(Tag 545 – 10.122 sm)
Die eigentlich wegen ihrer stürmischen Westwinde gefürchteten brüllenden 40er zeigen sich für uns anfangs von ihrer Schockladenseite. Mehr als vier Hundert Meilen segeln wir bei leichtem Wind durch die wellenfreie See und zählen die Pinguine, die an unserem Boot vorbeischwimmen. Es zeigt sich auch wie zuverlässig die Wettervorhersagen hier sind. Prognostiziert wurden ein Tag mit Leichtwind und zwei Tage mit kräftigem Nordwind. Das erste Teil stimmte. Der Nordwind ist leider ausgefallen. Stattdessen kommen leichte Winde aus allen Richtungen. Segel werden verstellt, getrimmt, ausgebaumt, bis schließlich jeden Nachmittag der Wind ganz stirbt. In der spiegelglatten See treiben Albatrosse an uns vorbei. Ohne Wind zu fliegen haben sie keine große Lust. Seeschwalben reisen auf unserem Dinghy per Anhalter. Die undankbaren Passagiere verscheißen dabei das ganze Schlauchboot.
Für zwei Nächte drehen wir bei, und werden nicht einmal vom Schwell gestört. Wir liegen einfach ruhig auf offener See und schlafen durch. Die Kinder genießen ihre Freizeit, spielen, lesen und lassen ihre kleine Schiffchen um die Wette schwimmen. Vier Tage lang dümpeln wir – mal mit 2 Knoten, mal mit 5 – durch einen Ententeich … bis wir zur Südostecke der Halbinsel Valdes kommen. Natalya sitzt ganz entspannt am Vordeck und genießt die Ruhe. Thomas hat schon in einiger Abstand die flimmernde Hitze über dem Land gesehen, aber nichts weiteres dabei gedacht. Bis Natalya vorne von einem Schwall heißer Luft überrascht wird und dem Skipper berichtet, dass er sich auf eine Düse gefasst machen soll. In wenigen Minuten muss die Genua wieder von Baum befreit werden und unter Deck alle Sachen aufgeräumt werden, die vier Kinder während vier entspannten Tagen ausgepackt haben. Dann beginnt der Spuk auch schon. Ganz heftig bläst es über die Felsen der Küste herunter und uns von schräg vorne auf die Segel. Mit bis zu zehn Knoten über Grund rasen wir mit dreifach gerefften Segeln an der imposanten Felsenküste vorbei, zwanzig Seemeilen lang.
Die Hoffnung, das es nach der Einfahrt in den Golf besser wird, geben wir schnell auf. Durch die Meeresenge strömen uns gewaltige Wassermassen entgegen. Obwohl wir bei niedrig Wasser ankommen und gehofft haben, dass die Strömung uns in den Golfo schiebt, arbeitet sie die ganze Zeit mit bis zu 2 Knoten gegen uns. Die einheimischer Fischen kennen sicherlich das Geheimnis. Während wir gegen Wind und Welle kämpfen kommen sie uns entgegen und fahren entspannt aus dem Golfo heraus.
Der Wind dreht immer weiter, bis er schließlich direkt von vorne kommt. Hat jemand Lust bei 30-40 Knoten Wind bei kurzer steiler Welle und Strömung gegenan anzukreuzen? Wir entscheiden uns für die unsportliche Variante – Segel runter, Motor an! Knapp vier Stunden stampft das Boot in die Welle durch die wild gewordene See. Gegen halb drei Uhr früh erreichen wir hundemüde Puerto Madryn und lassen den Anker fallen, geben fast 100 Meter Kette. Beim Einfahren des Ankers merken wir, dass er nicht hält. Hundert Meter Kette wieder aufrollen macht mitten in der Nacht bei 35 Knoten Wind besonders viel Spaß. Als der Anker hoch kommt, bringt er einige Kilo Meeressalat mit. Unter den Bergen von Grünzeug ist er kaum mehr zu sehen. Der Salat kommt zurück ins Meer, der zweite Versuch endet mit Erfolg. Noch kurz an die neugierigen Mitarbeitern der Prefectura die Position durchgeben, dann ist endlich Feierabend.
