(Tag 500)
An der Grenze zwischen Brasilien und Paraguay hat sich ein Riesenstau gebildet. Ein Durchkommen mit dem Taxi scheint unmöglich. Daher überqueren wir die Grenzbrücke über den Fluss Parana zu Fuß, mit schweren Reisetaschen in der Hand und Arvid auf dem Arm. Auf dem Busbahnhof angekommen kaufen wir schnell die Fahrkarten bis nach Asuncion. Der Bus fährt in einer halbe Stunde ab. Was für ein Unterschied zu Deutschland – keiner reserviert etwas im Voraus. Man geht zum Busbahnhof und kauft sich ein Ticket. Oder man stellt sich auf die Straße, winkt einen vorbeifahrenden Bus zur Seite und steigt ein. Wenn die Sitzplätze nicht reichen, fährt man ein paar Hundert Kilometer im Stehen. Keiner meckert. Auch die hygienischen Vorstellungen in Paraguay sind sehr eigenartig. Zwei Plastikbecher reichen, um dem ganzen Reisebus Cola anzubieten. Schön, dass wir die ersten waren, die daraus trinken dürfen. Wir sind nur etwas verdutzt, als der liebe Busbegleiter neben uns stehen bleibt und gleich den Becher wieder einsammelt.
Asuncion begrüßt uns mit erdrückender Hitze. Da erinnert man sich gerne an einen frischen Südwind in Piriapolis. Dieses Mal müssen wir gar nicht lange unser Hotel suchen, dafür lange dorthin fahren. Die Kinder sind nach den knapp sieben Stunden Busfahrt schon sehr müde und ungeduldig und können es nicht erwarten, ihre Füße wieder auszustrecken. Das Hotel gewinnt sofort ihre Sympathien. Im Hof ist eine Hängematte aufgebracht und es wird sofort aufgeteilt, wer, wann und wie lange darin liegen darf.
Wir unternehmen einen kleinen Spaziergang durch die Gegend und haben mit dem Straßenverkehr zu kämpfen. Als Fußgänger hat man hier das Gefühl, sich mitten im Kriegsgebiet zu befinden, und die Straßen unter feindlichem Beschuss überqueren zu müssen. An Zebrastreifen hält erst recht keiner an, auch dann nicht, wenn jemand mitten auf der Straße steht. Große Busse rattern einer nach dem anderen durch die enge Straßen. Schutz suchend duckt man sich hinter parkenden Autos. Unsere Großen trauen sich alleine nicht mal über eine relativ ruhige Straße.
Am nächsten Tag ist Entspannung angesagt. Wir haben in der letzten Zeit so viel gesehen, sind so viel gereist, dass alle eine Ruhepause gut gebrauchen können. Gegen Mittag begeben wir uns auf die Suche nach einem Mittagessen. Als erste Möglichkeit entdecken wir im nahe gelegenen Park einige Zelte mit großen Blechtöpfen, in denen unterschiedliche Arten von Eintöpfen schmoren. Um die Töpfe stehen die Einheimischen Schlage. So schlecht kann das doch gar nicht sein. Aber überall ist Fleisch drin, eher nichts für uns. Wir laufen weiter durch die Stadt. Auf dem Plaza de la Democracia spielen Musiker, für Zuschauer stehen Stühle bereit. Ein älteres Indiopaar in traditionellen Trachten tanzt. Einer der Musiker spielt Harfe. Das verbindet man nicht wirklich mit indianischen Klängen. Aber wer auch immer dieses Instrument hierher zum ersten Mal gebracht hat, hatte viele Nachfolger. In Asuncion gibt es sogar ein Harfenmuseum, das wir später entdecken. Cafes mit günstigen Angeboten für ein Mittagessen gibt es auch an jeder Ecke. Nach zwei Tagen in Buenos Aires erscheinen ihre Angebote als ein Schnäppchen.
