(Tag 563 – 11.053 sm)
Nach einer ruhigen Nacht in Puerto Deseado verlassen wir am nächsten Morgen den Hafen – natürlich erst nachdem Thomas beim Ausklarieren war. Bis zur Meerenge von Le Maire – etwa auf 450 Meilen – gibt es keine einzige sichere Möglichkeit sich vor dem schlechten Wetter zu verstecken. Die wenigen vorhanden Häfen wie San Julian oder Santa Cruz sind für kleine Boote ungeeignet und daher zu gefährlich. Beim Wind gegenan bleibt nur die Möglichkeit beizudrehen und abzuwettern. Wir treffen auf einen moderaten, später kräftigen Nordwind, der uns gut 150 Meilen am Stück vorwärts bringt. Von Süden kommen anfangs kräftige Wogen, was uns vermuten lässt, dass der gestrige Südwind doch recht stark gewesen ist. Ein Funkgespräch mit der SY Aramia bestätigt unsere Vermutung. Gestern kämpften sie den Tag über gegen 30-40 Knoten Südwind und sind kaum vorwärts gekommen. Das gute an schlechtem Wetter ist, dass hier eine Wetterlage kaum länger als einen halben bis max. einen Tag anhält. Das gleiche gilt leider auch für günstige Winde. Jetzt ist unser Nordwind weg, und wir warten darauf was als nächstes kommt. Wir überholen unter Motor einen Traditionssegler – Dreimaster mit Rahsegeln. Sein Ziel ist Kap Hoorn. Zur unserer Überraschung entdecken wir wenig später auf unserem Plotter das AIS-Signal eines anderen Seglers. Wir haben so lange kein neues Schiff mehr getroffen, und jetzt auf einmal gleich zwei an einem Tag. Bald funkt der Skipper uns an und erkundigt sich, ob wir einen aktuellen Wetterbericht für die Passage durch die gefürchtete Le Maire Straße haben.
In der Theorie heißt es, dass Dreiviertel der Zeit der Wind aus West kommt und man daher nah an der Küste bleiben soll. Dort ist man bei ablandigen Winden vor den großen Wellen geschützt. Bis jetzt hatten wir auf der ganzen Strecke von Mar del Plata nur einen halben Tag Westwind, und das an dem Tag, an dem wir es am wenigsten brauchen konnten. Auch jetzt bleibt er aus, und nach einem ganzen Tag mit ständig drehenden schwachen Winden kommt kräftiger Wind aus Osten, der einen ganzen Ozean zur Verfügung hat, um eine ordentliche Welle aufzubauen. Schon nach einer Stunde kommen mächtige Wogen, die mit Krawall gegen unseren Bug schlagen. Wir haben uns entschieden morgen Mittag in die La Maire Straße einzufahren. So steht beidreihen nicht zur Debatte und wir segeln erstmal hart am Wind durch das schlechte Wetter. Die Kinder gehen schlafen. Arvid wacht kurz auf und erzählt, dass er von einer holprigen Dinghyfahrt geträumt hat.
Am nächsten Morgen sichten wir Land – Ihla Grande des Feuerlandes. Sie entspricht voll ihrem Namen. Kahle, steile, grauschwarze Bergrücken mit Schneefeldern erscheinen im Westen. Ein wenig später tauchen im Osten die schneebedeckten Berge der Ihla de los Estados aus den Wolken auf. Dazwischen liegt die Le Maire Straße. Laut Revierführer kommt es dort bei ungünstigen Wetterbedingungen zu stehenden Wellen über zehn Metern hoch und Strömungsgeschwindkeiten von acht Knoten und mehr. Kurzzeitig ändern wir den Kurs und wollen Puerto Hoppner auf Ihla de los Estados anlaufen. Es soll dort wunderschön sein, in einer engen Caleta, umgeben von Wildnis. Nur vier Militärbeamte leisten auf der Insel ihren Dienst ab. Wir studieren Tidentabellen und zwei Revierführer. Thomas bricht es das Herz, aber die Tide passt einfach nicht. Wir könnten zwar die größere äußere Bucht anlaufen. Aber von dort aus muss man durch eine Engstelle, die nur 10 Meter breit ist, in die innere Bucht. Ansonsten ist man dem atlantischen Schwell ausgesetzt. Die Durchfahrt ist aber nur in einem kurzen Zeitraum zwischen auflaufendem und ablaufendem Wasser möglich, an dem die starke Strömung zum Stillstand kommt. Den haben wir gerade verpasst. Wir könnten zwar auf die nächste Gelegenheit knapp 24 Stunden später warten – aber für die Nacht und den nächsten Tag ist starker Wind aus Nord vorhergesagt. Mit solchem Winden wollen wir nicht ungeschützt in der äußeren Bucht liegen und auch nicht durch die Engstelle zwischen vielen Felsen hindurch fahren. Also streichen wir die Bucht und den Besuch der Ilha de los Estados. Die Frage, ob man für diese Insel eine Extragenehmigung braucht, wer sie ausstellt, und was passiert, falls man ohne sie an Land geht, haben wir auch nicht klären können.