Am nächsten Morgen schlafen alle lang, sogar Arvid steht erst kurz vor neun auf. Das Meer ist wieder richtig ruhig und freundlich, als hätte es hier gestern gar keinen Starkwind gegeben. Nach dem Frühstück lässt Thomas das Dinghy herunter und begibt sich auf die Suche nach der Prefectura, um uns hier zu registrieren. Drei Mitarbeiter der Prefectura füllen gemeinsam ein Formular aus und schaffen dabei keinen einzigen Namen richtig einzutragen. Eine Erlaubnis für die Besichtigung der Wale wollen sie nicht ausstellen. Man soll Touristenboote nehmen. Entweder haben die Wale, die an lautes Motorbrummren der Touristenboote gewöhnt sind, Angst vor Segelbooten oder die Behörden haben Angst, die wenigen Yachten, die hier pro Jahr auftauchen können den Betreiber den Touristenbooten Konkurrenz machen.
Am Nachmittag fahren wir alle gemeinsam in die Stadt. Bei über 4 Meter Tidenhub und ohne Steg für kleine Boote ist das nicht so einfach. Es gibt einen Betonsteg an dem große Schiffe liegen. Der ist aber selbst bei Hochwasser 3-4 Meter über dem Wasser, also jetzt bei Niedrigwasser gar nicht zu erreichen für uns. Daher legen langsseits an einem Lotsenboot an. Die freundliche Besatzung hilft uns an Bord. Nicht alle sind über unsere Ankunft erfreut. Ein Pärchen Seelöwen wird mit einem langen Bootshaken von der Treppe verjagt. Die Tiere steigen sehr unwillig die Treppe herunter und plumpsten ins Wasser. Man sieht ihnen an, dass sie eher andere Pläne für den Nachmittag hatten, als im kalten Wasser zu schwimmen.
Am Strand entdecken die Kinder einen Spielplatz, Arvid und Talora dürfen in dem Cafe nebenan Karussell fahren. Den Kindern gefällt es hier sofort, alle wollen länger bleiben und keiner will es wahr haben, dass der Ankerplatz hier so ungeschützt ist, dass wir möglichst schnell wieder weiter segeln sollen. Wie richtig das ist zeigt sich schon zwei Stunden später.
Mit einer Einkaufskiste beladen schlendern wir gegen Abend zurück zum Steg. Eine Überraschung: am Strand begrüßt uns eine Herde weißer Pferde, die kräftiger auflandiger Wind ans Ufer schickt. Mithilfe der freundlichen Männern von dem Lotsenboot schaffen wir es ins Dinghy. Sie starten dazu den Motor des Lotsenbootes, um uns überhaupt das Einsteigen zu ermöglichen. Und dann ist Timing gefragt … mit jeder Welle wird das Dinghy hin und her geschleudert und wir müssen den richtigen Moment abpassen, um ein Kind hinüberzuwerfen. Die Outer Rim liegt über eine halbe Seemeile weit weg. Da freut man sich über den 20 PS Außenbord-Motor, der es kaum schafft mit Vollgas durch die 1-1,5 Meter hohen Wellen zu kommen. Die Wellen sind für so ein kleines Fahrzeug zu mächtig, rasend fliegt das Dinghy von Wellenkamm ins Wellental. Alle werden klatschnass. Da freut man sich über eine konservative Stoffweste, eine automatische wäre wahrscheinlich schon aufgegangen. Frauen und Kinder zuerst – als erste steigen Natalya und Arivd aus dem Dinghy aus. Arvid blockiert schreiend den weiteren Vorgang, weil in so einem wühlend Meer sein geliebtes Dinghy nicht alleine lassen möchte. Das war für alle ein aufregendes Erlebnis. Morgen gehen wir am Vormitag ans Land – bei ablandigem Wind.