(08.04.2016 – Tag 687 – 12.566 sm)
Negative Aussichten: Der aktuelle Wetterbericht verspricht wenig Wind zum Segeln. Daher sucht sich der Skipper eine andere Herausforderung: die Passage durch schmale, mit kleinen Inselchen und großen Felsen voll gespickte Kanäle abseits der Hauptroute – Canal Abandonados und Canal Alejandro locken mit eindrucksvollen Landschaftsbildern.
Natalya, die gerade mit den Kindern unten Schule macht, wird immer wieder zur Unterstützung mit an Deck gerufen. Der Übergang der beiden Kanäle wird besonders spannend. Eine lebhafte Strömung von über fünf Knoten schiebt uns durch ein Insellabyrinth, welches natürlich nicht kartografiert ist. Als Natalya am Bug ankommt, sieht sie vor sich nur Strudel unterschiedlicher Größe. Sie versucht dazwischen Felsen und Kelp zu erkennen, damit der Steuermann rechtzeitig Bescheid weiß. Zum Glück herrschen Windstille und Sonnenschein. Mit starkem Wind und/oder Nebel wäre die Passage gar nicht so witzig. Der Tiefenmesser zeigt immer wieder falsche Werte, da die übereinander geschichteten Wassermassen an ihren Grenzflächen Fehlechos verursachen. Des Skippers Herz rutscht mehrmals in die Hose.
Sanfte hügelige Landschaften ziehen an uns vorbei. Einige wenige Meilen dürfen wir sogar den Motor abstellen und auf dem ruhigen Wasser lautlos dahingleiten. Man hört die Wasserfälle, die irgendwo im Wald verborgen tosend herunterstürzen und Papageien, die sich bei unserer Annäherung laut aufregen. Die letzten Meilen passt der Wind dann auch noch zum Segeln. Wir biegen in den Canal Chacabuco ein und werden von 3-4 Knoten Strömung erfasst. Das Wasser sprudelt und kocht – schön anzusehen. Im Canal werden wir ordentlich nach Osten geschoben, genau dahin wollen wir ja auch. Da macht es nichts, dass wir kaum noch Wind haben und mit 1-2 Knoten durchs Wasser dümpeln. Bis zum Eingang der Caleta Jacqueline bleibt das Segel oben.
Es ist früher Nachmittag als wir in der Caleta ankommen. Eine besonders dicke Fischerleine ist quer durch die Bucht gespannt und verhindert den nahen Zugang zum Land. In den nächsten Tagen ist kein Starkwind zu erwarten, daher befestigen wir die Outer Rim einfach mit einem Festmacher an der Fischerleine. Bei dem guten Wetter wird sich der Besitzer sicher eher draußen aufhalten und nicht hier Schutz suchen wollen. Und so bleibt uns das Landleinenmanöver erspart.
Während Thomas und die Kinder zum Strand fahren, genießt Natalya alleine die Ruhe am Bord. Später sammeln wir alle gemeinsam Treibholz für ein Lagerfeuer am Abend. Plötzlich ruft Franka: "Mama, schau, da ist eine Katze!" Hm, eine Katze hier am Wasser? Sind sie normalerweise nicht wasserscheu? Bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, dass das Tier eher wie ein Wiesel aussieht, glänzendes dunkelbraunes Fell hat, und einen Schwanz, der fast genauso lang ist wie das Tier selbst. Es hat keine Angst vor Menschen, kommt ganz nah an uns heran. Die Kinder können ihm auf Schritt und Tritt folgen, und beobachten, wie es auf den von der Tide freigelegten Felsen Schnecken jagt und sie für schlechtere Zeiten am Ufer vergräbt. Im keinem unserer Bestimmungsbücher können wir das Tier finden. Eigentlich sieht es wie ein nordamerikanischer Nerz aus, aber wie käme der denn hierher? Sein Pelz sieht hochwertig aus. Ist es ein Flüchtling aus einer Pelzzuchtstation? Wahrscheinlich nicht.
Es hat einige Tage nicht geregnet, daher brennt unser Feuer ohne große Dieselhilfe sofort an. Arvid steht vor einer Geduldsprobe: heute werden Kartoffeln im Feuer gebacken. Für den kleinen Mann dauert das gefühlte Stunden, bis die Kartoffeln gar sind. Aber schließlich löst er sich doch vom Feuer und findet am Strand genug Interessantes. Mit Talora legt er ein Mosaik aus selbst gesammelten Seesternen. Mit den großen Geschwistern legt er in einem Miniteich an den Felsen einen Zoo für Seesterne an. Als der Zoo keine Tiere mehr aufnehmen kann, findet Vsevolod am Strand ein großes Stück Rohr und bastelt mit zwei angespülten Fischerleinen daraus eine Schaukel. Nachdem der Schaukelbaum den Geist aufgibt, wird daraus eine Walze, mit deren Hilfe der Strand platt gewalzt wird.
Kurz nach dem Abendessen zeigen sich die ersten Sterne. Es wird wieder eine kalte sternenklare Nacht. Mittlerweile beträgt die Temperatur im Salon am Morgen häufig unter 10 Grad. Obwohl wir der Strecke nach Norden ständig einige – und in letzter Zeit nicht wenige – Meilen abgewinnen, wird das Wetter immer winterlicher. Trotzdem freuen wir uns über die kalten Südwinde, die einen Hauch antarktischer Kälte mit sich bringen. Endlich besteht die Hoffnung, dass wir wieder ordentliche Strecken segeln können.