(Tag 249)
Mit großem Abstand gewinnt Banjul für uns den Wettbewerb "die unscheinbarste und am stärksten heruntergekommene Hauptstadt der Welt". Auf einer kleiner Insel inmitten Mangrovensümpfen gebaut, von allen großen Mächten verlassen und vergessen fristet sie ihr Dasein als ein trauriges kleines Gespenst. Hoch in Bäumen und auf Laternen sitzende Geier vervollständigen das Bild. Da hilft es auch nicht, dass im Hafen auch große Frachtschiffe anlegen können. Es fehlt die Infrastruktur und das geschäftliche Treiben, um den Hafen attraktiv zu machen. Und zu allem Übel heißt der Ort an dem man ankert auch noch „Half-Die“ (die Hälfte tot), da hier im 19. Jahrhundert die Hälfte der Bevölkerung durch eine Cholera-Epidemie gestorben ist.
Aber es hilft nichts, wir müssen hier Station machen. Banjul ist der einzige Einklarierungshafen von Gambia, und Einklarieren ist Pflicht für ausländische Segler. Also steuern wir die Stadt an, nachdem wir aus dem Bandiala und damit Senegal heraus sind.
Zu unser großen Überraschung entdecken wir im Hafen zwei andere Segelbote. Ein historisches Holzboot aus Litauen mit einem mutigen Kapitän und zwei super netten Mädchen, die Arvid ununterbrochen zum Kichern bringen. Ihr Schiff verfügt weder über einen Motor noch über Elektrizität. Dennoch haben Sie vor, den Gambiafluss hoch zu segeln. Und ein französisches Ehepaar liegt auch hier, während sie auf die Reparatur ihres Motors warten. Hier ist jede Reparatur eine Zumutung. Ersatzteile vor Ort gibt es nicht. und es dauert ewig, bis sie mit der Post ankommen. Jede Arbeit muss von Anfang bis zum Ende beobachtet und kontrolliert werden. Nur als Beispiel: wir haben im Nachbarland Senegal bei einer erfahrener Näherin eine gambische Flagge bestellt. Als sie geliefert wurde, entdeckten wir, dass die Flagge aus zwei Hälften bestand, die in der Mitte grob zusammengenäht wurden. Wahrscheinlich hat sich die Dame beim Schneidern vermessen. Wir gaben die Flagge zurück und ließen uns eine neue herstellen. Erst beim Hissen im Gambia entdeckten wir, dass bei der zweiten Flagge oben und unten vertauscht sind.
Am Freitag gingen wir an Land um Formalitäten zu erledigen. Ein selbsternannter Helfer begrüßt uns bereits als wir noch in unserem Schlauchboot saßen. Er wollte ganz sicher gehen, dass er der erste ist, der uns Weiße begleiten darf. Seine Dienste haben sich auch als durchaus hilfreich erwiesen. Er führte uns auf direktem Wege und ohne uns was anderes andrehen zu wollen zur Immigrationsbehörde im Hafen und stellte uns als seine "Friends" (Freunde) vor, die es verdienen, schnell und unkompliziert ihre Visa zu bekommen. Wir haben tatsächlich sehr zügig und unbürokratisch unsere Einreisestempel bekommen sowie eine vordatierte Verlängerung um 28 Tage. Insgesamt dürfen wir also 2 Monate in Gambia bleiben.
Da wir noch kein lokales Geld hatten, ging Thomas schnell mit unserm Begleiter zu einer Bank. Natalya und die Kinder blieben in der Polizeistation mit der Versicherung, dass die beiden Männer spätestens in 10 Minuten wieder zurück sind. Jetzt wissen wir, was alles in 10 afrikanischen Minuten erledigt werden kann: unsere Schulkinder machten ihre Hausaufgaben, das Baby kann die ganze Umgebung auseinander nehmen und als Frau kann man sich Anfangen Sorgen zu machen, wo denn der Mann hin verschwunden ist … Es stellte sich heraus, dass die afrikanischen 10 Minuten einandhalb europäischen Stunden in der westlichen Welt entsprechen.
