(07.03.2016 – Tag 655 – 12.008 sm)
Eine fantastische Morgenröte begrüßt uns früh am Morgen. Die Berge und ihre Schneekuppen glühen im Licht der aufgehenden Sonne. Noch vor dem Frühstück fahren wir los, heute wollen wir den Asia-Gletscher erkunden.
Schon lange bevor wir überhaupt die Gletscherzunge sehen können, kommen uns die ersten Eisschollen entgegen. Es werden schnell mehr und immer mehr. Natalya hält am Bug Eiswache und hilft Thomas, freies Wasser zu finden, was mit der Zeit immer schwieriger wird. Wir biegen um die Ecke in den Estero Asia – immer noch keine Sicht auf die Gletscherzunge – und kriechen langsam voran. Ringsherum ist Eis, wir können uns nur sehr langsam und umsichtig bewegen. Trotzdem kratzt und kracht es immer wieder am Rumpf. Pealedelfine kommen und begleiten uns ein Stück des Weges. Im Gegensatz zu uns haben sie mit Eis nicht die geringsten Probleme. Eine größere Eisscholle stößt die Outer Rim von Steuerbord. Irgendwann schreit Natalya vom Bug: „Ich weiß nicht mehr wohin!“ Rundherum ist nur Eis, und die Gletscherwand ist noch nicht mal in Sicht. Dafür haben wir einen phantastischen freien Blick in den Estero Peel und auf seine mächtigen Schneeberge im Norden. Wir schalten den Motor aus und genießen den Augenblick. Wir lassen uns mit der Strömung und den Eisstücken treiben. Die Kinder finden eine wichtige Aufgabe: Mit dem Bootshaken dirigieren sie die um uns treibenden Eisschollen und stoßen sie von der Outer Rim weg.
Nach einiger Zeit verlassen wir das Eisfeld und fahren aus dem Estero Peel heraus. Als erstes biegen wir in den Kanal Pitt ein. Es ist heute so kalt, dass sich ein leichter Hochnebelschleier gebildet hat. Daher scheint die Sonne trotz des wolkenlosen Himmels etwas gedämpft. Absolut spiegelglatt ist der Kanal. Auf der ganzen Strecke kommt uns kein anderes Schiff entgegen. Nur ab und zu gesellen sich Delfine zu uns und begleiten uns ein Stück des Weges. Schade, dass man vom Canal Pitt auch bei schönem Wetter keine schneebedeckten Berge des patagonischen Eisfeldes sieht. Dafür begleitet uns eine tolle Kulisse von steilen schroffen Felswänden mit zunehmender Vegetation bis teilweise zum Gipfel hoch.
Wir wollen die ruhige Wetterlage maximal ausnutzen und fahren bis zum früheren Abend. Es sind im Moment mehrere andere Segler in der Gegend unterwegs, dass wir mit Spannung durch das Fernglas schauen, ob die von uns ausgesuchte Caleta Luna heute tatsächlich frei ist. Die Bucht ist breit, aber es gibt nur zwei Stellen, an denen man sich mit Landleinen legen kann, und eine davon ist voll mit Felsen und für uns vermutlich zu eng oder das Anlegen zu stressig.
Auf dem Weg in die hinterste Ecke der Bucht werden wir wieder von hier ansässigen Delfinen eskortiert, verscheuchen einen Otter, der in aller Seelenruhe untertaucht und einige Langflügel-Dampfschiffenten, die wie immer panisch wegrudern. Plötzlich ertönt ein lautes Brüllen. Thomas, schon voll konzentriert auf das anstehende Anlegemanöver in einer engen Felsausbuchtung, schaut sich irritiert herum. Noch mal Brüllen! Ein Seelöwenbulle schwimmt uns entgegen und brüllt uns an: „Meins! Meins! Hau ab! Hau ab!“ Schließlich sieht er es ein, dass wir größer sind und räumt sichtlich unzufrieden das Feld.
Die Bucht ist zwar so dicht bewaldet wie ein regelrechter Dschungel, paradoxerweise ist es aber alles andere als einfach, zwei geeignete Bäume für die Heckleinen zu finden. Auf den senkrechten und zum Teil sogar überhängenden Felsen, die das Ufer der Caleta bilden, wachsen keine geraden starken Bäume. Schließlich gelingt es Natalya die Leinen an zwei Bäumchen zu befestigen. Für den nächsten Tag ist zwar ordentlich Wind vorhergesagt, Thomas lacht aber, dass wir so gut geschützt sind, dass auch ein dünnes Schnürchen ausreichen würde.
Natalya erkundet am Abend die Bucht per Dinghy in der Hoffnung, den vertrieben Seelöwen wieder zu finden. Ein feines Riffeln auf dem sonst spiegelglatten Wasser zieht ihre Aufmerksamkeit auf sich. Sie greift mit einer Hand blind hinein und fängt einen kleinen roten Krebs. Mit einem Ösfass werden gleich ein halbes Dutzend Tierchen zu Studienzwecken gefangen und später an Bord analysiert.
Am nächsten Tag versuchen wir ans Ufer zu kommen. Der Dschungel ist aber so undurchdringlich, dass wir an einem kleinen Steinstrand bleiben müssen. Natalya versucht ein kleines Stückchen den Hügel hoch zu klettern. Sie balanciert auf den umgestürzten Bäumen, zieht sich an den Büschen hoch, und sieht vor sich nur eine grüne Wand. In einem tropischen Regenwald kommt nur sehr wenig Licht bis zum Boden, daher ist die Bodenvegetation dort eher spärlich. Hier lassen die lichten Baumkronen viel mehr Licht bis zur untersten Waldetage durch. Der ganze Boden ist mit saftig nassen Moosen, ausladenden Farnen und stacheligen Büschen bedeckt. Manche Farne sind so groß wie kleine Büsche. Umgestürzte Bäume werden von grünem Teppich wachsender Pflanzen und Moose überzogen. Nachdem der Baumstamm sich schon vollständig zersetzt hat, bleibt sein Außenskelett aus miteinander fest verflochtenen grünen Pflanzen erhalten. Diese Gebilde sind so stabil, dass sie beim Versuch darüber zu laufen (meist) nicht durchbrechen. Das hinterlässt auch in anderer Hinsicht bei einem Dschungelwanderer ein mulmiges Gefühl. Laufe ich hier auf festem Boden, oder liegt unter mir eine Kluft, die auf gleiche Weise von einem grünem Teppich überwachsen wurde? Schnell sinkt man hier ein oder zwei Meter tief in ein Loch. Ziemlich schnell wegen mangelnder Erfolgsaussichten endet Natalyas Dschungelexpedition wieder auf dem kleinem Strand.
Auf dem Weg zum Boot entdecken wir etwas im Wasser. In dem Glauben, es sei wieder ein spielfreudiger Delfin aus der Bande, die wir vorher schon getroffen haben, gibt Thomas Vollgas und hält darauf zu. Ups… unser alter Bekannter, der vom Ankerplatz vertriebene Seelöwenbulle springt erschrocken vollständig aus dem Wasser: „Ihr seid es schon wieder!?“, und macht sich eilig davon.