(Tag 466 – Nachtrag)
Rückblick: Wir liegen in Itajaí … Itaimbezinho, der tiefste Canyon Südamerikas und eines der größten Naturwunder Brasiliens, ist in erreichbarer Nähe. Barbara, die uns in der Marina Itajaí betreut, beteuert, es seien nur fünf Stunden Autofahrt von hier. Ein Auto ist schnell gemietet, die Autovermietung ist gleich um die Ecke. Da wir keine Straßenkarte auftreiben können, hoffen wir, dass der Weg sich leicht finden lässt. So etwas Großes und Berühmtes muss doch sicherlich gut ausgeschildert sein. Solange wir auf der Hauptstraße bleiben geht auch alles gut. Auf dem Weg bestätigt sich, was wir in einem Werbeprospekt über Santa Catarina gelesen haben, der Süden von Brasilien ist wie Bayern nur mit Meer. So ähnlich sieht es dort wirklich aus. Weiße Wolken, blauer Himmel, auf grünen Hügeln grasende Kühe. Rechter Hand baut sich langsam eine Bergkette auf – genau dort hin müssen wir. Aber wir finden keine Abzweigung. Nichts ist ausgeschildert. Wir fahren mehr als 30 Kilometer hin und her, studieren jeden kleinsten Wegweiser, aber von einem Canyon ist nichts zu lesen. Schließlich finden wir eine Tankstelle, deren Wand mit einer detaillierten Karte der Umgebung geschmückt ist. Zu kaufen gibt es sie natürlich nicht, wer braucht denn eine Karte? Entweder weiß man wohin man fährt, oder man nimmt einen Reisebus. Wir fotografieren sie mit unserem Tablet-Computer ab. Dann biegen wir von der Hauptstraße ab und bald ändert sich die Landschaft. Eine Serpentinenstraße führt bis hoch hinauf. Von dort genießen den Blick auf die grünen Berge und das sich darunter liegende Tal. Von der Bergkante geht es sofort ins flache Küstengelände über.
Wo in Deutschland Pinien wachsen, herrschen hier Araukarien – ein Nadelbaum das erstmal ziemlich gewöhnungsbedürftig aussieht. Von einem kerzengeraden Stamm wachsen in perfekten rechten Winken die mit langen festen Nadeln begrünten Zweige. Der Baum erweckt einen gleich künstlichen Eindruck wie ein chinesisches Weihnachtsbaum, vor allem wenn diese Bäume auch noch künstlich in perfekten Reihen eingepflanzt werden. Weiter auf der Straße warnen die Schilder vor giftigen Schlangen. Greifen sie etwa die Autos auch an? Es ist schon fast dunkel als wir am Ziel unserer Reise – dem kleinen Städtchen Cambará do Sul – ankommen. Zum Glück erwischen wir noch jemanden im Touristenbüro, der gerade die Tür abschließen will, und erkundigen uns nach einer Unterkunft. Wir werden an eine kleine Poussada weitergeleitet. Es ist zwar teuer und wenig bequem, aber das Stadtchen ist kein wirkliches Touristenparadies wie Lencois, und das Angebot an Hotels und Pensionen ist beschränkt. Wir müssen auch am Abend lange herumlaufen, um ein Restaurant zum Abendessen zu finden, dessen Menü über schlabbrige Pommes hinaus geht. Auf der Suche buchen wir noch schnell die Tour für den nächsten Morgen. Da in unserm Reiseführer auch eine Warnung vor giftigen Schlangen steht, entscheiden wir uns für eine geführte Tour.
Der Ort mach einen seltsamen Eindruck. Die Straßen sind überbreit, und rechtwinklig. Keine Fußgänger sind zu sehen, sondern nur Autos. Fast alle Häuser sind aus Holz gebaut. Einige sind verlassen und aufgegeben, die Fenster zugenagelt. Der Ort hat definitiv bessere Zeiten gesehen. Auch ein Hotel auf der Hauptstraße ist am Zerfallen. Von Gesamteindruck hat man das Gefühl, sich eher im Mittleren Westen der USA zu befinden, als im Süden Brasiliens.
Der nächste Morgen zeigt, dass die Sorgen um die Schlangen völlig übertrieben sind. Der Reisebus bringt uns und einige andere Gäste zum Park. Von hier aus führt ein mindestens 3 Meter breiter Weg bis direkt an den Canyon. Das Wetter ist perfekt, der der Himmel ist strahlend blau und so können wir bis zum Boden des ca. 700 Meter tiefen Canyons klar sehen. Die Wände sind fast senkrecht, teilweise sogar überhängend, kleine Wasserfälle fallen herunter, oben kreisen die allgegenwärtigen Geier. An manchen Stellen zeigen die Wände der Schlucht frische Spuren eines Erdrutsches. Nachdem alle Teilnehmer genug Bilder geschossen haben, laufen wir den Weg wieder zurück. Arvid steigt aus seiner Kraxe aus und hüpft fröhlich von einem Stein zum anderen und findet immer mindestens vier Arme, die ihm gerne dabei helfen würden. Für die Brasilianer scheint es ungewöhnlich zu sein, dass so ein kleiner Kerl auf einem steinigen Pfad alleine laufen darf. Nach einer kleinen Pause besichtigen wir den Canyon von der gegenüberliegenden Seite. Die Natur hier ist zwar atemberaubend, aber uns fehlt etwas der kulturelle Bezug. Ein weniger tiefer Canyon im Peru, an dessen steilen Hängen vor Feinden gut versteckte Dörfer schmiegten, hat bei uns vor einigen Jahren einen wesentlich größeren Eindruck hinterlassen.
Nach dem Rückkehr im Dorf suchen wir einen schatigen Platz fürs Mittagessen. Bänke oder Picknickplätze sind hier noch nicht erfunden. Wir sitzen vor der Einfahrt einer Farm und lassen uns von Kühen beim Essen beobachten. Ein Schaf kommt im langsamen Trott aus der Einfahrt raus und entscheidet sich für einen kleinen Ausflug entlang der Teerstraße. Damit es nicht so langweilig wird, ruft es durch lautes Blöcken eine Freundin zu sich. Zu zwei macht es deutlich mehr Spaß. Alle denken an „Shaun das Schaf“. Wo ist nur bloß Blitzer, der Hund? Scheinbar im Urlaub, stattdessen kommt der Bauer in einem Pickup, holt die Schafe ein, und hupt ihnen so lange hinterher, bis sie ihren Ausflug beenden und zurück auf die Farm laufen. Die drei scheinen ein eingespieltes Team zu sein.
Der Rückweg nach Itajaí führt uns 100 km über Schotterstraßen durch eine sehr dünn besiedelte Gegend. Es sind ein paar Farmen zu sehen, aber viel schöne Natur. Es geht erst lange über die Hochebene, dann plötzlich erreichen wir wieder die Kante des Hochplateus und haben unglaublich tolle Ausblicke in die Täler und Schluchten um uns herum. Wir bleiben eine Weile einfach in der Wiese sitzen und genießen die Aussicht.