(Tag 557 – 10.334 sm)
Die argentinische Küste ist mit Sicherheit kein Seglerparadies. Entlang der 800 Meilen langen Strecke von Mar del Plata bis zur Meeresenge von Le Maire kann man die sicheren Ankermöglichkeiten mit den Fingern einer Hand abzählen. Umso mehr freut man sich auf so einen Zwischenstopp wie in der Caleta Horno. Nicht nur von allen Winden geschützt, sondern auch wunderschön, ist sie für jeden Segler in dieser Gegend ein Muss. Unsere Freunde und Nachbarn von der Segelyacht Aramia, die schon ein mal die Welt umsegelt haben, zählen sie zu den Top 10 der Welt. Auch wir freuten uns schon seit langem auf die Ansteuerung dieser besonderen Ankerbucht, hatten wir doch bereits so viel Positives darüber gelesen.
Nach einem aufregenden Tag auf Isla Leones mit all den Tieren dort fahren wir endlich zur Caleta Horno. Mulmig ist dem Skipper schon. Schaut man sich die Seekarte an, so scheint der Platz zum Manövrieren echt eng. Und dann unterscheiden sich die Tiefenangaben der Seekarte und im Revierführer, und entsprechend beider Angaben wird es knapp mit der Handbreit Wasser unterm Kiel. Und heute ist auch noch Spring, d.h. das Niedrigwasser sehr niedrig. Aber andere Segler haben das geschafft, also werden wir das auch schaffen.
Der Eingang liegt in der hinteren Ecke einer größeren Bucht versteckt und auf den ersten Blick nicht zu sehen. Man muss zuerst um die Ecke fahren, erst dann öffnen sich die Felsen und ein Fjord mit türkisfarbenem Wasser liegt vor uns. Hier ist kein Platz zum Swojen, daher müssen wir uns mit zwei Leinen am felsigen Ufer festmachen. Da es unser erstes Landleinenmanöver ist, sind wir natürlich ziemlich angespannt. Die Rollen werden verteilt. Thomas bleibt auf Outer Rim und steuert das Schiff, Vsevolod fährt Natalya im Dinghy rüber, damit sie Landleinen an den Felsen befestigen kann. Franka passt auf dem Outer Rim auf, dass die Leinen richtig von den Trommeln laufen. Unsere Großen sind stolz, so verantwortungsvolle Aufgaben zu haben, und erleichtern uns deutlich die Arbeit.
Es ist gar nicht so einfach einen passenden Felsen zum Befestigen der Leinen zu finden: zu klein, zu groß, zu scharf, zu locker… Nach einer halben Stunde ist die Arbeit erledigt, und das Boot liegt sicher vor Anker mit zwei Heckleinen am Land befestigt. Dichte Wolkenmassen quellen über die Berge. Wir sind froh, den ungeschützten Ankerplatz bei der Ilha Leones rechtzeitig verlassen zu haben. Eine solche Übung zum ersten Mal bei 30-40 Knoten Seitenwind durchzuführen, wäre sicherlich nicht so witzig und entspannt gewesen.
Am nächsten Morgen herrscht absolute Ruhe in der Bucht. Das Wasser ist spiegelglatt, eine Seelöwe schnuppert neugierig am Boot. Man vergisst schnell den stürmischen Südatlantik mit seinen harten Winden und mächtigen Wellen. In den letzten Tagen waren wir viel unterwegs, sowohl an Land als auch auf See. Das heißt Schule muss nachgeholt werden. Obwohl die Bucht so abgelegen ist und Dutzende Kilometer von jedem Ort und Straße entfernt ist, hört Thomas gegen Mittag am Ufer einen Mann, der mit einer Pfeife auf sich aufmerksam macht und Thomas zu sich herüberwinkt. Er selbst hat kein Boot. Zu unserer Überraschung ist es ein Beamter der Prefectura, der argentinischen Küstenwache. Er weiß schon im Vorfeld, wie unser Boot heißt und wie viele Menschen an Bord sind und will das nur bestätigt haben. Die tägliche Meldepflicht in Argentinien ist keine reine Formalität. Die Küstenwache weiß tatsächlich sehr genau Bescheid über jedes Schiff, das sich in ihren Gewässern befindet. Das löst zwiespältige Gefühle aus. Auf einer Seite erinnert man sich gerne an die Militärdiktatur, die das Land viel zu lange beherrscht hat, auf der anderen Seite ist man froh, dass die Küstenwache so effizient arbeitet und man im Notfall schnell gefunden werden kann.
