(Tag 506)
Auf unserem Weg vom Chaco in den Süden des Landes machen wir kurz Halt in Conception. Unser Reiseführer bezeichnet diese Stadt als Paraguays Perle des Nordens. Bei näherer Betrachtung zeigt sich aber ehr ein ernüchterndes Bild. Als allererstes begrüßt uns eine riesige, plumpe Marienstatue von 22 Meter Höhe. Vor ihr liegt ein Freilichtmuseum für alte Fahrzeuge auf der Verkehrsinsel zwischen zwei Straßen. Unsere Kinder untersuchen und besteigen eine Dampfwalze, einen alten Eisenbahnkran und eine verrostete Dampflokomotive. An vielen Gebäuden kann man tatsächlich erahnen, dass sie irgendwann mal schön waren. Das einzig frisch renoviert wirkende ist das Rathaus. Arvid ist tief beeindruckt und nimmt das neue Wort in sein Lexikon auf. Ab jetzt teilt er alle Gebäude einer Stadt in drei Kategorien auf: Supermarkt, Tankstelle und Rathaus.
Aktuell stehen im Paraguay Kommunalwahlen bevor. Die Regierungspartei Colorado bemüht sich um die Stimmen des einfachen Volkes. Als wir am Abend durch die Stadt spazieren gehen, laufen kleine Jungen und Mädchen in Anzügen und nationalen Kleidchen zu einem Veranstaltungsraum vor dem Büro der Colorado. Am nächsten Morgen knallen laut Böller und Feuerwerk, eine Gruppe Jugendlicher sitzt im Stadtpark vor dem Bilde „Gründung Ascuncions“ und bekommt sichtlich patriotische Geschichten erzählt. Als Teil des Programms steht regelmäßig einer auf und zündet die nächste Portion Böller an. Im Paraguay besitzen 2% der Bevölkerung mehr als 80% des Landes. Um bei so einer Ungleichverteilung, die die Regierungspartei als Vertreter der Großgrundbesitzer selbst mitverursacht hat, die Mehrheit der Stimmen zu gewinnen muss man sich schon ordentlich anstrengen.
Am nächsten Morgen verlassen wir Conception und fahren Richtung Osten in das Gebiet der Rebellen. Diese gehören zu EPP – The Paraguayan People’s Army – einer kommunistische Bewegung, die – wie schon so oft in Südamerika – versucht durch Gewalt die Regierung ihres Landes auf die soziale Probleme aufmerksam zu machen. In kurzen Abständen finden sich Straßensperren mit bewaffneten Polizisten oder Soldaten. Einer davon kommt auf die Idee uns eine Strafe wegen des Kindes auf dem Beifahrersitz anzudrehen. Wir geben vor, kein Wort zu verstehen und kapieren nicht was er will. Der Polizist zeigt auf das durchgekreuzte Bild vom Maxicosi vor dem Airbag, zeigt gleichzeitig auf Vsevolod und sagt: „Schaut, es steht da, Kind vorne ist verboten!“. Für den Verstoß will er 50 Dollar haben. Wir verstehen ihn immer noch nicht. Nach dem fünften Versuch die Sachlage zu erklären gibt er auf, winkt alle Kinder auf die Rücksitzbank und gibt den Weg frei.
Da sind wir schon beim nächsten sozialen Thema: die Korruption. Das Land gehört zu den korruptesten der Welt. In der Liste von Transparency International sind nur 25 Länder in dieser Hinsicht schlimmer. Für die Bevölkerung gehört Korruption zur Mentalität. Menschen, die entsprechende Posten besetzen, werden als Glückspilze betrachtet. Insgeheim hofft man morgen auch genauso eine tolle Stelle zu beziehen. Katholischen Glauben haben die Jesuiten und Franziskaner sehr erfolgreich verbreiten können. Die dazugehörigen Werte blieben leider auf der Strecke.