(09.03.2016 – Tag 657 – 12.043 sm)
Als wir mit Sonnenaufgang beginnen, die Landleinen zu lösen, bekommen wir Besuch. Zwei Pealedelfine schauen kurz aus dem Wasser und verschwinden gleich wieder. Eine Viertelstunde später, nachdem wir in aller Ruhe die Leinen klariert haben, fahren wir los, heraus aus der Caleta Luna. Kaum bewegt sich das Boot, sind die Delfine sofort zur Stelle und turnen in unseren Wellen. Steuerbord querab spritzt und zischt das Wasser. Drei weitere Delfine rasen auf uns zu, um den Spaß nicht zu verpassen. Dabei springen sie in der Eile komplett aus dem Wasser. Die Tiere begleiten uns eine Zeitlang, dann drehen sie ab. Sie scheinen feste Wohnsitze zu haben, zu denen sie immer wieder zurückkehren.
Wir fahren eine Abkürzung und biegen aus dem Canal Andres in den Canal Tres Cerros ab. Zuerst geht es zwischen zwei kleinen Inselchen durch. Leider ist die Durchfahrt nicht kartografiert, wir kommen aber trotzdem problemlos durch. Im Kanal kommt der Wind fast von der Seite, so können wir sogar Segel setzen und die Ruhe und die Landschaft unter blauem Himmel genießen. Sobald wir die Abdeckung der nächsten Insel erreichen, ist der Wind ganz weg. Wieder Motor an. Hier weht so gut wie kein Wind, aber als Natalya nach vorne schaut, entdeckt sie, dass der vor uns liegende Canal Conception voll mit weißen, sich rasend schnell bewegenden Schaumkronen, ist. Was ist denn das für ein Spuk? Thomas stellt zufrieden fest, dass die weißen Pferde wenigstens Richtung Norden laufen. Also wenn es dort richtig bläst, dann für uns von hinten. Als wir die Stelle erreichen, ist der Schaum schon verschwunden.
Zwei Magellanpinguine strecken ihre Köpfe aus dem Wasser und berichten uns, hier sei es nicht weit bis zum offenen Ozean. So stolze Vögel wie sie sitzen nur selten in den gut geschützten und vom Ozean abgeschirmten Kanälen. Eine seichte, traumhafte Brise von 15 Knoten kommt aus Süden schiebt uns sanft und gleichmäßig mit 5 Knoten vorwärts. Ohne Böen, ohne Reffen, ohne Regen und Hagel, sondern unter dem blauen Himmel – was für ein Traum. Vorwindsegeln nach Norden. Wer hätte das gedacht! Die Berge glänzen feucht in der Sonne. In der Nacht hat es geschneit, jetzt schmilzt der Schnee. Am östlichen Ufer des Kanals entlang schwimmen zwei riesige Eisberge. Den ganzen Tag lang treffen wir auf kein anderes Schiff, kein einziges Zeichen der Zivilisation. Das ist eine Stimmung wie zur Anbeginn der Zeit.
Immer noch unter Segel biegen wir vom Canal Wide in den Estero Gage ab. Dieser Fjord ist wie aus einem Märchenbuch: sanft hügelig und dicht bewaldet wird er hinten von einem mächtigen Berg mit einer Schneekuppe gekrönt. An den Ufern trocknen Kormorane ihre Flügel. Im glatten Wasser spiegeln sich die Berge. Wir fahren an einigen kleinen Inseln vorbei, passieren eine Engstellen und lassen in der kleinen Caleta Shinda den Anker fallen. Schon beim Ausbringen der Leinen hört Natalya Papageien krächzen.
Gleich nachdem das Boot gesichert ist, gehen wir alle an Land. Die Kinder können mehrere Bäche ausfindig machen. Natalya und Thomas beobachten mit Begeisterung Kolibris, die am Ufer hin und her düsen. Natalya setzt sich unter einen Fuchsienstrauch, und kaum sind drei Minuten vergangen, kommt schon ein Kolibripärchen. Das Männchen ist schimmernd grün, und hat eine glänzend orange Kappe am Kopf. Das Weibchen ist grünlichbraun, und viel weniger auffällig. Natalya kann aus weniger als einem halben Meter Abstand beobachten, wie sie von Blüte zur Blüte wandern, in der Luft stehen bleiben und schließlich wieder verschwinden.
