(Tag 553, 10.331 sm)
So faszinierend wie es ist, Wale aus der Nähe zu beobachten, so unangenehm ist es, vor Anker seekrank zu werden. Bei östlichen Winden kommt Schwell ungehindert in die Ankerbucht von Puerto Madryn und lässt das Boot heftig rollen und in den Wellen tanzen. Man kann aber in Argentinien einen Hafen nicht einfach so verlassen. Wir müssen zuerst bei der Prefectura zum Ausklarieren. Nachdem alle Formalitäten erledigt sind und auch die Strafe dafür, dass Thomas mit den Kindern im Dinghy einem Wal zu nahe kam, gezahlt ist, segeln wir unter leichtem Wind aus dem Golfo Nuevo heraus Richtung offenes Meer. Was für ein Unterschied zu unserer ersten Bekanntschaft mit dem Golf. Statt krachenden Wellen und peitschendem Wind begegnet uns eine fast spiegelglatte See, die nur gelegentlich von leichtem Rippeln durchzogen wird. Einige Wale kreuzen unseren Weg. Einer taucht in unserer Nähe auf und reißt sein Maul auf, so dass eine Reihe langer Barten deutlich zu sehen ist. Wir verabschieden uns von den Walen, so schnell und insbesondere so nah bekommen wir sie nicht wieder zur Gesicht.
Direkt am Ausgang scheint das Wasser wegen der Gezeitenströmung zu kochen und die Strömung ändert mehrmals ihre Richtung. Es ist aber keine Welle da, und diese gespenstische Stille hinterlässt fast ein unheimliches Gefühl. Franka fragt im Ernst, ob das der gleiche Golf ist, durch den wir uns vor einer Woche mit Ach und Krach in die entgegengesetzte Richtung den Weg nach Puerto Madryn erkämpft haben.
Unser nächstes Ziel ist Punta Tombo, die größte Kolonie von Magellan-Pinguinen weltweit. Man schätzt den Bestand auf eine halbe Million Tiere, die dorthin jedes Jahr zum Brüten kommen. Mit leichtem Nordwind segeln wir entspannt durch die Nacht. Bis der Wind uns gänzlich verlässt. Früh am Morgen startet Thomas den Motor, damit Natalya und die Kinder nicht vom Schlagen der Wellen gegen das Heck des dahin treibenden Bootes geweckt werden. Als es hell wird, entdecken wir zur unseren Überraschung die SY Aramia vor uns in der Ferne. Sie haben uns in der Nacht überholt. Entweder segeln sie sportlicher durch die Nacht oder sie schalteten schon früher ihren Motor an.
Nachdem der Anker gefallen ist, legen wir uns auf die Lauer und warten auf die Pinguine. Die Kolonie ist ja ein Naturreservat und darf nicht betreten werden. Wir müssen also auf unserem Boot bleiben. Es sind zwar viele am Strand zu sehen und stehen dicht gedrängt am Strand, aber die Bucht ist so riesig und die Entfernung zum Land so weit, dass wenige Tiere von nahem zu sehen sind. Obwohl wir durch das Fernglas beobachten können, wie sie anlanden und den Hügel hinauf und hinunter watscheln, breitet sich etwas Enttäuschung aus. Irgendwie haben wir uns das anders vorgestellt. Einzelne Tiere kommen nahe an der Outer Rim vorbei. Man kann beobachten, wie vergnügt sie sich im Wasser bewegen – eine Rolle machen, mal auf dem Rücken mit den Füßen nach vorne treiben.
Eine Seelöwenfamilie mit einem Weibchen und vier Jungtieren taucht direkt neben unserem Boot auf. Das Wasser ist so klar, dass man die Robben auch unter Wasser deutlich sehen kann. Sie spielen miteinander und tauchen unter dem Boot durch, tauchen kurz auf, schauen uns neugierig und verstecken sich sofort wieder. Die Kinder rennen aufgeregt von Backbord nach Steuerbord und wieder zurück um die Tiere besser sehen zu können. Arvid ruft: "Robba! Robba!"
Kurz vor dem Abendessen verabschieden sich John und Penny per Funk, heben den Anker und setzen die Segel. Eigentlich haben wir geplant, dass wir in der Buch übernachten und ausschlafen. Aber daraus wird nichts. Der gerade heruntergeladene Wetterbericht sagt nun nichts mehr von Südwind über Nacht sondern weiterhin aus Nord. Die sich in der nach Norden offenen Ankerbucht aufbauende Welle wird immer unangenehmer. Wir essen schnell zu Abend und setzen dann auch die Segel. Es ist viel angenehmer mit dem Nordwind nach Süden weiter zu segeln als vor Anker in der Nacht kräftig durchgeschüttelt zu werden – auch wenn das für den Skipper eine weitere schlaflose Nacht bedeutet.
Während unserer Weiterfahrt sehen wir in der Ferne Wetterleuchten, jedoch ziehen die Gewitter mit großem Abstand an uns vorbei. Der Wind schiebt uns teilweise mit 7 Knoten Geschwindigkeit durch die Nacht. Als die Kinder aufwachen fahren wir durch den Canal Leones zwischen der Isla Leones und dem Festland. Eine kräftige Strömung von 5 Knoten hilft uns schneller voranzukommen. Da das Meer draußen ganz ruhig ist, entsteht auch im Kanal keine unangenehme Welle. Man kann sich aber ausmalen, wie es hier bei einem starken Wind wohl aussehen mag.
