(28.02.2016 – Tag 647 – 11.817 sm)
Der Umweg nach Puerto Natales hat sich gelohnt. Tanks und Kühlschrank sind wieder voll. Die Crew hat jede Menge Sonne und regenfreie Tage getankt. Unser Weg führt aber weiter nach Norden, zurück in die Kanäle von Chile. Der Rückweg auf die Hauptroute führt wieder durch die Engstelle von Kirke. Daher müssen wir erst einmal ausrechnen, zu welcher Zeit wir heute losfahren sollen, um pünktlich zum Stillwasser dort zu sein. Es stellt sich heraus, dass wir dafür nicht früh aufstehen müssen und wir gemütlich in aller Ruhe frühstücken können. Danach fährt Thomas zu der Capitania de Puerto, beantragt eine neue Zarpe (Fahrgenehmigung) und meldet sich bei der Armada ab. Natalya und die Kinder verstauen währenddessen alle beweglichen Gegenstände, um das Boot seeklar zu machen.
Um zehn Uhr gehen wir Ankerauf. Wie immer läuft dabei natürlich der Motor, ist aber eigentlich unnötig. Die Segel werden gesetzt, und der Wind trägt uns gemächlich aus dem Fjord hinaus. Natalya will über Funk noch der Armada Bescheid geben, dass wir jetzt tatsächlich auslaufen. Die Armada ist jedoch der Meinung, dass wir zuerst zu ihnen sollen, um eine Zarpe zu bekommen. Es dauert, bis der Mann am anderen Ende der Leitung versteht, dass Thomas diese Zarpe vor weniger als einer Stunde schon bekommen hat.
Mit der Zeit nimmt der Wind zu. Er kommt gerade so, dass wir noch ohne kreuzen aber hart am Wind in die gewünschte Richtung segeln können. Da der Golfo Almirante Montt so breit ist, baut sich hier schnell eine Welle auf. Ohne Segeln wäre das schon eine heftige Schauekelei gewesen. Aber mit der Stabilität der Segel wird es eine angenehme Fahrt. Vor uns liegen schroffe, schneebedeckte Berge. Obwohl hin und wieder dichte Wolkenmassen aufziehen, liegen viele Gipfel noch frei. Ab und zu lässt die Sonne die weißen Gipfel leuchten.
An der breitesten Stelle der Bucht lässt sich eine kleine Gruppe Weißbauchdelfine blicken. Sie schwimmen achterlich neben der Outer Rim. Schnell werden es aber mehr Tiere. Links und rechts spritzt das Wasser und Delfine brausen auf uns zu. Es hat sich herumgesprochen, dass ein toller Spielgefährte mit 7 Knoten lautlos unterwegs ist. Die Weißbauchdelfine sind im Vergleich zu anderen Arten eher vorsichtiger und zurückhaltender. Mit einem brummenden Propeller kann man sie wohl kaum anlocken. Nach ein paar Minuten finden wir uns inmitten von 30 bis 40 Tieren. Sie springen fröhlich aus dem Wasser, tauchen unter unserem Heck. Lassen sich auf der anderen Seite kurz blicken und verschwinden in der Tiefe. Auch ein schwarzweißer Commerson-Delfin ist dabei. Erstmal sind wir unsicher, da unter der Wasseroberfläche auch die grauen Delfine eher als Weiß erscheinen. Dann kommt er ganz kurz auf die Wasseroberfläche und seine charakteristische Färbung ist unverwechselbar. Etwa eine halbe Stunde lang werden wir von den Tieren begleitet. Danach flaut der Wind ab und das Boot bleibt fast stehen, wir müssen die Segel ändern. Enttäuschung macht sich unter den Tieren breit, unsere Spielkameraden drehen ein Paar Kreise um das Heck herum, schauen uns erwartungsvoll an. Bevor Thomas mit der neuen Segelstellung fertig ist, ziehen sie ab.
Die Outer Rim schleicht unter voller Besegelung einige Minuten durchs Wasser… bis die nächste Regenfront anrückt und die darin verborgene Windböe das Boot ordentlich auf die Seite legt. Natalya, die unten ihre heiße Suppe löffelt, beobachtet wie das Wasser auf der Leeseite bis zur Mitte der Relingstütze steigt. Thomas steht fast knietief im sprudelnden Wasser und refft das Vorsegel. So viel zur Flaute … der Windmesser kommt schnell auf die üblichen 30 Knoten. Zum Glück zieht der Wind mit dem Regenfront weiter und es wird wieder ruhiger.
