(25.02.2016 – Tag 644)
Früh morgens lösen wir das Spinnennetz aus Landleinen, mit denen wir uns in der Caleta für das schlechte Wetter vorbereitet haben. Um Puffer zu haben, starten wir die Passage durch die Angostura Kirke nicht wie empfohlen zu der Zeiten des Stillwassers sondern eine halbe Stunde früher. Mächtige Strömung arbeitet gegen uns. Wir fahren nach den konventionellen Methode mit Deckpeilung von Seezeichen. Auf GPS und elektronische Karten ist in solchen engen Angelegenheiten kein Verlass, sie sind hier viel zu ungenau. Die Wirbel im Fahrwasser sind zwar beträchtlich aber mit Konzentration am Ruder kein Problem.
Ohne Zwischenfälle erreichen wir Canal Valdez, der uns zu einer breiten Bucht, dem Golfo del Almirante Montt, führt. Der Westwind freut sich über deren Ausdehnung und sorgt für eine anständige Welle. Mit bis zu 9 Knoten über Grund segeln wir an Wind in Richtung Puerto Natales. Einige Zeit lang begleiten uns Delfine. Das ist eine neue Art, die wir später als Weißbauch-Delfin identifizieren können. Sie sind ziemlich träge und reiten nicht auf den Bugwellen, sondern schwimmen ein wenig distanziert und zurückhaltend neben der Outer Rim.
Nach einiger Zeit erreichen wir die Landabdeckung von zwei Inseln und die Welle wird weniger. Dafür können wir fast bis zur Ankunft in Puerto Natales segeln. Am früheren Nachmittag fällt der Anker vor der Stadt, leider am gegenüberliegenden Ufer. Um die Stadt zu erreichen, müssen wir eine längere, durch die Welle etwas unangenehme Dinghyfahrt auf uns nehmen.
Nach dem Mittagessen gehen wir ans Land. Arvid freut sich riesig über die weiten Fußwege. Man muss nicht mehr durch das Gestrüpp kämpfen. Vor den Hunden bleibt er erstaunt stehen: das sind ja keine Seehunde, und sie haben keine Flossen! Das kleine Städtchen macht einen sehr aufgeräumten Eindruck. Es ist sehr durch den Tourismus geprägt, und die Heerscharen an Touristen sind überall gegenwärtig. Viele kleine Agenturen werben für Tagesreisen zum Nationalpark Torres del Paine in Chilie und Los Glaciales in Argentinien. Die zwei Parks sind so überlaufen und exorbitant teuer, dass wir uns nach langer Überlegung gegen den Besuch entscheiden. Auf Massen von Touristen haben wir nach zwei Monaten Wildnis keine große Lust.
Für die nächsten Tagen ist viel Wind vorhergesagt, daher verlegen wir das Boot nach Puerto Consuello – eine flache breite Bucht am Ende eines Fjords. An dessen Ufer steht eine historische Estantia, gegründet von einem Deutschen, Hermann Eberhard. Ende des 19. Jahrhunderts war sie eine der ersten Schafzuchtfarmen in Westpatagonien. Auch heute wird auf Estantia deutsch gesprochen. Wir müssen zwar von hier aus jedes Mal ein Taxi bestellen, falls wir in die Stadt wollen. Dafür liegen wir viel ruhiger und können (fast) jede Zeit mit dem Beiboot anlanden.
Der Wind lässt nicht auf sich warten. Zwei Tage lang bläst es so stark, dass unser Windgenerator vor lauter Existenzangst seine Arbeit verweigert. Und der ist nicht gerade zimperlich, unter 45 Knoten passiert ihm das nicht. Als eine besonders kräftige Bö die Outer Rim ordentlich auf die Seite legt, slippt unser Anker um einige Meter. Das können wir live am Plotter miterleben. Wir geben noch mehr Kette. Wirklich gefährlich ist das hier eher nicht. Das Wind ist ablandig, der Grund schlammig und die Bucht richtig groß. Da kann der Anker lange rutschen bis man irgendwo mit dem Kiel im Schlamm stecken bleibt.