Arvid ist vom Strand und den Bächen so gefesselt, dass er gar nicht mehr nach Hause möchte. Zuhause jedoch angekommen, schlägt er vor, morgen weiter zu verlegen. „Papa, ich mag die Bucht nicht!“ – „Warum?“ – „Der Bach ist zu klein.“
Am nächsten Morgen ist unser Deck vereist. Es war wohl eine recht kalte Nacht, verspricht aber ein wunderbarer Tag zu werden. Da unser Buch von Wandermöglichkeiten spricht, sind wir auch entschlossen, diese in dieser Gegend so seltene Möglichkeit zu finden. Daher steigen wir früh am Morgen bei wolkenlosem Himmel ins Dinghy und fahren bis zum Ende des Fjords, Richtung des schneebedeckten Berges. Arvid und Franka fragen, ob wir den Berg besteigen können. Arvid erinnert sich, er habe ein Kraxe, der Papa könnte ihn hochtragen. Die Ufervegetation ist so dicht, dass wir keinen Weg finden. Dabei wäre „Weg“ eh im Sinne eines möglichen Durchgangs zu verstehen und nicht im Sinne einer schon vom Vormann vorbereiteten Route. Der das komplette Ufer säumende Wald ist hier so dicht, geht bis hoch auf den Berg und verhindert jegliches Durchkommen.
An einem lebhaften kleinen Fluss gehen wir an Ufer und lassen die Kinder spielen. Natalya versucht sich durch den Fluss landeinwärts zu arbeiten. Mehrmals überquert sie den Fluss, um weiter durchdringen zu können. Das Wasser ist so klar, dass die Tiefe nicht einfach einzuschätzen ist. Beim nächsten Versuch verschätzt sie sich und holt sich einen Gummistiefel voll eiskalten Wassers. Thomas, der sich auf einer anderen Route quer durch den Wald bis zu dem Fluss durchgekämpft hat, ist genau im richtigen Augenblick da, um das Ereignis zu filmen.
Wir kehren zurück zum Strand und spielen mit den Kindern. Sie schicken ihre Boote durch die Stromschnelle im Fluss Richtung Meer. Frankas Boot verschwindet auf dem Weg. Eine lange gemeinsame Suchaktion bleibt erfolglos. Tja, im Frühjahr mit Schmelzwasser, befreit es sich vielleicht wieder aus seinem unterirdischen Versteck und macht sich auf die lange Reise durch die Kanäle Wide und Conception Richtung Pazifik.
Die Zeit verfliegt. Es ist schon Mittag und Zeit, wieder zum Boot zurück zu kehren. Nach dem Mittagessen machen die Kinder Schule, während Natalya und Thomas auf den Hügel neben dem Ankerplatz steigen. Wenn der Revierführer sagt, hier müsse es eine gute Hiking-Möglichkeit geben, dann finden wir sie. Was uns in der Caleta Olla bei unserer ersten Wanderung an den Kanälen noch als ein undurchdringliches Terrain vorgekommen ist, kommt uns hier als eine Art Autobahn in Erinnerung. Während wir versuchen im weichen Moos einen sicheren Halt für die Füße zu finden, schlagen uns stachelige Büsche ins Gesicht. Sind wir damit beschäftigt, den Stacheln aus den Weg zu gehen, versinken die Beine bis zur Hüfte in den Löchern. Wir kriechen unter den abgestorbenen Bäumen, kämpfen uns durch Farne, ziehen uns an steilen Hängen hoch.
Schließlich haben wir es geschafft. Von dem kleinem Plateau haben wir einen Blick bis zum Ausgang des Fjords. Unter uns planschen Seelöwen im Wasser. Über uns kreischen zwei aufgeregte Möwen. Wir steigen wieder ab, suchen uns dafür einen noch unwegsameren Weg als vorher aus. Nach der Expedition findet Thomas noch ein Loch mehr in seiner Regenhose. Unten warten schon die Kinder auf uns. Sie sind mit der Schule fertig und wollen wieder zum Strand. Thomas holt noch Trinkwasser aus dem Bach. Wegen der ganzen Aufregung bei schönem Wetter und Landausflügen haben wir glatt vergessen Brot zu backen. So gibt es heute Abend zur Freude der Kinder Pfannkuchen.