Als wir bei der Angostura Kirke ankommen ist das Timing perfekt. Das Wasser steht tatsächlich fast still, so dass wir keinerlei Schwierigkeiten mit dieser Passage haben. Bevor wir uns überlegen können, ob wir in der nahe gelegenen Caleta Desaparecidos bei den Seelöwen wieder halt machen, entdecken wir zur unseren Überraschung, dass aus der kleinen Bucht ein grauer Mast rausschaut. Für mehr als ein Boot ist da kaum Platz – jedenfalls bei unserer Bootsgröße. So fahren wir weiter und hoffen, dass die 20-30 Knoten Wind, die nach der Engstelle uns entgegen kommen, doch vorübergehend sind und nach dem gerade durchziehenden Regenschauer wieder verschwinden.
Und tatsächlich, unsere Hoffnungen werden erfüllt. Bis zur Caleta Jaime fahren wir ohne Probleme durch. Es geht sogar so gut, dass Thomas in den Canal Union, der für seine Welle berühmt ist und durch den unser weiterer Weg führen wir, hineinschauen möchte. Vielleicht könnten wir uns heute gleich bis zur Caleta Victoria durcharbeiten. Kaum schauen wir um die Ecke zum Kanal, werden wir von mächtigen Wellen erfasst. Erfreulicherweise nur von der Seite. Keine Frage, heute haben wir nicht wirklich Lust gegen diese Welle von vorne anzukämpfen. Wir queren den Kanal eine halbe Meile und wollen in der kleinen Bucht in Schutz der Isla Jaime ankern. Aber was ist denn das? Daraus schauen gleich zwei Masten raus! Während unserer zwei Monate in der Wildnis haben wir kaum andere Boote getroffen, und hier gleich drei während zwei Stunden. Wir packen unser Fernglas aus und identifizieren sie als Abraxas und Beduin. Das sind zwei deutsche Einhandsegler, die gemeinsam diese nicht einfache Route befahren. Sie haben uns auch erkannt, stehen an Deck und winken uns zu.
Das Wetter ist perfekt still. Natalya und Vsevolod fahren mit den Landleinen raus, und mit ein wenig Kletterei am steilen Ufer wird die Outer Rim schnell und sicher vertäut. Jetzt liegen drei Boote unter deutscher Flagge brav nebeneinander in einer kleinen Bucht.
Am nächsten Tag ist das Wetter für den Kanal Union eher ungeeignet. Der Schwell kommt sogar in der Caleta an und lässt die kleineren Nachbarboote fröhlich tanzen. Wir nutzen den Tag, um mit den Kindern ans Land zu gehen. Sie spielen mit Schiffchen, bauen Dämme und Kanäle. Natalya und Thomas klettern auf den Hügel, um von oben einen Blick auf die Landschaft zu werfen. Es ist im Grunde genommen nicht viel Neues, und bald will Thomas nicht mehr weiter. Natalya möchte noch schnell auf die andere Seite des Hügels schauen. Nur stellt sie fest, dass das gleiche Spielchen wie immer auch hier läuft. Kaum ist man an dem vermeintlichen Grat angekommen, entdeckt man, wie weit es doch noch nach oben geht. Realistisch gesehen würde es auch hier noch mindestens eine gute Stunde dauern, bis man den tatsächlichen Gipfel erreicht hat. Daher dreht Natalya um und will wieder zurück zu Thomas laufen. Nur mit dem Finden des Weges inmitten der gleich aussehenden Hügel und Büsche ist keine einfache Sache. Ein Mann in schwarzen Regenklammotten fällt auf dem Berg auch nicht wirklich auf. So läuft sie laut rufend einen ganz anderen Weg als den auf dem sie gekommen ist, und entdeckt Thomas endlich als sie schon fast unten angelangt ist. Das war schon einiges an Umweg dabei!
Als wir am Nachmittag aus dem Fenster schauen, entdecken wir noch ein Segelboot, dass sich unserer Caleta nähert … und so was gibt es doch gar nicht – am Boot weht die deutsche Flagge! So weit südlich treffen sich vier deutsche Boote gleichzeitig in einer Bucht. Gleich nach dem Ankern wird die Outer Rim angefunkt und eine freundliche Männerstimme stellt sich als Hansgeorg von Alumni vor und bietet uns an unser Heizungs-Ersatzteil aus Puerto Natales mitzunehmen und uns auf dem weiteren Weg zu übergeben. Wir sind sehr froh und erleichtert, dass Problem sich so leicht lösen lässt. Am Abend treffen wir uns am Bord der Alumni auf eine Flasche Wein und tauschen unsere Erfahrungen aus. Am nächsten Morgen fahren alle vier Boote weiter und die Caleta ist wieder leer.