Asuncion ist eine der ersten spanischen Städten in Südamerika, gegründet Anfang des 16. Jahrhunderts. Von hier aus wurden Expeditionen weiter ins Landinnere geschickt und neue Städte gegründet. Viele Häuser im Zentrum sind die Zeugen der spanischen Blütezeit. Ihr gegenwärtiger Zustand ist eher weniger prächtig, oft mitleiderregend. Nur einige wenige historische Regierungsgebäude strahlen den alten Glanz aus. Davor stehen Polizisten, mit Gewehr im Anschlag. Auch wenn sie uns gegenüber sehr freundlich sind, hat man jedes mal beim vorbeikommen ein mulmiges Gefühl. Wer weiß, was in diesem Kopf alles durchgeht, wenn der Mann/Frau den ganzen Tag lang einen Finger am Abzug eines Maschinengewehrs hält. Nicht alle Bürger sind mit der Regierung und der Wohlstandsverteilung im Land zufrieden. Im Wildnis des Nordostens verstecken sich noch Guerilla-Kämpfer, die bevorzugt Polizei, Militär und Großgrundbesitzer angreifen.
Unter den Bäumen am Flussufer machen berittene Polizisten ein Nickerchen. Ihre Pferde warten im Schatten. Den besten Blick auf den Fluss haben die Favelas direkt hinter den Regierungsgebäuden. Wahrscheinlich will den Hochwasser-gefährdeten Platz sonst keiner haben. Die Blechhäuser versinken im herumliegenden Müll und stinken erbärmlich. Das mit dem Müll sehen die Paraguayer auch sonst nicht so eng. Packungen und Plastikflaschen werden auch von mehr oder weniger wohlhabenden Bürgern einfach auf die Straße geworfen.
Am zweiten Tag entscheiden wir uns, ein Museum der indigenen Kunst zu besichtigen. Leider erweist sich die Busfahrt dorthin als großes Abenteuer. Der Busfahrplan ist nicht auffindbar, Haltestellen gibt es nicht. Man winkt einfach einen vorbeifahrenden Bus herbei. Dann weiß man aber nicht wo welche Linie überhaupt hin- oder abfährt. Nach einem erfolglosen Versuch einen richtigen Bus zu finden steigen wir doch ins Taxi.
Das Museum erweist sich als Flop. Eine Anhäufung von Exponaten ohne jeglichen Zusammenhang und Erklärung, die meisten stammen aus moderner Zeit und stellen katholische Heilige dar. Nichts kann besser den Untergang der ursprünglichen Indianerkultur vermitteln als ein Besuch dieses Museums. Im Gegensatz zu Brasilien ist der Anteil an indigener Bevölkerung schon sehr hoch, man sieht es auch auf den Straßen. Die erste Muttersprache ist mit weitem Abstand Guarani. Da endet es schon, der Rest gehört der westlichen Kultur. Indiandersachen werden nur Touristen zum Verkauf angeboten. Im Land scheint es nicht schick zu sein, zu den Indianern zu hören. Nach dem Museum gehen die Kinder, gleichzeitig mit der ersten Klasse einer Privatschule auf einen kleinen Spielplatz vor dem Museum. Arvid will rutschen und lernt Schlange stehen.
Am Nachmittag zieht ein Gewitter auf. Es regnet in Strömen, das Wasser schießt die Straßen runter. Zu großen Freude der Kinder fährt unser Bus mit Karacho dadurch. An manchen Straßen entstehen reißende Ströme. Wir fahren durch die Luxusvierteln, in denen sich auch die Botschaften der westlichen Ländern niedergelassen haben. Prachtvillen. mit Parks und Auffahrtsalleen lassen den Wohlstand ahnen. Das auswärtige Amt schreibt einen 5 Seitigen Bericht, was man als reicher Weiße in Paraguay sicherheitstechnisch zu beachten hat. Die Gehälter der Europaer, die sich verleiten lassen, hier zu arbeiten, mögen so hoch sein, aber beim Durchlesen der Liste vergeht einem die Lust. Es sieht von außen nicht so schlimm aus wie in Salvador de Bahia, und der Busfahrer muss sich keine Sorgen um seine Kasse machen, aber man hat trotzdem das Gefühl, dass die für Lateinamerika gewöhnliche Kluft zwischen Arm und Reich hier auch für einiges an Gewaltpotential sorgt.