(24.03.2016 – Tag 672 – 12.238 sm)
Heute stehen wir voller Erwartung früh auf… um einen vollständig bedeckten Himmel vorzufinden. Einen Tag mit 1.030 mbar erwartet man hier anders. Wir hatten gehofft, heute bei schönem Wetter in den Seno Iceberg mit seinem Gletscher fahren zu können. Eine kleine blaue Lücke in der Wolkendecke lässt uns aber auf eine Besserung hoffen. Wir lösen also die Leinen und fahren in den Seno unweit der Caleta Yvonne.
Die Hänge des Gletscherfjords sind bis zu den Gipfeln der Berge bewaldet. Tiefehängende weiße Wolken ziehen an den Bergflanken entlang und lassen den Wald magisch und verzaubert wirken. Würde hinter der nächsten Biegung Legolas auf einem weißen Pferd auftauchen, würde sich niemand wundern. Dagegen wundern wir uns über die "Hütte" (Bezeichnung im Revierführer) der Umweltschutzorganisation am Ende des Fjords, die alles anderes als klein und bescheiden ist.
Wir werfen Anker unmittelbar vor der Gletscherwand und lassen das Dinghy herunter. Wie durch ein Wunder reißt just in diesem Moment der Himmel auf und lässt das Blau des Gletschers erstrahlen. Natalya und die Kinder paddeln raus und schauen sich das schwimmende Eis genauer an. Ein Otter schwimmt an Dinghy vorbei und lässt sich durch den Krach der Kinder nicht verunsichern. Wir rudern durch ein relativ lockeres Eisfeld an Land und klettern auf die Felsen. Runde, mit Moos bewachsene Granitbrocken bieten nicht wirklich guten Halt. Arvid ist das egal, er will die Pfützen ausmessen, und rennt Hals über Kopf von einer zur anderen. In der nächsten versinkt er bis zur Hüfte. Obwohl Natalya ihn ziemlich schnell wieder herauszieht, läuft ihm das Wasser von oben in die Regenhose.
In den letzten Jahren ist der Gletscher um einige Kilometer zurückgegangen. Auf den Felsen können wir beobachten, wie die Vegetation den eisfrei gewordenen Raum allmählich für sich erobert. Zwischen den Moosen dicht an der Gletscherkante wachsen schon die ersten Blumen. In geschützten Lagen zwischen den großen Steinen finden kleine Büsche Halt.
Natalya sieht von den Felsen aus, dass Thomas dauernd damit beschäftigt ist, das Eis von der Outer Rim fern zu halten. Die Rückreise gestaltet sich schwieriger als gedacht. Der Wind hat gedreht und das Eis dichter zusammengeschoben. Die Kanten der Eisbrocken sind messerscharf, was für ein aufblasbares Boot nicht wirklich gesund ist. Vsevolod übernimmt das Paddeln, Natalya sitzt am Bug und schiebt mit bloßen Händen das Eis aus dem Weg.
Am Bord der Outer Rim versucht Thomas unterdessen Trinkwasser aus Eis zu gewinnen. Einen Brocken hackt er klein und lässt ihn in den Tank schmelzen. Die Karaffe wird auch mit Eis gefüllt, damit am Abend alle das Gletscherwasser kosten können. Aber wirklich ergibig ist die Aktion nicht. Viel Aufwand für einen geringen Ertrag. Lecker schmeckt das Wasser trotzdem.
Die Eissituation verschlechtert sich weiterhin. Der Wind treibt das ganze Drifteis in unsere Richtung. Wir überlegen kurz, ob wir am Nordufer in der Nähe des Gletschers übernachten können. Keiner weiß aber mit Sicherheit ob der Ort eisfrei bleibt. Das ist für uns zu viel Risiko und wir bevorzugen am gleichen Tag wieder aus dem Fjord herauszufahren.
Aus dem Seno Iceberg biegen wir nach Norden in den Canal Messier. Die Bedingungen dort sind ausgezeichnet, kaum Wind und keine Welle. Wir kommen damit gut voran und peilen die Caleta Point Lay als Ziel an. Kurz davor entdeckt Natalya mit dem Fernglas komische orangbraune Mooshügeln auf dem Felsen. Bei näherer Betrachtung verwandeln sie sich in eine große Seelöwenkolonie. Wir steuern sie direkt an und können die Tiere aus unmittelbarer Nähe beobachten. Viele Junge sind dabei. Arivd ist begeistert. Als wir den Tieren ihrer Meinung nach zu nah kommen, ergreifen sie die Flucht. Die Bullen steigen und rennen dabei rücksichtslos über die eigenen Kindern und landen als Erste im Wasser. Die Weibchen sind gelassener. Zwei Jungtiere bleiben unbeeindruckt auf dem Fels sitzen: "Warum sollten wir ins kalte Wasser springen!?" Jetzt ist auch der Skipper (am Bug stehend) der Meinung, dass wir dem Felsen zu nah gekommen sind. Kelpbüschel tauchen direkt vor unserem Bug auf. Kamera weg legen, zum Steuerstand laufen und schnell volle Kraft zurück! Aus einiger Entfernung sehen wir dann, dass sich die Gruppe schon gemütlich auf der anderen Seite der Felsen hingelegt hat. Die letzten Tiere kriechen gerade aus dem Wasser.
Kurz vor Einbruch der Dunkelheit erreichen wir unsere Ankerbucht. Die Einfahrt ist schmal und liegt lt. Revierführer zwischen zwei Felsen. Den ersten erkennen wir bald, der zweite ist unter Wasser und lässt sich nicht blicken. Das Wasser des Fjords ist so gut wie schwarz und undurchsichtig. Thomas tastet sich vorsichtig an dem sichtbaren Felsen vorbei. Natalya hält am Bug nach weiteren Hindernissen Ausschau. Als die Routinearbeite mit Landleinen erledigt ist, sind wir froh Feierabend zu haben. Es ist doch ein langer ereignisreicher Tag geworden und die Sonne geht bald unter.