es natürlich auch nicht, dafür aber Aktion-Filme am laufenden Band in voller Lautstärke und scheppernden Lautsprechern.
Weil Nachtreisen in diesem Land aus Sicherheitsgründen nicht empfohlen werden, fahren wir dieses Mal am Tag. Arvid hat wenig Interesse an den grünen Bergen und den gewundenen Serpentinen und beginnt über die Sitze zu klettern. Wenigstens der MP3-Player kann ihn einige Zeit unterhalten. Am späten Nachmittag erblicken wir unten im Tal eine große Stadt. Lange kann es nicht mehr dauern denken wir. Aber die Stadt hat eine Nord-Süd-Ausdehnung von 30 km, und es dauert recht lange bis in die nördliche Ecke der Stadt. Endlich steigen wir aus und werden gleich von schreienden Taxifahrern überwältigt. Einer von denen schleppt unsere schwere Reisetasche zu seinem Taxi. Nach einer weiteren halben Stunde sind wir im Hotel angekommen.
Thomas dröhnt der Kopf. Er weiß nicht sicher, ob sich die Höhe bei ihm mal wieder bemerkbar macht, oder die Redseligkeit von Arvid, der ihn die ganze Fahrt lang voll getextet hat. Nach einer kurzen Pause rappeln wir uns auf und gehen noch am Abend auf Entdeckungstour. Zum Glück liegt unser Hotel direkt am Zentralplatz der historischen Altstadt, gleich gegenüber einer der prächtigsten Kirchen.
Irgendwann im Laufe des 15. Jahrhunderts besetzten die mächtigen Inkas das günstig gelegene und lang gestreckte Andental auf ca. 2.850 Metern und gründeten hier die erste Version der Stadt. Doch ihre Herrschaft war nicht von langer Dauer. Schon im nächsten Jahrhundert wurden sie von den spanischen Konquistadoren vertrieben. Die stolzen Inka-Krieger zogen es vor, ihre Stadt dem Erdboden gleich zu machen, damit sie nicht in feindliche Hände fällt. Im Gegensatz zu Cusco findet man in der ecuadorianischen Hauptstadt daher kein einziges Gebäude und keine Mauer aus der Inkazeit. Die spanischen Eroberer schienen auch nichts Altes zu brauchen. Geld und Arbeitskraft waren im Uberfluss vorhanden.
Wenn man die Liebe zur Gott in der Menge beim Bau eines Gotteshauses verwendeten Gold ausdrücken könnte, lägen die Baumeister, Äbte und Bischöfe in dieser Stadt mit großem Abstand vorne. Beim Betreten mancher Gebäude wird man von der Pracht schier erdrückt und vom Glanz des Golde geblendet. Doch egal wie viel Gold die Spanier hier gefunden und an sich gerissen haben, sein Glanz weckte nur die Gier nach mehr Gold. In Quito entstand auch die Legende über das sagenhafte Eldorado, die die habgierigen Konquistadoren bis in die tiefste und abgelegenste Ecke des Kontinents trieb. Mit der Zahl der fehlgeschlagenen Expeditionen nahm die Größe des angeblichen Schatzes zu. War am Anfang der Legende die Rede von Opfergaben, die jeder neu zu krönende König in einen See warf, wurden daraus am Ende die goldene Städte, dessen Wände mit massiven Goldplatten geschmückt wurden.
Francisco de Orellanas und Gonzalo Pizzaro sind mit vier Tausend Mann aus Quito Richtung Osten ausgezogen, um den märchenhaften Schatz zu finden. Wer jemals versucht hat durch den tiefsten Dschungel durch Sümpfe ohne Weg und Karte zu gehen, kann sich die Zustände der Expedition mehr oder weniger bildhaft vorstellen. Eldorado haben sie wohl nicht gefunden, dafür aber den Amazonas entdeckt. Ein Teil der Expedition durchquerte den ganzen Kontinent und kam an der Ostküste im Amazonasdelta an. Die Legende könnte man leicht umdrehen und über eine sagenhafte Stadt erzählen, deren Häuser nicht von außen, sondern von innen vergoldet sind…
So wie das am Äquator üblich ist, bricht die Nacht schnell an. Schon kurz nach sieben ist es fast vollständig dunkel. Wir wandern durch die dunklen Gassen und suchen Pommes, die Thomas Arvid während der Reise versprochen hat. Das haben sich die zwei einfacher vorgestellt. Das einfache Volk isst eher zu Mittag außerhalb des Hauses. Am Abend haben nur die Touristenrestaurants offen. Schließlich finden wir eine Imbissbude, gleich mit Einblick in die „Küche“, mit zwei riesigen Töpfen, die auf einem Gasherd stehen und langsam vor sich hin brutzeln. In einem wird Colada Morada gekocht, eine Art rote Grütze aus lokalen Beeren, gewürzt auf Südamerikanische Art. Regelmäßig läuft ein Küchenjunge mit einer Portion davon raus. Auf dem Rückweg entdecken wir auch, wohin er läuft; ein gehobener Touristenlokal bietet „exklusive“ Colada Morada.
Zurück im Hotel hoffen wir auf eine erholsame Nacht. Doch die Hoffnung wird schnell begraben. Direkt unter unseren Fenstern ist eine Bushaltestelle, an der Doppelgelenk-Busse mit beneidenswerter Regelmäßigkeit bis spät in die Nacht anhalten und recht laut dröhnend wieder abfahren. Dabei hat man fast das Gefühl, der riesige Bus fahre direkt durch unser Hotelzimmer. Tja, große Städte haben für Ungeübte durchaus ihre Nachteile.