Vor der Meeresenge tummeln sich viele Tiere im Wasser. Lange Zeit begleiten uns Pealedelfine. Sie reiten gerne auf den Bugwellen der Outer Rim, tauchen knapp unter dem Bug durch und erscheinen auf der anderen Seite wieder. Manche tauchen komplett aus dem Wasser auf und führen Rollen vor, oder sie schlagen im -Flug mit der Schwanzflosse mehrmals auf die Wasseroberfläche. Sie haben sichtlich Spaß an dem Spiel mit unserem Schiff. Man hofft, dass sie sich dabei nicht am Rumpf verletzten. Natalya sichtet zwei Flossen im Wasser, die aus der Ferne wie Flipper eines kleinen toten Wals wirken. Als wir näher kommen, entpuppen sie sich als zwei Seelöwen, die auf dem Rücken mit jeweils einer ausgestreckten Flosse synchron nebeneinander treiben. Neugierig stecken sie ihre Nasen aus dem Wasser, recken den Hals um zu schauen, was an ihnen vorbei schwimmt. Unzählige Albatrosse und Sturmvögel gleiten lautlos durch die Luft. Fische sehen wir direkt zwar keine, aber von irgendetwas muss diese ganze Menge sich ernähren können. Es war für uns lange Zeit ein Rätsel, was Albatrosse überhaupt jagen. Wir haben schon einige Hundert Tiere gesehen, aber noch nie eines, das ins Wasser eintaucht oder im Fliegen etwas von der Oberfläche pickt. Obwohl diese majestätischen Vögel scheinbar mühelos ohne einen einzigen Flügelschlag knapp über der Oberfläche gleiten, können sie im Fliegen nicht jagen. Sie müssen erst mal landen, um schwimmend nach Tintenfischen und anderen kleinen Tieren zu suchen. Da sie es bevorzugt in der Nacht machen, haben wir sie dabei noch kein einziges Mal beobachten können.
Wir fahren in die La Maire Straße ein… und sie ist absolut ruhig, nicht mal an den wildester Stelle – dem Kap San Diego – sind brechende Wellen zu sehen. Da haben wir schon was wesentlich Wilderes erlebt. Die Einfahrt in Golfo Nuevo war unvergleichbar härter. Wir sind für solche Bedingungen sehr dankbar. Nur die Strömung irritiert uns. Nach dem Studieren von zwei Revierführern fahren wir zwei Stunden nach Hochwasser in die Straße ein, und die Strömung arbeitet trotzdem die ganze Zeit mit 2-3 Knoten gegen uns. Die Lösung dieses Rätsel werden wir wahrscheinlich nie erfahren. Vielleicht hat der vorher herrschender Südwind in die Straße so viel Wasser hereingeschoben, dass nicht mal der Ebbstrom dagegen ankommt.
Nach der Meeresenge fahren wir ganz nah am Land. Die Sonne scheint, es weht ein leichter Wind und wir können den Anblick der Berge im warmen Abendlicht voll genießen. In dem Bewusstsein, dass wir gerade soeben das Tor nach Feuerland passiert haben und vor uns das mythische Land am Ende der Welt offen liegt. Der Anblick ist beeindruckend. Steil abfallende Hänge, tiefe Schluchten direkt am Meer, dazwischen leuchtend grün bewaldete Hügel. Und kein Anzeichen von Zivilisation – kein Haus, keine Straße. kein Mensch.
Kräftiger Nordwind löst die Windstille ab. Er kommt gleich mit 20-30 Knoten. Wir sind froh, die Straße rechtzeitig passiert zu haben. So glatt wie vorher ist sie wohl bei so einem Wind mit Sicherheit nicht mehr. Die Strömung arbeitet weiterhin gegen uns. An manchen Stellen bis zu vier Knoten. Obwohl wir mit bis zu 10 Knoten durch das Wasser gleiten, was für ein Segelboot unserer Größe schon fast die maximale Geschwindigkeit ist, kommen wir nur mit mageren 5-6 Knoten über Grund voran. Die Strecke von 60 Meilen bis zum geschützten Beagle Kanal erscheint ewig lang. Zum Glück kommt der Wind aus Norden, so dass wir von Land geschützt werden, und keinen großen Wellen ausgesetzt sind. Die Crew geht schlafen, Thomas bleibt die ganze Nacht am Steuer, ist dem peitschenden Wind und der Kälte ausgesetzt und kann für keine Minute die Augen zumachen. Die Krängung ist beträchtlich, Natalya fragt mehrmals, ob wir nicht langsamer segeln können. Im 4. Reff rasen wir immer noch bis zu 10 Knoten durchs Wasser. Weniger Segelfläche geht nicht ohne Höhe zu verlieren. Aus dem Kanal kommen uns einige Schiffe entgegen. Das Luxuskreuzfahrtschiff Hanseatic fährt in weniger als einer halber Meile Entfernung an uns vorbei und macht keine Anstalten den Kurs zu ändern, um uns mehr Leeraum zu geben. Thomas ist schon so hart am Wind, dass für uns keine Kursänderung möglich ist. Den Luxusdamper scheint es nicht zu stören. Auf mehr als 10.000 Meilen, die wir bis jetzt hinter uns gelassen haben, ist das das erste Mal, dass ein großer Schiff einer Segelyacht unter Segel keinen Sicherheitsabstand gewährt. Hat die Besatzung den Radar ausgeschaltet oder sind denen die Vorfahrtsregeln so egal und es gilt der Größere hat Recht?
Als Natalya und Kinder morgens aufwachen sind sie von Anblick der Panorama des Beagle Kanals überwältigt. Mächtige Berge mit verschneiten Gipfeln herrschen in der Ferne. Grüne Wälder säumen die hügeligen Ufer. An den grünen Inseln mitten im Kanal sind unzählige Vögel zu sehen. Wir lassen unser Anker in Bahia Renegada am Nordufer fallen, und der glückliche Skipper darf endlich schlafen gehen. Als er wieder aufwacht, erntet der Skipper von Franka einen Kommentar: „Papa, du muss in der Nacht nicht so schnell fahren, dass wir Funken sprühen!“