(06.02.2016 – Tag 626 – 11.684 sm)
Es ist kaum zu glauben, aber auch an diesem Morgen herrscht absolute Windstille. Der Himmel ist stahlblau, keine Wolke zu sehen. Durch den Canal Smyth zieht ganz langsam eine tief liegende Nebelwolke und spitzt in den Paso Victoria hinein. Knapp über der Wasseroberfläche trennt sie das Blau des Wassers vom Blau des Himmels.
Beim Frühstück können wir uns immer noch nicht entscheiden, ob wir heute weiter ziehen sollen oder doch bleiben und die Sonne genießen. Dann kommen wir zum Schluss, dass es praktisch wäre das Wetter auszunutzen um wenigstens einige Meilen vorwärts zu kommen. Alles was ohne Wind gegenan gefahren werden kann, ist hier ein Gewinn. Weil es in Reichweite keine perfekt, das heißt von allen Winden, geschützte Bucht gibt, überlegen wir hin und her, ob wir gleich in Puerto Fontaine anhalten, von dem der Revierführer verspricht, dort sei es windig, oder die übernächste Ankerstelle ansteuern, die angeblich keine so starke Williwaws hat. Zu frisch sind die Erinnerungen an Puerto Angosto, so nehmen wir uns doch vor, weiter zu fahren.
Unsere Freunde von der SY Aramia haben wir nun seit über fünf Wochen nicht mehr gesehen, wissen aber, dass sie sich auf dem Rückweg von Puerto Natales befinden müssten. Auf gut Glück ruft Natalya auf Kanal 16 nach Aramia. Zu ihrer großer Überraschung kommt sofort eine Antwort von John. Sie befinden sich tatsächlich auf dem Weg zurück in den Canal Smyth und sind nur eine Stunde von Puerto Fontaine entfernt. Wir verabreden uns für ein gemeinsames Lunch in der Bucht. Als wir ankommen, lässt Aramia gerade ihren Anker fallen. Wir suchen auch einen Platz, was sich gar nicht so einfach gestaltet. Die Bucht ist sehr tief, in 30 Meter Tiefe wollen wir nicht ankern. Endlich findet Thomas eine weniger tiefe Stelle, das Dinghy wird heruntergelassen. Einige Peale Delfine beobachten das Geschehen aus sicherer Entfernung.
Thomas und die Kinder starten den Motor (ja, er funktioniert wieder!) und fahren zur Aramia, die bedingt durch die lange Suche, gar nicht so nah liegt, wie man sich für ein gemeinsames Lunch wünschen würde. Kaum beginnt der Motor zu arbeiten, tauchen im Fahrwasser des Dinghys einige Delfine auf. Die verspielten Tiere jagen dem Schlauchboot hinterher und bringen unsere Kinder zum lauten Johlen. Nur hinterher schwimmen ist langweilig, daher tauchen die Tiere unter dem Dinghy durch, kommen plötzlich ganz knapp neben dem Boot auf der anderen Seite auf, bringen eine Wasserfontäne mit sich und spritzen alle Bootsinsassen nass. Die Kinder bekommen gar nicht genug davon und rufen nach einer Zugabe. Thomas fährt im Slalom scharfe Kurven, was den Tieren und den Kindern noch mehr Spaß bereitet. Die Delfine springen vor Freude aus dem Wasser. Kaum steht das Dinghy schwimmen die Delfine ungeduldig dicht unter dem Boot, kommen bis auf Armeslänge heran und warten, bis dass Fangen-Spielen weiter geht. Als wir von der Aramia zurück kommen, wiederholt sich das ganze Spektakel. Die Delfine scheinen nur darauf zu warten, dass ein schneller Spielgefährte kommt und sie ein wenig unterhält.
Während das Schlauchboot von John und Penny uns annähert, tanzt Natalya ungeduldig auf der Badeplattform, um zu den Delfinen hinein zu springen. Unser Wasserthermometer zeigt wieder fast 20 Grad Celsius. Die Delfine sind da, sie springt rein, und das erste was sie spürt ist fast ein Kälteschock. Das Thermometer spinnt! Ein wenig verkrampft wegen der unerwartet starken Abkühlung, schwimmt Natalya neben dem Boot, die neugierigen Tiere halten sich in der Nähe auf. John gibt den Tipp, etwas unter Wasser zu tauchen. Das kostet zwar große Überwindung auch den Kopf ins kalte Wasser zu stecken! Aber als es tatsächlich geschafft ist, kommen einige Delfine sofort näher und tauchen direkt unter Natalya durch. Sie sieht ihre weiße Streifen unter sich vorbei flitzen. Die Tiere springen vor Freude aus dem Wasser und kreisen immer wieder um Natalya herum. Ein unvergessliches Erlebnis!
Als John und Penny bei uns ankommen, ist die Wiedersehensfreude natürlich groß. Wir tauschen unsere Erfahrungen aus und bekommen von ihnen Tipps für die Strecke, die sie schon hinter sich haben. So gerne hätten wir gemeinsam mit ihnen einen gemütlichen Abend im Cockpit verbracht! Sogar den windigen Ankerplatz hätten wir in Kauf genommen. Aber leider sind John und Penny im Stress. Sie haben in einigen Wochen einen festen Termin viel weiter im Norden und müssen sich richtig beeilen, um dorthin zu kommen. Auch heute haben wollen sie die ruhige Wetterlage ausnutzen und haben noch einige Meilen vor sich.
