(16.03.2016 – Tag 664 – 12.126 sm)
Auch so tolle Ankerplätze wie die Caleta Sally am Gletscher Pio XI müssen wir schweren Herzens irgend wann verlassen. Bei der Ausfahrt sichtet Thomas einen Delfin in etwas Entfernung, der in Eile vollständig aus dem Wasser herausspringt und sich auf kürzestem Weg zur Outer Rim bewegt. Das Tier schwimmt mit uns ein Stück des Weges, bleibt geduldig stehen während wir bei wenig Wind die Segel setzen, um ohne Motor den Fjord nach Süden zu gleiten. Danach begleitet der Delfin uns, akrobatische Stücke im Wasser vorführend, über eineinhalb Stunden lang auf dem Weg aus dem Seno Eyre.
Obwohl der Wetterbericht uns für den Tag acht (nein nicht Beaufort, sondern) Knoten Wind versprochen hat, ist es dann nach einer Weile um einiges mehr. Dieses Mal sind wir darüber sogar glücklich. Mit gutem Rückenwind segeln wir die ganze Strecke aus dem Fjord hinaus. Währenddessen rätselt Natalya zu welcher Art unser treuer Begleiter gehört. Das Tier ist deutlich größer als alle Delfine, die wir bis jetzt hier gesehen haben. Es kann sich nur um einen großen Tümmler handeln. Aber was macht er hier so weit südlich, und dann noch im besonders kaltem Wasser vor dem Gletscher? Dabei sieht er auch nicht wirklich so aus, wie ein klassisches Bild von großem Tümmler … und dann ganz alleine? Jetzt haben wir ein ungelöstes Rätsel mehr. Wir haben lediglich die Vermutung, dass es sich um einen Mischling mit einer anderen eng verwandten Walart handeln könnte.
In der Caleta Lucretia kommen wir zum ersten mal in den „Genuss“ der immer näher kommenden Zivilisation. Sie ist bei den lokalen Fischern beliebt, und deren Spuren am Strand sind nicht zu übersehen. Wenn die riesigen Berge von Muschelschalen noch durch die Natürlichkeit ihres Ursprungs zu entschuldigen sind, sind neben der Fischerhütte liegende zerschlissene Kleinkinderschuhe, unterschiedliche Stofffetzen und unidentifizierbare Metall- und Gummiteile der Natur deutlich fremd. Wie kommen denn mindestens fünf Paar Kinderschuhe überhaupt hierher? Hat jemand seinen Müll extra weit weg gefahren und hier entsorgt? Oder leben während der Sommerzeit hier Familien, die die Muscheln aus ihrer Schale pellen?
Die Ufer der Caleta besitzen keine dichte Vegetation, die Steigung hält sich in Grenzen. Wir unternehmen einen Familienausflug und steigen auf einen Hügel. Thomas trägt Arvid in der Kraxe hoch. An einer Stelle müssen wir an einem schmalen Balkon den Felsen entlang gehen. Der „Abgrund“ ist mit einigen Meter zwar nicht wirklich tief, aber wer will denn in einem Strauch landen, dessen Blätter unzählige harte Stacheln tragen? Oben testen unsere Kinder alle Pfützen, ob ihre Kinderstiefel dafür hoch genug sind und gestalten die Landschaft neu indem sie einige Pfützen ablaufen lassen um an anderen Stellen neue zu erschaffen. Da vergisst Arvid auch schnell seine wunde Lippe, die er sich beim Sturz vom Sofa mit einem Lineal im Mund zugezogen hat.
Der Boden ist so feucht, dass nur wenige Bäume hier Fuß fassen können. Abgestorbene Zypressen ragen hier und dort wie riesige spitze Nadeln in den Himmel. Im Gegensatz zu warmen Regenwäldern scheint es hier nicht viele Organismen zu geben, die mit totem Holz etwas anfangen können. Abgestorbene Bäume stehen noch jahrelang bevor ihr Zerfall so weit fortschreitet, dass sie auf den Boden fallen.
Am ersten Tag sind unsere Kinder über die Abwesenheit von Bächen hier ziemlich enttäuscht. Am nächsten Tag nehmen die drei Großen eine Säge und ein Messer und gehen in den Wald, um sich dort ein Lager zu bauen. Der erste Versuch scheitert – die Lage war zu exponiert. Der Wind weht ihre Arbeit um. Das nächste Lager liegt gut versteckt im dichten Gebüsch. Die Kinder sind von ihrer Arbeit so begeistert, dass sie in ihrem Lager zu Abend essen wollen. Wir lassen sie alleine und gehen zurück zur Outer Rim. Sie sollen später ihr Essen selber holen. Dann regnet es doch so stark, dass die Kinder am Ufer nach Taxi rufen, um wieder ins warme und trockene Boot zu kommen. Sie überreden uns hier noch einen Tag zu bleiben, damit sie im Wald weiter spielen können. So kommt es, dass wir auch in einer kleinen auf den ersten Blick unscheinbaren Caleta auch einige Tage verbringen.