(Tag 456 – Nachtrag)
Rückblick: Schon so oft haben wir gehört. wie schön Parati ist. Das letzte Mal war das ein brasilianisches Seglerehepaar, das mit seinem Boot dort drei Jahre lag. „It’s not easy to leave Parati“. Voller Erwartung gehen landen wir an und gehen durch die alten Straßen. Die Stadt ist in der Kolonialzeit als Umschlagspatz für das Gold aus den Minen des Minas Gerais auf den Weg nach Portugal reich geworden. Nachdem die Goldminen an Bedeutung verloren haben, wurden andere kostbare Kolonialwaren – Kaffee und Zucker – gehandelt. Um den Warenumschlag vollständig kontrollieren zu können, bestand die Kolonialmacht darauf, dass andere Wege nicht ausgebaut werden. Die Fertigstellung der Eisenbahnlinie Sao Paolo – Rio de Janeiro in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts besiegelte dann den Niedergang Parati. Eine blühende Stadt verlor an Bedeutung. Die Bevölkerung schrumpfe von 16 Tausend auf einige Hundert Einwohner. Einige Jahrzehnte lang lag das vom Rest der Welt vergessene und verlassene Städtchen in einem Naturparadies, zwischen den Regenwäldern der Mata Atlantika auf der einen und dem warmen Wasser des tropischen Südatlantiks auf der anderen Seite. Als Mitte des 20. Jahrhunderts die Naturparadiese immer knapper wurden, gewann Parati wieder an Aufmerksamkeit und die Kombination aus der immer noch gut erhaltenen Kolonialarchitektur und wunderbaren Natur wurde zu einer Touristenattraktion.
Die ganze Kaimauer ist voll mit Touristenausflugsbooten in bunten fröhlichen Farben – von klassisch blau-weiß bis rosa-pink. Die Altstadt ist auch eher als Museum zu sehen. Die Häuser beherbergen jede Menge Souvenirhändlern und Cafés. Um ein authentisches Gefühl vermitteln zu können, fehlen dem historischen Kern die Einwohner, ihr Lärm, ihre alltäglichen Geschäfte und Besorgungen. Die mit Steinen gepflasterten Straßen sind gespenstisch ruhig. Die Kulissen sind perfekt erhalten geblieben. Man kann sich leicht vorstellen, wie hier zu Blütezeit Schiffe an- und abgelegt haben, wie Mulis beladen und entladen wurden, und Händler, die am Abend in einem Lokal quatschten.
Als wir ganz gemütlich von der Stadtbesichtigung zum Kai zurückkehren, kommt wie aus dem Nichts kräftiger Wind auf. Die ruhige flache Bucht verwandelt sich in einen kochenden Wassertopf hohen spitzen Wellen. Wir haben Mühe ins Dinghy einzusteigen. Auf dem Rückweg zum Schiff werden wir kräftig von den kurzen steilen Wellen durchgeschüttelt. So ein Glück, dass das Dinghymotor wieder läuft. Mit Rudern wäre das bei dem Wetter nichts. Der Spuk dauert nicht lange. Nach einigen Stunden ist die Bucht genauso ruhig wie zuvor.
Die Auswahl der schönen Anckerbuchten bei Ihla Grande ist groß. Wir können uns lange nicht entscheiden, wohin wir von Parati aus verlegen möchten. In unserem Revierführer machen wir eine Bucht ausfindig, von der sich eine Reise mit Dinghy einen kleinen Fluß hoch zu einem Wasserfall anbietet. Zu unserer Freude kommt kurz nachdem unser Anker fällt auch die SY Robusta von Thomas und Anja und ankert direkt neben uns. Gleich wird ein gemeinsamer Ausflug geplant. Mit unserem immer noch stotternden Dinghy kämfen wir gegen Wind und Welle, dieses mal auf einer längeren Strecke. Die Bucht ist flach und wir wissen nicht genau, wo der Flusseinfahrt liegt. Der Ufer ist dicht bewachsen. Nach einigen erfolglosen Versuchen und mehrmaligem Steckenbleiben finden wir doch den Weg. Eigentlich ist er mit Strecken markiert, die uns nur als solche nicht erkannt haben. Es ist schwer zu entscheiden, ob zwischen den zwei Stecken die gewünschte Durchfahrt oder die unerwünschte Untiefe liegt.
Der kleine Fluss weckt Erinnerungen an Afrika. Es ist nur weniger spannend, weil hier nicht einmal Natalya an ein plötzlich vor dem Bug des Dinghy auftauchendes Nilpferd denken kann. Der FLuss führt zu wenig Wasser und bis zum Schluss hegen wir Zweifel, ob wir den Wasserfall überhaupt erreichen können. Eine längere Strecke paddeln wir. Schließlich legen wir am Anfang eines kleinen Weges an und gehen zu Fuß weiter. Der Weg führt bergauf entlang des Wassers. Etwa nach einer Viertelstunde gelangen wir doch zu einem kleinem im Wald verstecktem Wasserfall. Die Kinder spielen im Wasser, bauen Dämme und trauen sich auch in einem kleinem Pool unterhalb des Wasserfalls zu schwimmen. Für Arvid ist das Wasser zu kalt. Auf dem Rückweg sammeln wir noch intensiv gefärbte Blätter. Unsere Großen wollen damit Wäsche färben. Das Experiment schlägt fehl, da aus den rotgrünen Blättern beim Kochen eine braune Brühe wird. Hätten wir doch auf Anja gehört und rote Beete genommen.
Der frische Wind hat für Abkühlung gesorgt. Wir packen unsere Fleecejacken aus. Baden will auch keiner so richtig. Obwohl das Wasser noch nicht wirklich kalt ist. Wir überlegen, ob wir schon die Kuchenbude aufbauen sollen. Das sind die ersten Erfahrungen, die zeigen, dass wir den Bereich des ewigen Sommer der Tropen verlassen haben.