Irgendwann kam aber Thomas dann doch zurück, wenngleich etwas frustriert. Wir sind es ja gewohnt, dass man Geld einfach aus dem Geldautomaten ziehen kann. Dafür haben wir uns vor der Reise auch mit einigen Kreditkarten eingedeckt. Nur hier gestaltet sich das etwas problematischer. Der scheinbar größte verfügbare Geldschein ist der 100 Dalasi-Schein. Dies entspricht gerade mal einem Wert von 2 Euro. Da aber Geldautomaten maximal 20 Scheine auf einmal liefern, kann man pro Aktion maximal 2.000 Dalasi abheben – 40 Euro. Nachdem die Visa-Gebühr 6.500 Dalasi entsprach, musste Thomas vier Mal Geld abheben – natürlich mit den entsprechenden Gebühren. Dafür ging es dann bei der Polizei umso schneller. Wir blätterten die 6.500 Dalasi – immerhin 65 Scheine – auf den Tisch und bekamen unsere Pässe mit jeweils Stempeln für 2 Monate ausgehändigt. Das Ganze fand in einem Hinterzimmer statt und man fragt sich schon, wohin das Geld dann wandert. Immerhin haben wir keine Quittung bekommen.
Den Rest der Formalitäten erledigt Thomas dann alleine mit unserem Führer nachdem Natalya mit den Kindern zurück auf die Outer Rim gebracht wurden. Es geht zum Zoll wo ein einseitiges Formular ausgefüllt wird. Damit geht es dann zum Zoll-Inspektor. Das warten auf ihn gestaltet sich als recht interessant. Thomas sitzt mit vier Männern in einem kleinen Büro. Die Männer sitzen an der Längsseite eines Tisches und jeder hat so ca. 50 cm. Platz auf dem Tisch. Vor ihnen liegen ein paar Akten, aber keine interessiert sich wirklich dafür. Ab und zu wird mal gelangweilt in einem Papierstapel geblättert, aber dieser dann sogleich wieder weggelegt. Meist wird nur mit dem Handy gespielt oder miteinander oder mit Thomas geredet. Von Arbeit ist nichts zu sehen.
Irgendwann kommt dann auch der Inspektor und macht klar, dass er keine Lust hat, auf die Outer Rim zu fahren. Damit wir aber das Dokument von ihm unterzeichnet bekommen, braucht er ein Geschenk – er bekommt also 200 Dalasi als Schmiergeld. Als letztes geht es zum Hafenmeister, wo wir noch die Erlaubnis zum Befahren des Flusses abholen. Als Thomas da das Formular schon ausgefüllt hat, stellt sich heraus, dass die Kasse geschlossen hat. Immerhin ist Freitagnachmittag. Nach hitziger Diskussion wirft Thomas das Geld einfach auf den Schreibtisch des Beamten und sagt ihm, dass es ihm egal ist, wie die Einzahlung erfolgt. Er solle ihm einfach die Erlaubnis unterzeichnen und den Rest selbst regeln. Das hat dann auch geklappt. Wir haben jetzt zwar keine Quittung, aber dafür die unterschriebene Erlaubnis. Auch hier fragt man sich, wohin das Geld dann gewandert ist.