In den Regenpausen erscheint vor dem dunkelvioletten Himmel ein auserordentlich intensiver Regenbogen. Sogar der Regenbogen 2. Ordnung ist vollständig klar und deutlich zu sehen. Die Kinder können es kaum abwarten, bis der Wind sich legt. Sie haben erfahren, dass man auf der Estancia reiten kann. Seitdem hoffen und bangen sie, ob man es auch Kindern erlaubt. Als wir für die Großen einen Reittermin ausmachen, sind sie überglücklich. Bis jetzt durften sie bloß mit zahmen Ponys auf einem Ponyhof reiten, und hier gibt es gleich einen Ritt mit einem großen Pferd durch die Wildnis.
Insgesamt ist das Wetter hier eine Erholung vom Regen in den Kanälen. Da Puerto Natales im Osten, d.h. im Lee bzw. Windschatten, der Anden-Kordillere befindet, kommen hier kaum Wolken an, die sich abregnen können. Die jährliche Niederschlagsmenge ist daher nur ein Zehntel dessen, was wir im Westen erlebt haben. Darüber freuen wir uns natürlich ganz besonders. Tagsüber sind die Luken offen, wir können das Schiff trocknen. Alle Matratzen wurden gelüftet, die Wände vom Schimmel befreit und die Schränke mal wieder gut durchgelüftet. Wäsche trocknet innerhalb von wenigen Stunden – nur muss man sie ordentlich festbinden, sonst trägt der Wind sie weg. Eine Verschnaufpause für Schiff und Crew.
Formalitäten und Besorgungen halten uns natürlich nach 2 Monaten Wildnis fest im Griff. Da wir einige Liter Diesel brauchen, kümmert sich Thomas um ein Tankerlaubnis. Die muss man sich erst mal bei der Armada, dem Militär, einholen. Die Armada hat zum Glück nichts dagegen, und stellt uns das gewünschte Papier aus. Damit bestellt Thomas bei der Tankstelle 800 Liter Diesel, die in einem Tankwagen zum Fischereipier geliefert werden. Wenn das klappt, bleibt uns dieses Mal Kanister-Schleppen erspart.
Einige Sachen suchen wir in der Stadt vergeblich. Arvid ist aus seiner Regenjacke herrausgewachsen, es gibt aber keine neue, für kein Geld der Welt. In der Region, wo es ständig und beständig regnet hat man Regenjacken noch nicht erfunden, und von Matschhosen erst recht nichts gehört. Erst wenn man Fischer ist, darf man einen Trockenanzug haben.
Wir freuen uns über das frische Obst und Gemüse und schleppen riesige über 15 kg schwere Wassermelonen an Bord. In der Innenstadt machen wir eine Pizzeria ausfindig, die ausgezeichnete Pizzen in einem Holzofen backt. Arvid ist ganz begeistert und würde am liebsten jedes mal wenn wir in der Stadt sind, egal zu welcher Tageszeit, direkt in die Pizzeria gehen. Das sind die Vorteile der Zivilisation. Bis wir das nächste mal Essen gehen können, dauert es mindestens weitere zwei Monate.
Für Morgen ist wieder Ablegen angesagt. Am Abend herrscht in der Bucht friedliche harmonische Stimmung. Es ist windstill und ruhig. Bei warmem gedämpften Licht der untergehenden Sonne geht Thomas noch ans Ufer, um die Eindrücke mittels der Kamera festzuhalten. Obwohl Thomas auf Vogeljagd geht, geraten auch einige Kaninchen vor die Kamera. Am Abend beschäftigt sich Natalya wieder mit Vogelbestimmung. Sie ist beinahe verzweifelt beim Versuch eine weiße Gans einzuordnen. Sie sieht wie eine Schneegas aus, die hier aber gar nicht vorkommt. Schließlich findet sie sich doch unter Schwänen. Das ist die kleinste Schwanenart – der Coscobaraschwan – mit gut 10 Tausend verbliebenen Vögel ziemlich selten zu finden.