(11.08.2016 – Tag 782)
Man denkt vielleicht, so eine trockene Wüste ist öde und gleichmäßig. Schließlich regnet es hier seit Hunderten von Millionen Jahren so gut wie nie. Doch man stellt schnell fest, dass die Atacama viele Gesichter hat. Kamen wir die letzten Tage durch zerklüftete Berge und Täler, führt der Weg heute durch eine leicht hügelige Ebene.
Wir planen einen Abstecher zum Nationalpark Pan de Azucar, einer Dünenlandschaft entlang der Küste. Doch beide dorthin führenden Straßen sind gesperrt. Die Schäden sehen nach den Folgen eines der sehr seltenen Regengüsse aus. Große Teile der Schotterstraße sind weggespült worden. Das Wasser hat eine etwa drei Meter tiefe Rinne hinterlassen, die nicht einmal mit unserem kräftigen Geländewagen zu überqueren ist. Thomas probiert an ein paar Stellen doch einen Pfad querfeldein zu finden, aber dann erscheint uns die Gefahr dort stecken zu bleiben als zu hoch. Wir steigen aus, schauen wehmütig in Richtung der vermeintlichen Sanddünen und finden uns mit der Tatsache ab, dass es keinen Weg mehr gibt, um sie zu erreichen.
Natalya und Franka legen in der Pause eine Skulptur aus getrocknetem Lehm, dann kehren wir zur Hauptstraße zurück. Nach ein paar Stunden Fahrt wird verzweifelt ein geschützter Platz für die Mittagspause gesucht. Zur unbarmherzigen Sonne gesellt sich noch ein peitschender Wind. Wir biegen auf eine Schotterpiste ab, und fahren ein Stückchen weiter in die Wüste hinein. Ein Platz ist genauso gut wie der anderer – alles den Elementen ausgesetzt. Während des Essens entdecken die Kinder, dass der Boden unter ihren Füßen aus feinstem Staub besteht. Der Wind hat seine Arbeit geleistet und das Gestein der umliegenden Hügel zu feinkörnigem Sand zerrieben. Vor allem unsere Jungs werfen begeistert den Staub hoch in die Luft und veranstalten einen Wettbewerb: „wer schafft die größte Staubwolke“. Am Ende des Wettbewerbs muss Arvid in die Sonderreinigung.
Einige Kilometer weiter nördlich entdecken wir ein braunes Hinweisschild mit dem komischen Namen „Ex Oficina Saltriera de Chile“. Einige Hundert Meter abseits der Straße ist ein alter verwitterter Friedhof zu sehen. Hinter dem Friedhof lassen sich Ruinen erkennen. Es sieht nach einer alten Industrieanlage aus. Die Ziegelsteine sind dieselben wie bei der Eisenbahnwerkstatt, also etwa hundert Jahre alt. Am Rande der Anlage türmt sich ein grauweißer künstlich aufgeschütteter Hügel: einer der begehrtesten Rohstoffen des 19. Jahrhunderts: Chilesalpeter.
Hier in der Wüste hat man ihn gefördert und über die Häfen in die ganze Welt verschifft. Der Handel hat den geschäftstüchtigen Besitzern zu ungeheurem Reichtum verholfen. Der Reichtum kam im wörtlichen Sinne direkt aus dem Wüstenboden. Man trug den Boden ab, zerkochte ihn in heißem Wasser und ließ Salpeter ausflocken. Über den Hafen von Iquique wurde der so gewonnene Dünger nach Europa verschifft. Zur Blütezeit des Handels warteten im Hafen von Iquique bis zu hundert Schiffe auf ihre Ladung. Doch viel zu schnell war es damit vorbei. Das während des ersten Weltkrieges durch die Seeblockade unter Druck geratene Deutschland entwickelte ein chemisches Verfahren zur Herstellung von Salpeters in industriellen Mengen. Mit dieser Erfindung verlor das chilenische Vorkommen an Bedeutung. Die Anlagen wurden nach und nach still gelegt. Die Siedlungen wurden verlassen.
Auf dem Rückweg wandern wir durch den verwitterten Friedhof. Die meisten Gräber haben nur ein schmuckloses Kreuz, dessen Holz von der Sonne erfolgreich konserviert wurde. Die noch lesbaren Inschriften lassen erahnen, dass man hier nicht mit einer hohen Lebenserwartung rechnen konnte. Die meisten Verstorbenen sind nicht wirklich alt geworden. Dafür war die Arbeit wohl zu hart und das Klima zu ungesund. Einige Verstorbene hatten eindeutig deutsche Namen.