Erst am Nachmittag fahren wir an Land. Die Hauptaufgabe heißt: Guanakos zu finden. Es ist zwar Frühling hier, aber die Vegetation ist ziemlich trocken. Wir kraxeln durch die Felsen, die mit dornigen Büschen bedeckt sind, und durch die hohen und trockenen Grasbüschel. Die Guanakos haben hier schon ein hartes Leben. Nicht zu vergleichen mit einer bayerischen Alm mit ihren saftigen Wiesen. Überall sehen wir Spuren der Guanakos: Ihre Hinterlassenschaften sammeln sie meist an bestimmten Orten zu großen Haufen, die Tiere selbst aber sind scheu und daher nicht einfach zu finden. Vor allem dann nicht wenn man vier Kinder dabei hat, die vorher einige Tage keinen Ausgang hatten.
Wir arbeiten uns zügig nach oben bis zum höchsten Punkt der Gegend. Von dort aus bietet sich ein atemberaubender Panoramablick. Es ist wolkenlos. Das tiefe Blau des Ozeans mischt sich am Horizont mit dem strahlenden Blau des Himmels. In der Ferne ist der Leuchtturm des Ilha Leones zu erkennen, den wir noch am Vortag besichtigt hatten. Es ist sehr windig, die Kinder nehmen ihre T-Shirts ab und breiten sie als Segel aus und werden dabei fast weggeblasen. Nicht weit von uns entfernt entdeckt Vsevolod plötzlich ein Guanako. Das Tier bleibt stehen und beobachtet uns aufmerksam. Wir machen einen Schritt in seine Richtung, es tritt vorsichtig zwei Schritte weiter, rennt dabei aber wider Erwarten nicht gleich weg. Beim Abstieg sehen wir weitere Tiere. Auch ein Junges ist dabei.
Arvid ist zum großen Abenteuer geworden. Er will über Stock und Stein alleine laufen und macht das ganz geschickt. Er schleppt dabei gerne große Steine mit sich herum. Wieder unten angekommen paddelt Vsevolod mit Arvid zusammen lange in unserem Schlauchboot, und sie erkunden die verstecktesten Winkel des Fjordes. Am Abend steigen Natalya und Thomas auf den Berg um das Panorama im Licht der untergehenden Sonne zu beobachten. Bis zum richtigen Sonnenuntergang müsste man eigentlich noch länger warten. Wir sind schon so weit südlich, dass sie Sonne erst sehr spät hinter dem Horizont verschwindet.
Die nächsten Tage verbringen wir beim Wandern und Spielen am Strand. Außer Guanakos, die wir recht häufig sehen, treffen wir auf verwilderte Schafe. Es wird zum Sport, die gesichteten Tiere zu zählen. An einem Tag kommen wir auf 25 Guanakos und 12 Schafe. An einem der Strände wollen Franka und Vsevolod tatsächlich schwimmen gehen. Geschwind ziehen sie ihre Badeklammoten an, danach stockt es. "Ui, ist das Wasser kalt". Vsevolod bringt es so weit, ein Mal richtig einzutauchen und ein paar Schwimmbewegungen auszuführen. Dann ist das Kapitel "Baden" abgehakt. 14°C Wassertemperatur ist halt dann doch etwas zu frisch. Als wir nach der Wanderung zurück zu unserem Dinghy kommen, liegt ein Seeelefantenjunges direkt vor dem Schauchboot und schaut uns mit seinen riesigen Kulleraugen an. Das Tier ist so gut getarnt und liegt anfangs so bewegungslos, dass man es auch aus relativer Nähe für einen grauen Felsen halten könnte. Es hat keine Angst vor Menschen und sieht so plüschig aus, dass unsere Kinder es am liebsten streicheln würden.
Am Abend treffen wir uns mit John und Penny von der SY Aramia und verbringen einen gemütlichen Abend mit vielen Gläsern Wein. Wir besprechen unsere Pläne für die nächsten Tagen. Für Morgen und Übermorgen ist Nordwind vorhergesagt. Wir wollen ihn uns zu Nutze machen, um den Golf von San George zu überqueren. Ein Funktermin per SSB wird vereinbart, um unterwegs im Kontakt zu bleiben. Am nächsten Morgen segeln unsere Nachbarn los. Wir haben noch einen Tag die Caleta nur für uns. Dann ist es für uns auch so weit. Leinen werden gelöst, Anker hochgeholt. Weiter geht’s nach Süden.