Freitagnachmittag und Samstagvormittag verbringt Thomas damit, nach einem Ersatzteil für unser Boot zu suchen. Es stellte sich heraus, dass für unseren Wassermacher ein zusätzlicher Absperrhahn nötig ist. Den hat die Werft vergessen einzubauen. Jetzt darf man sich das hier aber nicht so vorstellen wie in Deutschland … Obi gibt es nicht. Einen Absperrhahn an sich zu finden ist nicht das Problem. Was sich auch nach langem Suchen nicht auftreiben lässt, sind die Anschlussflansche für 3/4"-Schläuche. Dazu wurden unzählige kleine Läden und Verkaufsstände abgeklappert, Skizzen präsentiert und immer wieder mit Händen und Füßen das benötigte Teil beschrieben. Half alles nichts … nur durch Zufall konnte ein Plastikhahn mit den richtigen Anschlussstücken besorgt werden. Er wurden dann am Sonntag auch schweißtreibend gleich eingebaut. Jetzt haben wir leider ein Teil unterhalb der Wasserlinie eingebaut, dem wir nicht vertrauen können. Sollte es brechen oder vom Schlauch springen, läuft im Extremfall unser Schiff voll. Daher heißt es jetzt immer – Seeventil zu.
Am Samstag gingen wir zum Albertmarkt um uns für die weitere Fahrt einen Vorrat an frischen Lebensmitteln zu kaufen. Thomas wurde auf der Straße persönlich begrüßt, weil ihn die Händler und ihre Bekannten/Verwandet/Gleichgesinnten schon von Freitag kannte. Sie erkundigten sich, ob uns das Brot von gestern geschmeckt hat, und ob wir schon die richtigen Teile gefunden hatten, die wir gestern gesucht haben. Die meisten Verkäuferinnen am Lebensmittelmarkt sind Frauen. Sie besitzen weder eine Wage noch einen Taschenrechner und haben nur elementare Kenntnisse in Arithmetik. Deswegen ist ihr Preismodel recht einfach: Gurken und Rettich oder Auberginen kosten pro Stück 10 Dalasi, Karotten werden in kleinen Häufchen zu je drei Stück verkauft und kosten 20. Die Preise entsprechen etwa dem deutschen Niveau. Wir kauften uns auch unbekannte weiße tomatenähnliche Gemüsefrüchte, die recht bitter schmecken und auch im Internet nicht gefunden werden konnten. Um auf dem Fischmarkt von Banjul Fisch kaufen zu können, braucht ein weißer Mann/Frau Vorerfahrung aus Kapverden und Dakar. Die Schmerzgrenze sinkt kontinuierlich ab.
Am Sonntag treffen wir die letzten Vorbereitungen für die Flussfahrt und gehen in der Freizeit zum Spielplatz. Den hat irgendeine Entwicklungshilfe hingestellt und von weitem sieht er traumhaft aus. Nur hat man dann bei der Übernahme keinen gefunden, der dafür zuständig wäre. Sämtliche Geräte sind kaputt oder beschädigt. Vsevolod fand zu seiner Freude Jungen mit einem Ball zum Fußball spielen. Andere Jungen versuchen bei uns einen neuen Ball zu erbetteln. Auf dem Spielplatz turnen nur Jungen, kein einziges Mädchen ist zu sehen. Auf dem Rückweg müssen wir durch die Militärkontrolle. die seit dem Putschversuch kurz vor Silvester die Straßen in Banjul routienemäßig kontrolliert. Jedes Auto muss anhalten. Mit den Kerlen ist nicht zu scherzen. Sie sind schwer bewaffnet und verstehen kein Spaß. Leider wollte der Mann mit Maschinengewähr nicht von vorne fotografiert werden. Am Sonntag ist auf den Straßen wenig los, wir fallen ziemlich auf. Die Kinder rufen laut Tubab, Tubab! Laufen uns nach, und irgendwann entdeckt man, dass man an jeder Hand ein dunkelhätiges Kind hat. Alle sind freundlich und auch die Gauner, die uns das verkaufen wollen, was wir nicht brauchen, sind nicht mal halb so aufdringlich wie in Dakar.
Am Abend schleppen wir 160 Liter Wasser in Kanistern an. Wer weiß, wann wir das nächste Mal Wassertanks füllen können. Ein Fischer schenkt unseren Kindern zwei Fische. Es ist eine friedliche Sonntagnacht.