Wir sind schon lange unterwegs, aber von Antofagasta trennen uns immer noch einige hundert Kilometer. Wir fahren durch eine bizarre Landschaft. Beidseitig der Straße liegen Abertausende von schwarzen Steinen. Es sieht so aus, als ob sie von einem gewaltigen Riesen hier gesät worden sind. Es ist schon spät und wir haben seit dem Morgen keine Anzeichen einer Siedlung gesehen. Kurz vor Antofagasta kommen wir an einer Mine und ein paar dazugehörigen Betrieben vorbei. Thomas überlegt kurz, eine Übernachtungsmöglichkeit in der Umgebung dieser großen Industrieanlage außerhalb der Stadt zu suchen. Die Crew protestiert gegen eine so unattraktive Umgebung mit dem in der Luft hängendem feinen Staub. So fahren wir doch in die Stadt hinein.
Doch außer Thomas hat keiner daran gedacht, wie schwer es hier wird, eine Bleibe für die Nacht zu finden. Die Küstenstraße bietet ein paar teure Hotels, hier werden wir nichts Passendes finden. Wir verirren uns immer tiefer in die Altstadt hinein, kämpfen uns durch das Gewirr der Einbahnstraßen hindurch und halten Ausschau nach einfachen Hotels. Nach einem langen Tag sind alle schon ordentlich müde und gereizt. Die engen Einbahnstraßen des Stadtkerns sind mit Autos vollgestopft und bieten weder eine Parklücke noch eine Wendemöglichkeit. Wird ein Hotelschild entdeckt, springt Natalya schnell aus dem Auto und hofft, dass Thomas in einigen Minuten wieder an der gleichen Stelle vorbei kommt. Da es in den Staßen von roten Minenjeeps wie dem unseren wimmelt, ist es für NAtalya keine leichte Aufgabe, das eigene Auto wieder schnell genug zu entdecken, um im Vorbeifahren schnell hereinspringen zu können.
So schwer hatten wir es bis jetzt noch nie. Die ganzen Hotels sind ausgebucht. Völlig erschöpft quartieren wir uns in einen kleinen ziemlich heruntergekommenen Hostel ein. Das ist das schlechteste Preis-Leistungs-Verhältnis das wir bis jetzt hatten. Aber wir sind froh, überhaupt ein Dach über dem Kopf zu haben. Wir gehen noch schnell in die Stadt Pommes essen, danach fallen die Kinder völlig erschöpft ins Bett. Bevor wir auch schlafen gehen, müssen wir noch eine Entscheidung über die weitere Route treffen. Sollen wir ein-zwei Tage in Antofagasta bleiben und uns die Stadt genauer anschauen? Eigentlich Unsinn, denn dafür brauchen wir keinen teuren Mietwagen. Wir entscheiden uns für die Weiterfahrt gleich morgen früh, in der Hoffnung die Stadt auf dem Rückweg anzuschauen, nachdem wir den Wagen zurückgegeben haben.
Als Belohnung für die gestrigen Strapazen gibt es am Morgen ein Frühstück in einer kolumbianischen Bäckerei. Die Kinder suchen sich begeistert Leckereien aus. Die Erwachsenen sind weniger euphorisch. Der ganze Charme der Konditoreien in Südamerika ist durch Dulche de Leche – eine Art Caramelcreme – verseucht. Sie wird in dicken Schichten anstelle von Schokolade aufgetragen, und schmeckt einem Ungeübten nur unmöglich süß und fett. Dafür gibt es als Entschädigung frischen Kaffee.
Bevor wir aus der Stadt wieder herausfahren, müssen wir noch einen Kampf ums Auto ausfechten. Der Parkplatzwärter besteht darauf, mit Thomas einen Preis von 7.000 Peso (etwa 10 Euro) für die Nacht vereinbart zu haben. Thomas argumentiert damit, den Preis als 1.400 Peso verstanden zu haben. Irgendwann geht dem Wachmann die Puste aus, sich auf unser „perfektes“ Spanisch einzulassen, er nimmt unsere angebotenen 2.000 Peso, drückt Thomas als Zeichen der Versöhnung die Hand und winkt uns raus. Der heutige Weg soll uns zu einem der bekanntesten Ausflugsziel der Chilenen bringen – nach San Pedro de Atacama.
Ich bin immer und die Kinder manchmal lesend dabei bei Euren Abenteuern! Schön, dass Ihr uns Daheimgebliebenen so treu auf dem Laufenden haltet. Die Kinderportraits und Landschaften sind mal wieder der HAMMER! Liebe Grüße ulli mit Co Ca En
Liebe Grüße zurück nach Icking 🙂