Schon bevor wir den Anker an der Südwestecke der Isla Leones fallen lassen, sind wir absolut begeistert. Der ganze Strand ist voll mit Pinguinen und Seelöwen, und die letzteren sorgen für einen ohrenbetäubenden Krach. Nach einem schnellen Frühstück setzen wir unser Schlauchboot ins Wasser und fahren zum Strand. Der Versuch bei den Seelöwen anzulanden sorgt für Panik bei den Tieren. Wer hätte das gedacht, dass sie so empfindlich sind. Der Hausseelöwe in Piriapolis hat ja ganz entspannt auf den Badeplattformen der Boote gelegen. Dort hatten wir eher Sorgen, dass er in unser Dinghy einsteigt. Da die Tiere hier nicht Richtung Land fliehen können, stürzen sie sich ins Wasser. Wir sind von Dutzenden Seelöwen umgeben. Sie schwimmen um unser Boot herum, strecken ihre Köpfe halb neugierig halb ängstlich aus dem Wasser. Arvid ist leicht nervös und schreit den Tieren: "Nicht Dinghy beißen!" Wir entschuldigen uns für eine ungewollte Störung und suchen uns einen ruhigeren Landeplatz.
Auf dem Weg dorthin bleiben wir zum ersten Mal bleiben mit unserem Schlauchboot in einem Kelpwald stecken. Kein großes Problem – mit vereinten Kräften schieben wir das an der Oberfläche schwimmende Grünzeug zur Seite. Nachdem wir unser Dinghy an Land geschoben haben, was bei einem Tiedenhub von 5 Metern keine Kurzstrecke ist, laufen wir den Hügel hinauf. Vsevolod will unbedingt den seit Jahrzehnten verlassenen Leuchtturm besichtigen. Durch dichte Grasbüchel und Geröll kämpfen wir uns bis zu dem höchsten Punkt der Insel. Überall wachsen kleine, gedrungene Büsche und viele blühende Kakteen. Ihre Blüten leuchten in weiß und orange. Auf dem Weg entdecken wir alte Eisenbahnschienen. Es war wohl mehr als nur ein Leuchtturm auf der Insel. Vielleicht ein Militärstützpunkt? Das Leuchtturmgebäude hat einige Zimmer, eine Küche, mehrere Bäder. Zum Teil sind noch Möbelreste, ein alter eiserner Herd und verrostete Kannen und Töpfe erhalten. Eines der Nebengebäude identifizieren wir als eine Sauna. Am Boden liegt ein halb zerfallenes Handtuch.
Wir laufen zurück zum Strand und kommen durch eine Pinguin-Kolonie. Unter jedem der Büsche verstecken sich nistende Pinguine! Wir schauen in ihr Wohnzimmer, sie beobachten uns neugierig, drehen den Kopf mal links mal rechts und regen sich überhaupt nicht auf. In einem der Nester erblicken die Kinder ein sorgsam gehütetes Ei. Da ihre Nester ungeschützt am Boden liegen, die Tiere sich kaum wehren können, sind Pinguinkücken leichte Beute für hungrige Raubtiere. Auch erwachsene Tiere erwecken einen völlig schutzlosen Eindruck. Als wir uns ihnen nähern machen sie überhaupt keine Anstalten vor uns wegzulaufen.
Wir setzen uns am Strand hin und beobachten begeistert die Pinguine und die Seelöwen. Die Bullen sind ein kompletter Gegensatz zu den Pinguinen. Sie stellen sich zwischen uns und ihrem Harem, legen den Kopf nach hinten wir die echten Löwen, und brüllen lauf: "Du kommst mir zu nah!" In einer Ecke des Strandes finden wir komische Seelöwen, deren ihr Fell deutlich in Lumpen herunterfällt – sie bekommen ihr Sommerfell. Dabei sind sie ungewöhnlich dick, eher tonnenförmig. Als sie ihren Maul aufmachen, stellt es sich heraus, dass sie nur kleine Zähne besitzen. Zwei Babys sind auch dabei. Im Gegensatz zu erwachsenen Tieren, deren Fell hellbraun gefärbt ist, sind die Babys hellgrau. Sie schauen uns mit ihren riesigen kugelrunden Augen an. Als ein Baby sich neugierig unter großer Anstrengung in unsere Richtung robbt, wird es von seiner Mutter angefaucht. Dann macht sie sich große Mühe, dreht sich um, und faucht uns mit an. Es war schon viel zu viel Aktion, später liegt die ganze Gruppe wieder bewegungslos am Strand. Wieder zuhause schlagen wir nach, dass wir soeben Seeelefantendamen gesehen haben. Im Gegensatz zu Männchen haben sie keinen auffällig geformten Rüssel, deswegen konnten wir sie vor Ort nicht einordnen.
Wir hätten gerne hier übernachtet mit Seelöwenkonzert im Hintergrund, aber der Ankerplatz ist nur bei gutem Wetter zu empfehlen und wir haben nicht wirklich Lust in der Nacht von Starkwind überrascht zu werden und im Dunkeln zwischen uns unbekannten Felsen eine neue Bleibe suchen zu müssen. Es weht schon seit frühem Morgen kein Wind, die Hitze in der Sonne ist drückend, der Himmel im Norden ist mit dunklen Wolken belegt. Es fühlt sich wie eine Ruhe vor dem Sturm an. Wir verlegen in die sichere Caleta Horno.
Wie tol sind die Pinguine!