Wir verlassen die Bucht ebenso, um zur nicht weit entfernten Caleta Jaime zu kommen. Doch die ruhige Wetterlage veranlasst unseren Skipper statt der angepeilten Ankerbucht in 10 Meilen Entfernung in einen in Nord-Süd Richtung ausgedehnten Fjord Estero de las Montanas hinein zu fahren. Normalerweise herrscht dort ein starker Nordwind, gegen den man den beim Hineinfahren kämpfen muss. Wo der Wind ist, ist auch Welle… Heute ist alles perfekt still. Wir fahren an den imposanten Bergen vorbei, an den Gletschern, die hoch oben hängen, und an denen, die bis zum Wasser reichen. Je tiefer wir uns in den Fjord hinein arbeiten, desto schöner und schroffer wird die Umgebung.
Die Sonne sinkt langsam und durchleuchtet die sich hoch oben auftürmenden Eisberge, so dass sie uns in einem genialen Blauton erscheinen. Unzählige Wasserfälle stürzen die Berghänge herunter. Auch wenn es unglaublich schön ist, sind wir schon ziemlich müde und freuen uns riesig, dass die Caleta Mist bereits zu sehen ist. Aber was ist denn das: Da liegt schon ein Segelboot! Im Revierführer steht, die Bucht kann nur eine Yacht aufnehmen. Mit Fernglas lesen wir, dass das Schiff Karma heißt und unter amerikanischer Flagge fährt. Auf Funksprüche auf Kanal 16 antworten sie nicht.
Als wir in ihre Nähe kommen, erscheint endlich der Kapitän am Deck. Er hat sich mit 2 Bug und 2 Heckleinen in der Bucht ganz breit gemacht, spricht freundlich wie ein Grislybär von drohendem schlechten Wetter mit starkem Wind und weigert sich eine seiner Bugleinen zu lösen, damit wir auch einen Platz bekommen, was auch ohne Probleme möglich gewesen wäre. Wir bieten ihm an, seine zweite Bugleine über unser Boot wieder an Land zu führen. Aber nein, dazu hat er keine Lust, es kann unkomfortabel werden. Dabei gibt er uns gerne Tipps, dass einige Meilen vorher auch eine Bucht ist, und weitere am Ende des Fjords noch eine. Er war selbst weder in der einen noch in der anderen, aber kann uns beide wärmstens empfehlen, nur damit wir hier verschwinden. So eine nette Begegnung haben wir schon lange nicht mehr gehabt. Die südliche Bucht ist tatsächlich nicht weit weg, aber für uns zu flach, daher beißen wir die Zähne zusammen, bringen den Motor auf Hochtouren und fahren noch 12 Meilen weiter. Wir sind dankbar, dass der Wind immer noch schläft. Sollte Gegenwind kommen, würden wir für die gleiche Strecke doppelt so lang brauchen. Und das ist schon jetzt halb Acht!
Die Kinder essen zu Abend, die Kleinen gehen ins Bett. Die Großen müssen wach bleiben, um beim anstehenden Landleinenmanöver helfen zu können. Die Strecke ist spektakulär. So viele Gletscher auf einmal! Als wir an einem vorbei fahren begrüßt uns sein eiskalter Atem. Über uns ergießt sich ein Schwall eisiger Luft, als ob jemand einen gewaltigen Gefrierschrank aufgemacht hätte. Das Westufer wird sehr steil und bildet fast eine senkrechte Felswand. Breite Wasserfälle fallen aus großen Höhen herunter. Obwohl die Menge an Wasser, die sie führen, gar nicht klein ist, kommen unten nicht alle an. Der aufkommende Wind zerstäubt sie zu einem feinem Wasserspray und trägt es weg.
Am Ende des Fjords erhebt sich ein gewaltiger weißer Riese. Vor ihm liegt unser neues Ziel – Caleta Pelagic. Normalerweise ist unser Anker sehr zuverlässig. Es sei denn man ist müde und möchte das Ankermanöver möglichst schnell hinter sich bringen. Dann greift er aus reinem Trotz nicht. Als eine Heckleine schon fest ist, müssen wir sie wieder einholen und umankern. Der zweite Versuch ist erfolgreicher. Die Heckleinen sind schnell angebracht. Natalya bringt in Erwartung schlechten Wetters noch eine Bugleine aus. Dafür muss sie lange Leinenwerfen üben. Die Bäume, die die Leine halten könnten, wachsen an einer steilen Wand, auf die man nicht hochklettern kann. Aber auch das ist erledigt, so dass wir jetzt uns endlich nach so einem langen, emotions- und ereignisreichem Tag zu Ruhe kommen können. Es ist schon halb Elf, so spät waren wir hier noch nie unterwegs. Im Gegensatz zum Dezember wird es auch hier bald ganz dunkel.
Wir sind trotz der zusätzlichen Strapazen dankbar, dass wir durch die SY Karma gezwungen waren, bis ins nördliche Ende des Fjordes zu fahren. Wir liegen absolut geschützt vor einem riesigen Gletscher und dem davor liegenden Wald auf der Moräne. Das Schiff liegt mit Blick nach Süden über den kilometerlangen, schmalen Fjord mit seinen steilen Wänden, gletscherbedeckten Hängen und unzähligen Wasserfällen. Einer liegt so nahe, dass wir ständig sein Rauschen hören. Ist der Weg nach Puerto Natales schon ein Umweg zur direkten Strecke nach Norden, so ist dieser Fjord ein weiterer Umweg vom Umweg. Es ist schon ein bewegendes Gefühl, an einer Stelle zu sein, die von nur ein oder zwei Yachten pro Jahr erreicht wird. Sicher werden wir ein paar Tage hier bleiben und die Gegend erwandern.